Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
fragte er.
»Ich mache nicht auf«, stieß sie hervor. »Und Sie machen auch nicht auf.«
»Aber, Mintje, was hast du denn nur?«, wunderte er sich, um selbst zur Tür zu gehen.
»Machen Sie nicht auf«, schrie Mintje. »Sie ist es.« Doch da hatte Harald schon die Tür geöffnet, und Violet stand vor ihm.
»Ja, sie ist es«, sagte sie mit einem verzerrten Lächeln. »Bring mal deinen Hausdrachen zur Räson, Harald.«
Das Blut war aus seinem Gesicht gewichen. »Du?« Mehr brachte er nicht hervor.
»Ich, mein lieber Harald. Freust du dich nicht? Ich bin wieder da, deine Violet.«
»Du bist betrunken«, sagte er mühsam.
Sie kicherte albern. »Vor lauter Kummer, dass ich so lange auf dich warten musste, habe ich ein Schlückchen getrunken«, lallte sie.
»Oh, mein Gott«, sagte er tonlos.
Sie taumelte vorwärts und krallte ihre Fingernägel in seine Schultern. Seine Finger schlossen sich um ihre Handgelenke. Er schleuderte sie von sich, und sie taumelte zurück. Sie fand keinen Halt und fiel. Mit dem Kopf schlug sie an der Tischkante auf, und dann sank sie auf den Teppich. Dort blieb sie liegen.
Mintje stand in der Tür. »Ich habe es gewusst«, sagte sie, »das Unglück kommt mit ihr ins Haus. Ich habe es gewusst. Aber Sie wollten nicht auf mich hören.«
»Sie hat sich verletzt«, sagte Harald mit tonloser Stimme, aber noch immer rührte er sich nicht.
»Wenn sie nun tot ist«, jammerte Mintje, aber da kam Leben in ihn.
»Sei still, sei um Gottes willen still«, herrschte er sie an. Dann kniete er neben Violet nieder.
»Bring mir meinen Koffer, Mintje«, befahl er.
»Ich rühre keinen Finger für sie«, sagte Mintje. »Keinen Finger!«
Er holte den Koffer selbst. Er hob Violet empor und bettete sie auf das Sofa. Er zog eine Injektion auf, aber als er ihren Arm entblößte, fiel sie ihm aus der Hand.
*
Der zornige Ausdruck in Mintjes Augen wurde von Furcht verdrängt. Sie zitterte am ganzen Körper.
»Nimm dich zusammen und mach mir einen Kaffee«, sagte Harald.
Sie reagierte automatisch. Sie machte die Tür fest hinter sich zu. Harald untersuchte Violets Kopf.
Ihr Atem wurde kräftiger. Er wusste, dass sie bald zu sich kommen würde, und er fragte sich, was sie von ihm wollte.
Die Tür tat sich wieder auf, und Mintje erschien mit dem Kaffee.
»Ob Onkel Harald jetzt schon zu Hause ist, Muttichen?«, fragte Dodo. »Was wird Mintje sagen?«
»Ich weiß es nicht, mein Liebling.«
»Meinst du, dass sie auch zu uns kommen wird?«
Es war seltsam, aber Dodo dachte nicht einen Augenblick daran, dass sie zu ihm gehen könnten.
»Mintje will vielleicht wegen Krischan nicht weg«, fuhr Dodo fort. »Er muss sich sonst das Essen immer allein machen. Er ist schon ziemlich alt.«
Sie fragte jetzt auch nicht mehr, ob Julia diesen oder jenen kenne. Sie gab sich nur ihren eigenen Betrachtungen hin.
»Mintje ist eigensinnig«, erklärte Dodo. »Was sie nicht will, das will sie nicht. Großväterchen war auch so. Alle sind so. Schau mal, Muttichen, der Abendstern«, schweifte sie ab. »Der steht immer über Onkel Haralds Haus. Hier steht er über Sophienlust. Wie kommt das?«
»Weil der Himmel so fern ist, Dodo.«
»Es gibt viele Dinge, die man nicht verstehen kann, nicht wahr, Muttichen?«
»Ja, Dodo.«
»Und manches möchte man auch gar nicht verstehen«, sagte das Kind leise.
Harald hatte Violet ein Beruhigungsmittel geben wollen, aber sie wehrte sich und schrie. »Du willst mich umbringen. Du wolltest mich vorhin schon umbringen. Er wollte mich umbringen.« Das war an Mintje gerichtet.
