Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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Dass Clemens ihn in einem Kinderheim untergebracht hatte, schockierte sie.

      »Das Kinderheim ist einmalig schön und ein echtes Kinderparadies«, erwiderte Clemens. »Oliver hat sich bereits eingelebt.«

      Für Marianne stand fest, dass irgendetwas in der bisher so guten Ehe der Wendts vorgefallen war. Der kleine Junge tat ihr unendlich leid, weil er am meisten unter dem Zerwürfnis seiner Eltern leiden musste. »Ihre Frau hat heute Morgen angerufen. Sie wird am Abend hier sein«, richtete sie Clemens aus.

      Clemens verschwand in seinem Arbeitszimmer, wo er die Tagespost durchblätterte. Aber dann schob er die Briefe und Prospekte nervös von sich und stand auf, um sich einen Whisky einzuschenken. Mit dem Glas in der einen Hand und der Zigarette in der anderen blickte er hinaus in die Abenddämmerung. Dass Gesa immer noch nicht da war, war ihm unverständlich.

      Als er endlich ihr Auto kommen hörte, trat er rasch vom Fenster zurück und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Dort drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus und beschäftigte sich wieder mit der Post. Dabei lauschte er angespannt nach draußen. Er hörte Gesa das Hausmädchen fragen: »Ist mein Mann da? Oliver ist gewiss schon im Bett. Es ist leider ziemlich spät geworden. Ich bin auf der Autobahn nur langsam vorwärtsgekommen. Ich lauf’ mal schnell hinauf, um Oliver noch einen Gutenachtkuss zu geben!«

      Was Marianne antwortete, verstand Clemens nicht, weil sein Blut unerträglich laut in seinen Ohren rauschte.

      Und dann betrat Gesa sein Zimmer. »Clemens, Marianne sagte mir soeben, dass du Oliver in ein Kinderheim gebracht hast«, rief sie außer sich. »Guten Abend«, sagte sie etwas leiser und wollte ihm einen Kuss geben.

      Clemens stieß sie zurück.

      Erschrocken richteten sich Gesas dunkle Augen auf ihn. »Was ist geschehen? Warum bist du so abweisend? Und warum hast du Oliver in ein Kinderheim gebracht? Weil ich für ein paar Tage bei Ulla Sander war? Wenn sie nicht so schwer krank gewesen wäre, hätte ich Oliver bestimmt mitgenommen.«

      Clemens atmete schwer. Es quälte ihn, dass er Gesa nicht in die Arme nehmen und küssen durfte. Noch niemals war sie ihm so schön, so begehrenswert erschienen wie in diesem Augenblick. Ihr dunkles Haar war leicht zerzaust vom Wind, ihre Wangen zeigten einen rosigen Schimmer, ihre Augen wirkten wie dunkler Samt. Sie trug hellblaue Hosen, dazu einen dunkelblauen Pullunder über einer langärmeligen modischen Hemdbluse. Doch das, was Clemens vor einigen Tagen von einem seiner Laboranten in seinem chemischen Werk erfahren hatte, gab ihm die Kraft, hart zu bleiben.

      »Clemens, ich flehe dich an, sprich endlich!«, rief Gesa erregt. »Ich sehe dir an der Nasenspitze an, dass irgendetwas Furchtbares passiert ist. Oliver? Ist der Junge verunglückt?«

      »Oliver geht es gut. Ich habe ihn in ein Kinderheim gebracht.« Er wich ihrem Blick aus.

      »Wie konntest du nur!« Erschüttert suchte sie nach einem Halt. »Noch heute hole ich ihn nach Hause. Gib mir die Adresse des Kinderheims.«

      »Das Kinderheim ist viele hundert Kilometer von München entfernt, meine Liebe. Vorläufig wird Oliver auch dort bleiben.«

      »Clemens, bist du verrückt geworden?« Gesa sank auf einen Stuhl.

      »Verrückt? Nein, das bin ich gewiss nicht. Noch niemals war ich vernünftiger als in diesem Augenblick. Seit einem Monat habe ich einen neuen Laboranten. Er kommt aus Hamburg. Du müsstest ihn kennen. Er heißt Gerhard Winkler.«

      »Gerhard Winkler? Ich kenne ihn nicht, Clemens. Was willst du damit sagen?«, fragte Gesa gequält.

      »Ich bin hinter dein Geheimnis gekommen.« Kalt erwiderte er ihren ratlosen Blick. »Herr Winkler hat mir die Augen über dich geöffnet. Unabsichtlich natürlich.«

      »Ein Geheimnis? Was für ein Geheimnis?« Der Boden schien unter ihr zu beben. Konnte denn das Schicksal so grausam sein? Gab es wirklich solche Zufälle? »Was für ein Geheimnis?«, wiederholte sie mit ersterbender Stimme.

