Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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kommst du aber mal nach Schoeneich«, sagte Henrik.

      Er spürte auch, dass um ihn herum etwas vorging und wollte noch möglichst viel von seiner kleinen Freundin haben.

      *

      »Julia will kommen, Mintje«, sagte Harald.

      »Es wird gut sein«, erwiderte sie ruhig. »Und es wird alles gut werden.«

      »Du hast dir viel Sorgen um mich gemacht.«

      »Eine Mutter macht sich Sorgen um ihr Kind. Mir geht es nicht anders als Julia. Für sie ist Dodo auch ihr Kind.«

      »Meine gute Mintje! Zu seinem Kind sagt man aber nicht Herr Doktor!«

      In ihren Augen schimmerten Tränen, als sie sich zu ihm umwandte. Sie legte ihre verarbeiteten Hände um sein Gesicht. »Mein guter Junge«, flüsterte sie, »es kommt nicht darauf an, was man sagt, nur darauf, was man fühlt. Die Eckbank werden wir mitnehmen. Hat sie Platz in Julias Küche?«

      »Sie hat auch eine Eckbank«, erwiderte Harald mit einem flüchtigen Lächeln. »Wir nehmen nichts mit, Mintje. Wir lassen alles zurück. Die ganze Vergangenheit lassen wir zurück.«

      »So soll es sein«, sagte sie. »Aber die Reiseandenken vom Käpt’n müssen wir mitnehmen. Wir können sie ja in Kisten verpackt lassen, bis Dodo erwachsen ist.«

      »Sie wird unser Kind sein, Mintje«, sagte Harald gedankenverloren.

      »Ein bisschen war sie das schon immer«, sagte sie.

      Und sie wussten nicht, wie sehr es Dodo jetzt schon in Gedanken war. Die Träume und Wünsche nahmen Gestalt an. Dodo lebte bereits in der Zukunft.

      Zum ersten Mal war Dodo in Schoeneich. Henrik führte sie durch die Räume. Natürlich musste sie zuerst sein Zimmer sehen, in dem die Kogge ihren Ehrenplatz hatte.

      Dodo betrachtete diese stumm. Sie konnte sich noch genau erinnern, wie Großväterchen sie gebaut hatte. Es war nach jener Sturmnacht gewesen, an die sie sich nicht erinnern wollte.

      Nein, sie wollte sich nicht daran erinnern, und sie wollte auch nicht mehr daran denken, dass ihre Mutti einen kleinen Leberfleck unter dem Ohrläppchen hatte, den Julia nicht besaß. Sie schwieg.

      »Ich bin sehr stolz darauf«, versicherte Henrik, nicht ahnend, welche Gedanken in Dodo erwachten.

      Doch dann sah sie, wenig später, in Denises Biedermeiervitrine die Malachitschale.

      Ihre Augen verdunkelten sich. Denise war an ihre Seite getreten. »Dein Großvater hat sie mir geschenkt«, sagte sie.

      »Dann muss er dich sehr liebgehabt haben«, sagte Dodo. »Von allen Dingen hat er sie am meisten gemocht.«

      »Das wusste ich nicht«, sagte Denise beklommen, und sie fragte sich, warum ihre Wahl gerade auf diese Schale gefallen war.

      »Sie bringt Glück«, erklärte Dodo. »Sie hat Radima gehört.«

      Es mutete seltsam an, dass sie ihre Großmutter mit dem Vornamen nannte.

      »Ich habe sie nie gekannt«, fuhr Dodo fort. »Großväterchen hat mir viel von Radima erzählt. Sie war sehr klug. Er hat immer gesagt, dass ich auch einmal so klug werden soll.«

      »Du bist sehr gescheit, Dodo«, meinte Henrik anerkennend. »Viel gescheiter als die meisten Kinder.«

      Hätte man sie nicht vor sich gesehen, so klein und zierlich, und nicht ihre Kinderstimme vernommen, hätte man meinen können, eine lebenserfahrene Frau spräche diese Worte.

      Doch danach war Dodo plötzlich verwandelt. Sie wollte spielen. Sie war eine der Lebhaftesten. Sie war so, wie Henrik sie sich wünschte.

      »Weißt du, Alexander«, sagte Denise später gedankenvoll zu ihrem Mann, »ich glaube, dass sie jetzt ganz bewusst jede Erinnerung verdrängt. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass sie auch schon weiß, dass Julia Pahlen nicht ihre Mutter ist. Aber sie will es nicht wahrhaben, und das ist gut. Sie wird die Liebe, die Julia ihr entgegenbringt, doppelt empfinden, als ein Geschenk, nicht als etwas Selbstverständliches.«

      »Sie ist doch noch so klein«, sagte Alexander.

