Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Asta kämpfte mit den Tränen. »Es tut mir leid, Reni. Ich bin vergeblich gekommen. Kann ich dir helfen?«
»Du meinst es gut, Asta. Außerdem glaubst du, dass es nicht anständig wäre, Bodos Frau zu werden. Aber du brauchst dich nicht zu schämen. Von mir wirst du nie einen Vorwurf zu hören bekommen.«
»Du irrst dich, Reni. Ich würde Bodo selbst dann nicht heiraten, wenn er tatsächlich frei wäre.«
»Liebst du ihn nicht mehr?« Reni fragte es mit großer Verwunderung. »Ich hätte geschworen, dass du nie aufgehört hast, ihn zu lieben.«
»Es ist nicht leicht, diese Frage zu beantworten, Reni. Ich fühle mich Bodo innerlich stark verbunden. Das abzustreiten, wäre eine Lüge. Trotzdem könnte ich ihn nicht heiraten.«
»Überdenke es noch einmal gründlich«, riet Reni ihr.
»Du bist die geborene Gutsherrin. Wahrscheinlich passt du besser nach Hellendorf als ich.«
»Es gibt nur eine Herrin von Hellendorf. Die bist du. Leb wohl, Reni. Dieses Gespräch hat mich sehr traurig gemacht.«
»Du hättest es dir und mir ersparen können, Asta.«
Sie reichten einander die Hände, höflich und kühl.
Reni begleitete Asta zu ihrem Wagen. Danach lief sie zum Pavillon, wo Manuela inzwischen den Schlossturm aus Plastikteilchen um ein ganzes Stück erhöht hatte.
»Fein, Gitti«, lobte sie das Kind und ließ sich wieder auf dem Fußboden nieder. »Jetzt bauen wir das Dach.«
»Was wollte die fremde Dame von dir, Tante Reni?«, fragte Manuela mit blanken neugierigen Augen.
»Nichts Besonderes, Gittilein. Es war ganz unwichtig. Jetzt ist sie längst wieder weg.«
Reni begann eine kunstvolle Dachkonstruktion zu errichten. Darüber geriet Asta Berners kurzer Besuch rasch wieder in Vergessenheit.
Am Nachmittag, als die Schulkinder wieder da waren, ritt Reni mit Irmela, Pünktchen und Manuela ein Stück durch den Wald. Manuela fühlte sich nun schon ziemlich sicher auf dem Rücken ihres flinken Ponys.
»Wenn du bei mir bleibst, bekommst du später ein richtiges großes Pferd, damit du reiten lernst wie Irmela«, versprach Reni dem kleinen Mädchen, als sie die Tiere wieder in den Stall führten.
»Warum soll ich bei dir bleiben, Tante Reni?«, fragte Manuela mit großen Augen. »Mutti und Papa holen mich nämlich wieder ab. Ich weiß bloß nicht, wie lange es dauert.«
Reni legte einen Arm um Manuela. »Hast du mich lieb, meine kleine Gitti?«, raunte sie ihr ins Ohr.
»Hm, lieb schon, Tante Reni. Ich spiele auch gern mit dir, dass ich Gitti heiße. Aber in Wirklichkeit bin ich die Manuela.«
»Natürlich, mein Kleines.«
Ich muss noch ein Weilchen Geduld haben, dachte Reni und wollte sich nicht eingestehen, dass sie vorläufig bei Manuela nichts erreicht hatte.
*
»Es tut mir leid, Bodo. Ich habe nichts erreicht bei Reni. Sie ist seelisch gestört. Ob Dr. Volkert überhaupt schon einen Fortschritt bei ihr erzielt hat, scheint mir fraglich.«
»Er soll ausgezeichnet sein, Asta. Man darf wohl keine Wunder erwarten.« Bodo von Hellendorf war in diesen kurzen Wochen abgemagert und litt unter Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit. Zwar versah er seine Pflichten als Gutsherr gewissenhaft, doch tat er diese Arbeiten nur aus Gewohnheit und rein automatisch. Wenn es Abend wurde, saß er in seinem Zimmer und grübelte. Oft zog das Licht des neuen Tages schon am Horizont herauf, wenn er endlich die Lampe löschte und zu Bett ging. Er war Asta dankbar, dass sie so oft wie möglich zu ihm nach Hellendorf kam. Denn er hatte sonst keinen Menschen, mit dem er über die Dinge, die ihn bedrückten, sprechen konnte.
