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sich zu ihm. Sie nippte nur an ihrem Milchglas. Der Blick ihrer blauen Augen richtete sich mit einem zerquälten Ausdruck auf ihn.

      »Hast du irgendetwas?«, fragte Roy.

      »Ich habe nur an Mummy gedacht«, erwiderte sie. Es war, als wollte sie ihn immer wieder an Mary erinnern. Bei jeder Gelegenheit sprach sie von ihr. Dass sie heftige Gewissensbisse hatte, ahnte Roy nicht. Denn mit der Nachmittagspost war wieder ein blauer Brief gekommen. Diese nach einem zartem Parfüm duftenden Briefe waren Daisy ein Dorn im Auge. Dass ihr Daddy nie über Renate Hagen sprach, war für sie der sichere Beweis dafür, dass er mit dieser Frau irgendwelche Geheimnisse hatte. Deshalb hatte sie den Brief an sich genommen. Nun lag er in ihrer Kommode zwischen ihrer Wäsche. Sie hatte es nicht gewagt, ihn zu zerreißen.

      »Ist heute Post gekommen?«, fragte Roy und sah seine Tochter fragend an.

      Daisy wurde dunkelrot und senkte den Kopf. Auf einmal fühlte sie sich sehr schlecht. Sie dachte an ihre Mummy, die sicherlich empört über ihre Handlungsweise gewesen wäre.

      Daisy stand auf und lief nach oben. Mit dem Brief in der Hand kam sie kleinlaut in die Küche zurück. Trotzig sah sie ihren Vater an und sagte: »Ich habe … ich wollte … Dieser Brief ist gekommen.«

      Roy nahm ihn still entgegen. Es war für ihn nicht schwer zu erraten, was in Daisy vorging. Auch vermutete er, dass sie ihm den Brief hatte unterschlagen wollen. Aber er machte keine Bemerkung über seinen Verdacht.

      Daisy räumte das Geschirr ab und spülte es dann ab. Roy las währenddessen Renates Zeilen. Sie schrieb, dass ihr Urlaub jetzt abgelaufen sei und dass sie in den nächsten Tagen nach Ulm zurückfahren müsse, wo sie in einem Krankenhaus angestellt sei. Aber er brauche sich keine Sorgen um Jeremy zu machen. Er fühle sich sehr wohl in Sophienlust, und sie werde jedes freie Wochenende nach Sophienlust fahren, um ihn zu besuchen.

      Roy ließ den Brief sinken. »Ich werde Jeremy bald heimholen, Daisy«, sagte er.

      »Mag er denn überhaupt noch zu uns nach Hause? Schwester Renate hat ihn bestimmt gegen uns aufgehetzt!«, rief sie mit bebenden Lippen.

      »Renate würde so etwas nie tun, Daisy.« Seine Stimme hatte schärfer geklungen, als er gewollt hatte. Daisy zuckte bei seinen Worten zusammen und lief hinaus Roy blieb sitzen. Er rührte sich auch nicht, als er hörte, dass die Haustür laut zugeworfen wurde.

      Tommy kratzte bald darauf aufgeregt an der Haustür. Endlich raffte sich Roy auf und erhob sich. Er ließ Tommy hinaus, der sofort Daisy nachlief. Sie saß zusammengekrümmt auf der Bank unter der uralten Eiche und schluchzte hemmungslos. Sie war überzeugt, dass sie keiner mehr lieb habe. Selbst ihr Daddy war jetzt böse auf sie.

      Roy räumte zunächst das Geschirr ein. Erst dann suchte er nach seiner Tochter. Daisy ließ sich von ihm willig ins Haus zurückbringen, aber sie war unansprechbar.

      »Geh jetzt schlafen, Daisy.«

      »Ich muss aber meine Schulaufgaben noch machen!«, rief sie aufsässig.

      »Ich schreibe dir einen Entschuldigungszettel, Daisy. Du musst sofort ins Bett.«

      »Glaubst du nicht, dass Miss Hunter mich schimpfen wird?« Miss Hunter war ihre Lehrerin.

      »Wenn du Angst hast, dann bleib morgen daheim, Daisy.«

      Daisys Trotz wich kindlicher Dankbarkeit. »Wirklich, Daddy?«, fragte sie und umarmte ihren Vater.

      »Du bist doch mein liebes kleines Mädchen«, sagte er weich. »Ich weiß ja, wie schwer alles für dich ist. Schlaf gut, mein Schatz.«

      »Du auch, Daddy. Komm, Tommy!« Daisy rief nach ihrem Hund und stieg die Holztreppe hinauf.

      Roy verließ währenddessen das Haus. Gewaltsam zog es ihn zum Friedhof. Dort fand er meist ein wenig Ruhe. Lange stand er vor dem Grab seiner Frau und hielt stumme Zwiesprache mit ihr. Aber diesmal fiel die Unruhe nicht von ihm ab.

