Animant Crumbs Staubchronik. Lin Rina

Animant Crumbs Staubchronik - Lin Rina


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man in das Innenleben der Maschine gelangte, setzte ich mich dort an den Tisch und packte mein Plundergebäck aus. Es war nicht im Geringsten gemütlich hier drinnen und ich nahm mir vor, die ganze hintere Wand von dem Gerümpel zu befreien, sobald ich Zeit dafür fand.

      Meine Gedanken sprangen weiter und wieder zurück zu dem Bibliothekar. Was tat er gerade wohl?, stellte sich mir die Frage und ich sinnierte darüber, während ich einen Schluck Tee trank. Jetzt war er kalt.

      Der Donnerstag begann wie der Tag davor. Ich war wieder ein paar Minuten vor Mr Reed an der Bibliothek und sein morgendlicher Gruß fiel erneut ein wenig freundlicher aus als am Tag zuvor. Ich sortierte die Zeitung, bezahlte Phillip Tams, brachte den Gang ins Archiv mit dem gleichen Schreck in den Gliedern hinter mich und verschwand dann in meiner Kammer, um die Karteikarten für die Maschine zu bedrucken.

      Ich hatte gerade mal die Hälfte der neuen Bücher aus den Kisten geholt, in den Katalog aufgenommen, beschriftet, genietet und die Schlagwörter überflogen, aber es fühlte sich trotzdem nach unglaublich viel an, was ich in den vergangenen drei Tagen geschafft hatte. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, dass Mr Reed jemals stolz auf mich sein würde, aber ich war es und ich würde mir das sicher nicht nehmen lassen.

      Höchstpersönlich lud ich die neuen Bücher auf einen Wagen und brachte sie an die Stellen, an denen sie in Zukunft stehen würden.

      »Entschuldigen Sie, Miss, Sie haben hier nichts verloren«, hörte ich plötzlich ein paar Regalreihen vor mir Oscars Stimme, die ein wenig zu laut klang für die Stille, die in der Bibliothek vorherrschte.

      »Ich muss nur ganz schnell was nachschlagen«, antwortete ihm eine weibliche Stimme, deren kratziger Nachhall mir sofort bekannt vorkam.

      »Nein, Miss. Diese Bibliothek ist ausschließlich den Studenten der Royal University und ihren Gönnern vorbehalten. Sie …«, redete Oscar auf sie ein und wurde unterbrochen.

      »Die alle männlich sind! Schon verstanden. Aber ich pfeif drauf!«, warf die Frau ihm an den Kopf und nun war ich mir sicher.

      Es war Elisa Hemmilton.

      Ich legte das Buch, das ich gerade einsortieren wollte, wieder zurück auf den Wagen und ging mit schnellen Schritten in ihre Richtung.

      »Miss, geben Sie das Buch her!«, fauchte Oscar recht ungehalten und ich sah, wie er sich an das eine Ende eines dicken Wälzers klammerte. Elisa kam in mein Blickfeld, das Gesicht angestrengt verzogen, die Finger um den ledernen Einband geschlossen, an dem sie verzweifelt zog.

      Ich stellte mich neben die Streithähne, die so komisch wirkten, dass man eigentlich über sie hätte lachen müssen. Elisa war einen halben Kopf größer als Oscar, doch er war sicher doppelt so breit wie ihre schmale Statur. Ihre Münder waren wutverzerrt und sie wirkten wie Karikaturen ihrer selbst.

      Geräuschvoll räusperte ich mich.

      Sie zuckten beide so erschrocken zusammen, als hätte ich sie geohrfeigt. Oscars Hände rutschen vom Buch ab. Elisa taumelte einen Schritt zurück.

      »Geben Sie mir das Buch«, sagte ich streng und streckte fordernd die Hand danach aus. Elisa sah mich erst überrascht an, während ich ihren Blick erwiderte, als wäre sie eine Fremde, und dann musterte sie mich misstrauisch mit zusammengekniffenen Augen. Das Buch reichte sie mir widerstandslos.

      Es war schwer und ich konnte mir den Titel nicht ansehen, da ich keinen aus den Augen verlieren wollte, um nicht an Autorität einzubüßen.

      »Miss Crumb«, begann Oscar zu einer Erklärung anzusetzen, doch ich schnitt ihm das Wort ab.

      »Ich kümmere mich darum«, gab ich mit fester Stimme zurück. »Danke, Oscar. Sie können jetzt gehen.« Mein Gesicht regte sich keinen Millimeter aus seiner erhabenen Starre.

      Oscar sah mich mit großen Augen an, während ihm die Röte ins Gesicht schoss, nickte schließlich und nahm Reißaus.