Asta schüttelte ungeduldig den Kopf. »Aber es kann nicht so weitergehen, Bodo. Reni hat sich in die fixe Idee verrannt, das Kind der spanischen Arbeiterfamilie, das ein wenig an Gitti erinnert und auch etwa im gleichen Alter ist, zu sich zu nehmen?«
»Wäre das nicht ein Ausweg und Trost?«, fragte Bodo. »Handelt es sich um eine Waise?«
»Das steht nicht fest. Man forscht nach den Eltern. Der Vater war schwer erkrankt. Die Mutter wurde telegrafisch nach Barcelona gerufen. Seither haben die beiden nichts von sich hören lassen. Reni rechnet fest damit, dass sie das Kind für sich beanspruchen kann. Es ist möglich, dass sie Recht hat. Ich kann es nicht beurteilen.«
»Wenn es Renis Wunsch ist, so hätte ich gegen eine Adoption absolut nichts einzuwenden. Im Gegenteil, ich wäre auch dafür.« Bodos Stimme klang etwas lebhafter als gewöhnlich.
»Reni will die Kleine nicht nach Hellendorf bringen, Bodo«, erklärte Asta leise und zögernd. »Sie wurde sehr ärgerlich, als ich diese Vermutung äußerte. Nach wie vor fordert sie von dir die Scheidung. Ich soll dir ausrichten, dass sie nie wieder einen Fuß nach Hellendorf setzen wird.«
Bodos Gesicht wurde noch um einen Schein blasser. Die Linien von Sorge und Leid, die sich darin eingegraben hatten, traten deutlicher hervor.
»Was soll ich tun, Asta?«, fragte er mit einem schmerzlichen Seufzer. »Muss ich nachgeben und Renis Bitte erfüllen, oder ist es meine Pflicht, abzuwarten? Gibt sie mir auch heute noch die Schuld an Gittis Tod? Habt ihr darüber reden können?«
»Ich versuchte es. Aber Reni ist völlig unzugänglich. Man redet gegen eine Wand.«
»Ich sehe allmählich keinen Ausweg mehr aus unserer Lage, Asta. Vielleicht ist es falsch, dass ich mich gegen die Scheidung wehre. Reni will von mir los, und ich lasse es nicht zu. Es wäre sogar denkbar, dass sie erst dann gesund werden kann, wenn sie frei ist.«
Es war dunkel draußen, doch im großen Wohnzimmer des Gutshauses von Hellendorf brannte die Lampe und verbreitete helle Gemütlichkeit. Zwei Weingläser standen auf dem Tisch, dazu eine Schale mit Käsegebäck und Früchten, die Emmi zurechtgemacht hatte.
Bodo stand aus seinem tiefen Ledersessel auf und trat dicht vor Asta hin. Schwer legten sich seine Hände auf ihre Schultern. »Ich hätte diese Zeit kaum überstanden ohne dich, Asta«, kam es mühsam über seine Lippen. »Den Dank, den ich dir schulde, werde ich wohl nie abtragen können. Ich muss mich jetzt fragen, ob meine Ehe mit Reni ein Irrtum war. Sollten Mann und Frau nicht zusammenhalten, wenn etwas so Schreckliches geschieht? Ist Renis Verhalten nicht der Beweis dafür, dass sie mir kein Vertrauen schenken kann?«
Asta versuchte sich zu befreien, doch es war ihr unmöglich. Deutlich wurde ihr bewusst, dass Bodo den Zustand des Wartens und der Ungewissheit nicht mehr ertrug. Auch sagte ihr eine innere Stimme, dass er um sie werben wolle, falls er Reni verlieren sollte. Deshalb erschrak sie sehr. Was sie Reni gegenüber erklärt hatte, war die reine Wahrheit. Sie wollte Bodo nicht heiraten. Hatte sie einen Fehler begangen, indem sie allzu oft nach Hellendorf gefahren war?
»Reni ist krank, Bodo«, flüsterte sie mit versagender Stimme. »Du darfst nicht auf sie hören. Du liebst sie doch.«
»Ich bin nur ein gewöhnlicher Mensch, Asta. Irgendwo kommt für jeden die Grenze des Erträglichen. Bei mir ist sie fast erreicht. Wenn nicht bald eine Wendung eintritt, werde ich mich mit Reni in Verbindung setzen und jede ihrer Bedingungen in Bezug auf eine Scheidung erfüllen. Allerdings würde ich dann nicht mehr allein bleiben. Ich würde dich …«
Nun gelang es Asta, sich mit einer raschen Bewegung von den auf ihren Schultern lastenden Händen zu befreien und aufzuspringen.
»Du darfst nicht weitersprechen, Bodo. Ich könnte sonst nicht wiederkommen«, rief sie aus, ehe er seinen Satz vollenden konnte.
Traurig sah er sie an. »Asta, wir waren doch einmal miteinander verlobt«, sagte er leise. »Hast du das vergessen?«
»Es ist viel zu lange her, Bodo. Verzeih mir, bitte. Ich bin bereit, über deine Sorgen mit dir zu sprechen. Aber von der Scheidung will ich kein einziges Wort mehr hören. Es ist hart für dich. Niemand weiß das besser als ich.