      Langsam kehrte Roy nach Hause zurück. Über ihm wölbte sich ein sternenklarer Himmel. Die Luft war erfüllt vom Zirpen der Grillen und vom Quaken der Frösche.

      »Mary, meine kleine Mary«, flüsterte Roy verzweifelt. Und dann dachte er plötzlich an Renate Hagen. Der Wunsch, mit ihr zu sprechen, ihre liebe weiche Stimme zu hören, in ihre samtbraunen Augen zu blicken, wurde so übermächtig in ihm, dass er aufstöhnte.

      Als Roy das Haus von weitem erblickte, sah er Licht im Wohnzimmer. Hatte er es brennen lassen?, fragte er sich. Aber er konnte sich genau entsinnen, dass er es ausgeknipst hatte, bevor er fortgegangen war.

      Daisy saß im Ohrensessel, als Roy ins Zimmer trat. Sie hatte das karierte Plaid um sich geschlagen und schlief fest. Nur Tommy erhob sich gähnend und sah ihn mit vorwurfsvollen Augen an.

      »Ist schon gut, mein Alter«, sagte Roy lächelnd und fuhr ihm über den Kopf.

      Daisy schlug jetzt die Augen auf. »Ich habe so sehr auf dich gewartet, Daddy. Wo warst du denn so lange?«

      »Ich war auf dem Friedhof, Daisy.« Roy setzte sich auf die Seitenlehne des Sessels und strich seiner Tochter übers Haar. »Du solltest doch längst schlafen, mein Schatz. Es ist gleich zehn.«

      »Daddy, ich wollte dir Gesellschaft leisten, weil du doch so einsam bist ohne Mummy.« Daisy schmiegte sich an ihn. »Ich bin auch einsam.« Sie schluchzte leise auf. »Weil doch Jeremy auch fort ist. Ich wünschte, er wäre hier.«

      Zärtlich strich Roy seiner kleinen Tochter eine helle Strähne aus der runden Stirn. »Ich sehne mich auch nach ihm. Ich glaube, wir sollten ihn heimholen. Aber wir müssen damit noch warten, bis die Ernte eingebracht ist.«

      »Wie lange dauert das denn noch?«

      »Zwei bis drei Wochen.«

      Roy hatte plötzlich das Gefühl, dass er in dieser Stunde mit Daisy offen über seine Gefühle für Renate Hagen sprechen könne. Sie schien vernünftiger geworden zu sein. Er stand auf und holte Renates letzten Brief aus der Schreibtischschublade.

      »Ich habe auf dem Heimweg nachgedacht, Daisy. Lucy Miller wäre wirklich nicht die richtige Hilfe für uns. Renate Hagen oder Schwester Regine, wir ihr Kinder sie nennt, würde viel besser zu uns passen.«

      Daisys Miene verschloss sich. Ein grübelnder Ausdruck verdunkelte ihren Blick. Aber sie sagte nichts.

      »Schwester Renate ist ein wertvoller lieber Mensch«, fuhr Roy fort. »In meinen schwersten Stunden, in den Tagen meiner größten Erschütterung hat sie mir sehr geholfen, Daisy. Ohne ihre tröstenden Worte und ihre Nähe wäre ich am Leben verzweifelt. Sieh, mein Kleines, es mag wohl hart in deinen Ohren klingen, wenn ich sage, dass das Leben weitergeht, dass wir Menschen so geschaffen sind, dass wir vergessen können.«

      »Vergessen? Aber du darfst Mummy doch nicht vergessen!«, fuhr Daisy auf.

      »Daisy, du hast mich falsch verstanden. Ich meine damit, dass wir unseren Schmerz eines Tages überwinden und wieder fröhlicher werden können.«

      »Ich werde nie mehr fröhlich sein, Daddy. Meine geliebte Mummy ist tot.« Sie blickte auf das Bild ihrer Mutter auf dem Schreibtisch ihres Vaters. »Ich will keine neue Mutter haben. Ich will nicht.«

      »Wer spricht denn davon, Daisy? Renate ist für mich eine liebe Freundin. Sie würde …« Er sprach nicht weiter, weil er einsah, dass Daisy doch noch nicht so vernünftig war, wie er gehofft hatte.

      *

      Fast zur gleichen Zeit saßen Renate Hagen und ihre Freundin Regine Nielsen im Zimmer der Kinderschwester bei einer Flasche Wein. Am nächsten Morgen wollte Renate abreisen.

      »Nie hätte ich geglaubt, dass mir der Abschied von hier so schwerfallen würde«, sagte Renate leise. »Besonders die Trennung von Jeremy bekümmert mich.«

      »Um den Jungen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Er fühlt sich sehr glücklich bei uns.«

      »Die Kinder tun auch alles, um ihn froh zu stimmen, Regine.«

      »Und wie schnell er


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