      »Es wird manches anders sein als früher. Frauke war krank, auch das könnte mit der Zeit Dodo wieder bewusst werden. Sie wird eine Familie haben, auch wieder einen Vater. Sie wird erst richtig Kind sein dürfen. Wilm Brodersen war ein alter Mann, dem das Leben alles genommen hatte, was er liebte. Nur Dodo durfte er behalten, und er liebte sie abgöttisch. Aber ich zweifle, dass eine solche Liebe gut für ein Kind ist. Er hat sich wohl selbst Gedanken darüber gemacht und deshalb gewollt, dass Dodo nach Sophienlust kommt.«

      »Du weißt dies alles besser als ich, Isi«, sagte Alexander. »Du wirst, wie immer, recht haben.«

      Dodo dagegen dachte für sich an diesem Abend, dass alles gut und schön sei und sie auch viel Spaß gehabt hätte. Aber Hannibal war des Herumziehens wohl müde. Er wollte endlich wieder einen angestammten Platz haben und wissen, wohin er gehörte.

      »Jetzt sind wir ja bald alle zusammen, Hannibal«, tröstete sie ihn. »Mintje wird auch da sein und dir schöne Knochen geben, und du brauchst nicht mehr eifersüchtig sein auf andere Hunde. Du bist dann unser einziger Hund.« Und wieder geriet sie ins Träumen.

      *

      Am Donnerstagmorgen fuhr Julia. Ihre Doktorarbeit hatte sie beendet. Sie wunderte sich, dass sie sich überhaupt noch darauf hatte konzentrieren können, aber es war immer ihr Prinzip gewesen, nichts halb zu tun und später, wenn sie erst Mutterpflichten zu erfüllen hatte, war die Zeit knapp.

      Sie hatte auch überlegt, ob sie nicht lieber fliegen solle, aber bei diesem wechselhaften Wetter war mit Verzögerungen zu rechnen, und sie gelangte mit dem Wagen wohl besser ans Ziel.

      Die Fahrt verlief bis kurz vor Wilhelmshaven ohne Zwischenfälle. Da begann es zu regnen. Seit Julia bei einem solchen Regen einmal ins Schleudern gekommen war, fuhr sie ganz besonders vorsichtig und hier musste sie auch noch aufpassen, dass sie die Straße nicht verfehlte. Es war kaum etwas zu erkennen. Vor ihr war ein anderer Wagen, und nach dessen Schluss­lichtern richtete sie sich, aber dann sah sie die Abzweigung, die Harald ihr glücklicherweise genau beschrieben hatte.

      Kaum war sie dort eingebogen, hörte sie hinter sich das Kreischen von Bremsen und einen gewaltigen Krach. Sie hielt an und schaute zurück, aber sie konnte kaum etwas erkennen.

      Sie stieg aus, vernahm laute Stimmen und bald darauf das Heulen von Sirenen und wunderte sich, wie schnell Polizei und Krankenwagen da waren, deren Blau- und Rotlicht sie sehen konnte.

      Ein Polizist sperrte schon die Unglücksstelle ab. »Was ist passiert?«, fragte Julia, die zurückgelaufen war.

      »Haben Sie etwas gesehen?«, fragte er. »Es ist jemand überfahren worden.«

      »Ich habe nur die Bremsen gehört«, sagte sie leise.

      »Dann fahren Sie weiter. Sie werden ja ganz nass.«

      Der Regen strömte über ihr Gesicht. Es war, als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet. Ein Grauen kroch über ihren Rücken, als sie sich wieder ans Steuer setzte. Wenig später wäre sie es vielleicht gewesen, die einen Menschen überfahren hätte. Der andere Wagen konnte nicht weit hinter ihr gewesen sein, und wenn sie nicht abgebogen wäre, wäre sie vielleicht noch in den Unfall verwickelt worden.

      Sie brauchte Minuten, bis sie weiterfahren konnte, dann war sie noch vorsichtiger. Die Straße war still und dunkel und vom Wasser überflutet. Sie hatte das Gefühl zu schwimmen.

      *

      »Dieses Wetter«, schimpfte Mintje. »Muss es ausgerechnet heute so regnen. Julia wird den Weg gar nicht finden. Wenn wir nur wüssten, wann sie kommt, dann könntest du ihr entgegenfahren, Doktor.«

      »Wie heißt es?«, fragte er.

      »Min Jong«, berichtigte sie sich.

      Er hörte es gern. Mintje ahnte wohl gar nicht, wie viel Trost sie ihm in diesen


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