      Ich wartete ab, bis seine Schritte weit genug weg waren, und ließ das Lächeln auf meine Lippen gleiten, das dort schon die ganze Zeit über lauerte.

      »Was machst du denn hier?«, wollte ich wissen und Elisa atmete erleichtert auf.

      »Verdammt, hast du mir einen Schreck eingejagt«, flüsterte sie und wedelte sich mit einem dunkelroten Handschuh Luft zu. »Dasselbe könnte ich dich fragen. Warum in Teufels Namen hört dieser engstirnige Laufbursche auf dich?«

      »Ich arbeite hier«, gestand ich und reichte ihr das Buch zurück. Es war ein Manifest über die Bürgerrechte der Rassen in Amerika. »Ich bin die neue Bibliothekarsassistentin.«

      Es schien beinahe, als müssten Elisa jeden Moment die Augen aus dem Kopf fallen, so schockiert starrte sie mich an.

      »Ach du meine Güte«, entfuhr es ihr und ich beschloss, dass es für uns wahrscheinlich besser wäre, uns an einem Ort zu unterhalten, an dem uns nicht jeder sehen konnte.

      »Komm mit«, bedeutete ich ihr, ging ans Ende des Regals und sah den Gang nach unten. Es war niemand auf dem langen Flur und die Studenten im Lesesaal, die uns möglicherweise hätten sehen können, waren vertieft in ihre Lektüren.

      Wir überquerten den Flur und ich öffnete Elisa die Tür zu der Kammer, in der es immer noch viel zu viel zu tun gab.

      »Das ist doch unvorstellbar!«, platzte es aus Elisa heraus, sobald ich die Tür hinter uns geschlossen hatte. Amüsiert schüttelte ich den Kopf über ihr überschwängliches Gemüt. »Wenn ich das mal gewusst hätte! Unvorstellbar!«, wiederholte sie sich und begann, hin und her zu laufen.

      »Du hast nicht gefragt«, erwiderte ich nüchtern und sie hielt kurz inne, legte das Buch ab und schritt dann weiter.

      »Du hast absolut recht. Ich dachte, es wäre nicht so wichtig, und nun stellt sich heraus, dass du an der Quelle sitzt. Es war arrogant von mir, nicht nachzufragen. Ich hätte mir erspart, mir die Strümpfe an den Rosenbüschen kaputtzureißen, als ich zum Fenster eingestiegen bin«, faselte sie und ich bedachte sie mit einem zweifelnden Blick. Sie hatte einen Hang zur Übertreibung und sicher auch einen zur Theatralik.

      »Elisa, wieso steigst du in eine Bibliothek ein?«, stoppte ich ihren unsinnigen Redefluss und sie sah mich erstaunt an.

      »Weil ich die Bücher brauche!«, sagte sie, als sei es selbstverständlich. »Unsere Bibliothek ist ein Witz gegen diese hier. Wir haben Hunderte Bücher über Haushaltsführung und Kunst. Aber Rechtswesen, Politik, Philosophie sind immer verliehen, weil es so wenige sind, oder sie fehlen gänzlich«, beschwerte Elisa sich und ich setzte mich auf einen Stuhl. Ich zog noch einen heran, den ich schräg neben mir postierte in der Hoffnung, Elisa würde ihren Lauf aufgeben und sich zu mir setzen.

      Doch sie schien zu aufgebracht zu sein, um dieser stillen Aufforderung nachkommen zu wollen. »Sie werfen uns das Wissen häppchenweise hin, als ob wir zu dumm wären, mehr zu begreifen. Ich könnte mir die Haare raufen, aber dann würde meine Gönnerin mich wieder rügen, dass ich rumliefe wie eine Hübschlerin.«

      Es war nicht zum Lachen und trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen. Diese originelle Art, mit der sie Wichtiges und Unwichtiges in einem Satz vereinte, war es, die sie in diesem Moment so witzig machte.

      »Ach, lach doch nicht, Animant«, warf sie mir vor und hatte selbst schon das Lachen halb in der Stimme.

      »Es tut mir leid«, versuchte ich mich zu entschuldigen und riss mich etwas zusammen. »Du bist also hier eingebrochen, um ein Buch zu lesen«, hielt ich fest und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Ich war verrückt nach Büchern und trotzdem wäre mir nicht im Traum eingefallen, dafür durch das Fenster eines Gebäudes zu steigen, in das mir der Einlass verwehrt wurde.

      Endlich ließ Elisa sich auf den Stuhl fallen, den ich ihr zurechtgeschoben hatte, und seufzte laut. Das Hin-und-her-Gelaufe hatte mich auch sehr irritiert.

      »Ja, das bin ich«, gestand sie und sah sehnsüchtig zu dem Wälzer, der auf der Tischkante lag. »Ich wollte ein


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