»Sie sind betrunken«, sagte Mintje hart. »Ich habe Sie gewarnt.«
Sie lachte schrill. »Er hat mich gestoßen. Er wollte, dass ich falle.«
»Spiel nicht verrückt, Violet«, sagte Harald. »Es zündet nicht mehr bei mir.«
Sie warf sich zurück. »Ich habe Schmerzen«, jammerte sie. »Gib mir eine Spritze. Du weißt schon, was für eine.«
»Du hast schon ein bisschen zu viel davon«, sagte er kalt. »Bist du deshalb gekommen? Hast du keinen mehr gefunden, der dir das Zeug besorgt hat? Hier gibt es nichts. Man braucht es nicht.«
Violet sah Mintje an. »Warum lassen Sie es zu, dass er so mit mir redet?«, fragte sie. »Er ist ein Mörder. Er hat Dave umgebracht. Merken Sie es sich: Er hat Dave umgebracht. Er soll dafür büßen.«
Harald stand hinter ihr. Er sah Mintje beschwörend an. Und sie sah, wie er jetzt eine Injektion aufzog.
Violet schien gar nicht zu spüren, wie die feine Nadel in ihre Vene drang. Sie sagte immer wieder: »Er hat Dave umgebracht, er hat Dave umgebracht.«
Und dann war sie plötzlich still.
»Sie wird jetzt schlafen«, sagte Harald. »Wenn sie aufwacht, wird sie nüchtern sein.«
»Sie ist süchtig«, sagte Mintje. »Was hast du ihr gespritzt?« In ihrer Aufregung duzte sie den Doktor.
»Nur ein Beruhigungsmittel. Oder denkst auch du, ich will sie umbringen?«
»Dann müsstest du verrückt sein. Mord vor einem Zeugen«, sagte Mintje schockiert. »Ich wusste, dass sie gefährlich ist.«
*
»Dave war mein Bruder«, begann er stockend. »Hans-David Gottschalk, gestorben im Alter von einundzwanzig Jahren an einer Überdosis Heroin. Niemand konnte ihn retten. Ich war bei ihm, als er starb. Es war furchtbar. Elf Jahre habe ich gebraucht, um es zu überwinden, und als ich endlich wieder Glück empfinden konnte, musste sie kommen. Wird es jetzt noch für mich ein Leben mit Julia geben?«
Sie waren in die Küche gegangen. Mintje wollte sich entfernen, aber Harald hatte sie gebeten zu bleiben.
»Du musst alles wissen, Mintje«, hatte er gesagt.
Sie machte sich am Herd zu schaffen. Sie setzte Wasser auf.
»Sprich weiter, Harald«, sagte sie bebend. In all den Jahren war er wie ein Sohn für sie geworden.
»Wird Julia mich verstehen?«, fragte er. »Ich konnte es ihr nicht sagen.«
»Ich wüsste nicht, warum sie dich nicht verstehen sollte«, sagte Mintje spontan.
»Ich war mit Violet verlobt«, fuhr Harald fort. »Vier Wochen waren wir verlobt.« Seine Stimme klang abgehackt. Man spürte, dass er sich widerwillig daran erinnerte. »Mein Vater war im diplomatischen Dienst in der Türkei. Dave war bei ihm. Er schrieb mir, dass Dave nicht gesund sei und er ihn zu mir schicken wolle. Ich war Assistenzarzt an einer großen Klinik. Dave kam.«
Klirrend stellte Mintje Gläser auf den Tisch, gab Zucker hinein und Rum und goss das kochende Wasser auf.
»Er war süchtig«, sagte Harald. »Mein Vater hatte es nicht gewusst, aber ich sah es sofort. Ich war so töricht zu glauben, dass ich ihn heilen könnte. Ich bat Violet, auf ihn aufzupassen, wenn ich im Dienst war. Und wie hat sie auf ihn aufgepasst!« Er stöhnte. »Ich habe sie nicht richtig gekannt. Ich wusste nicht, dass sie alles ausprobieren musste. Sie machte alles schlimmer. Aber das merkte ich erst, als es zu spät war. Dave hatte sich in sie verliebt. Er war ihr hörig. Er kaufte ihr alles, was sie wollte. Sie hatte bald heraus, dass sie alles von ihm verlangen konnte, wenn er im Rausch war, und sie beschaffte ihm Heroin.«
»Das