      »Tu doch nicht so, als ob du mich nicht verstehen würdest. Wir sind ungefähr fünf Jahre verheiratet, nicht wahr?«

      »Etwas über vier, Clemens.«

      »Gerhard Winkler war mit einem gewissen Mathias Rolland befreundet.«

      Gesa nickte. »Dann weißt du es also?«

      »Ja, ich weiß alles.« Seine Stimme überschlug sich vor Erregung. »Ich weiß, dass du mich in all den Jahren belogen hast. Dass du ein außereheliches Kind geboren hast, von dem du dich leichten Herzens getrennt hast!«

      »Ich war verzweifelt, Clemens. Bitte, hör’ mich erst einmal an, bevor du mein Verhalten verurteilst.« Gesa umklammerte die Seitenlehnen des Sessels so fest, dass die Adern auf ihren Handrücken dick anschwollen.

      »Sei nicht so grausam«, flehte sie.

      »Ich höre.« Er zündete sich eine Zigarette an.

      Gesa las in seinen Augen nur Verachtung. Es fiel ihr schwer, mit ihrer Beichte zu beginnen. Stockend erzählte sie: »Wie du weißt, habe ich meine Eltern mit vierzehn Jahren verloren. Ich lebte nach ihrem Tod bei einer Tante, die bald krank wurde und ganz auf meine Pflege angewiesen war. Jahrelang kam ich kaum aus dem Haus. Als meine Tante starb, hinterließ sie mir ihr kleines Haus und ein wenig Bargeld. Die schönsten Mädchenjahre lagen hinter mir. Ich war einundzwanzig und hatte keinerlei Ausbildung genossen. Ich verkaufte das Haus und entschied mich, Krankenschwester zu werden.

      Und dann lernte ich Mathias Rolland kennen. Er faszinierte mich vom ersten Tag an. Wenige Tage später war ich seine Sklavin. Ich war unendlich glücklich, weil ich ihn mit der ganzen Kraft meines liebebedürftigen Herzens innig liebte. Ich hatte auch kein Interesse mehr für meinen Beruf. Ich lebte wie in einem Rausch.« Gesa presste ihre bebenden Hände erregt gegeneinander.

      Clemens stand auf und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. »Deine rührselige Liebesgeschichte interessiert mich nicht«, erklärte er mit einem eisigen Blick. »Ich will sie nicht hören.«

      »Aber sie gehört zu meiner Beichte, Clemens. Sie ist das A und O meiner Geschichte.« Gesa konnte nicht begreifen, dass das der gleiche Mann war, der sie in der Nacht vor ihrer Reise nach Hamburg zärtlich in den Armen gehalten hatte. Dieser Mann, der sie jetzt mit so feindseligen Augen ansah, war für sie ein Fremder. Eiseskälte kroch ihr durch die Glieder. »Clemens, bitte …«

      Gesa ahnte nicht, dass jedes Wort ihrer Beichte für Clemens eine unerträgliche Pein war. Er war eifersüchtig auf diesen Mathias Rolland, liebte Gesa mehr denn je und sehnte sich danach, sie zu küssen.

      »Komm zu Ende!«, rief er unbeherrscht und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.

      Krampfhaft schluckte Gesa die Tränen hinunter und fuhr in ihrem Bericht fort. »Das Erwachen aus meinem Liebesrausch war furchtbar. Als ich von einem Arzt, den ich wegen gewisser Unstimmigkeiten in meinem Körper aufgesucht hatte, erfuhr, dass ich ein Kind erwartete, war ich überglücklich. Mathias aber tobte. Er verlangte von mir, dass ich mir das Kind nehmen lassen solle. Aber ich weigerte mich, weil ich das Kind haben wollte.

      Eine Woche später war Mathias fort. Nun erinnerte ich mich auch wieder an seinen Freund Gerhard Winkler. Er war einigemale mit Mathias und mir beisammen. Ich traf ihn später kurz vor meiner Entbindung. Als ich ihn nach Mathias fragte, erfuhr ich, dass der Vater meines Kindes nach Brasilien gegangen war und inzwischen geheiratet hatte.

      Meine Ausbildung als Krankenschwester hatte ich wieder aufgenommen, nachdem Mathias mich verlassen hatte. Eine meiner Kolleginnen redete mir zu, das Kind sofort nach der Geburt zur Adoption freizugeben, um mein Leben nicht zu belasten. Ich war so verzweifelt, dass ich zu allem ja und amen sagte. Danach brauchte ich das Kind nur noch zur Welt zu bringen. Das Ehepaar, dem ich das Kind zur Adoption überlassen hatte, habe ich nur ein einziges Mal ganz kurz gesehen. Ich weiß auch nicht, wie mein Kind getauft worden ist. Ich …« Gesa brach in Tränen aus. Aufschluchzend warf sie die Hände vors Gesicht. »Clemens, versteh doch!«, rief sie. »Ich war jung und schrecklich allein. Als ich dich kennen lernte, fühlte ich mich unendlich geborgen in deiner Nähe. Glaub’ mir, ich wollte dir von dem Kind erzählen.


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