Animant Crumbs Staubchronik. Lin Rina
Tinte hing in der Luft und mir setzte das Herz aus bei dem Anblick der zerstörten Bücher. Ein harter Klumpen bildete sich in meiner Brust und ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht anfing zu weinen, was sehr unprofessionell gewesen wäre.
Eine Hand legte sich auf meine verkrampfte Schulter und ich war noch zu schockiert von der Situation, um überhaupt darauf zu regieren.
»Ruhig atmen. Wir kriegen das hin«, sagte Mr Reed mit weicher Stimme, die ich so wenig erwartet hätte, dass sie mich aus meiner Starre riss.
Erschrocken sah ich zu ihm auf in seine müden Augen, unter denen sich dunkle Ringe zeigten, und versuchte mich zusammenzureißen, langsamer zu atmen, meinen Puls zu beruhigen.
Er hatte recht. Wir würden das wieder hinkriegen und Panik würde mir da gar nicht weiterhelfen. Eins nach dem anderen.
Mr Reed nahm die Hand wieder weg und hinterließ eine kalte Stelle. »Ich werde gehen und jemanden holen, der aufs Dach steigt und die kaputten Scheiben abdeckt. Sie werden anfangen, die Bücher aus den Regalen auf die andere Seite des Raumes zu schaffen«, ordnete er an, während er sich den Schal band. »Ich werde nicht lange weg sein. Lassen Sie keine Studenten rein, außer sie bieten ihre Hilfe an.«
Ich nickte und versuchte mich an einem Lächeln, was kläglich misslang. Ich war nass, ich fror und der weiter hereinströmende Regen hatte sicher an die hundert Bücher zerstört. Ich war schockiert und außer mir, wollte mir nicht mal vorstellen, wie viel Arbeit auf uns warten würde.
»Miss Crumb«, hörte ich meinen Namen und richtete meinen Blick, der zurück zu dem Chaos aus Glas, Papiermatsch und Holzsplittern gewandert war, wieder auf Mr Reed.
Seine Augen blickten aufmerksam, seine Haltung war abwartend und seine Hände zuckten, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er mich nun berühren wollte oder nicht. »Ich brauche Sie jetzt«, redete er sanft auf mich ein und ich nickte wieder.
Er brauchte mich. Obwohl ich nur eine Frau war, die er hin und her gescheucht hatte. Er brauchte mich jetzt und hier, und ich würde tun, was ich konnte, um zu helfen.
»Ja, Mr Reed«, brachte ich brüchig hervor und straffte die Schultern.
Seine Mundwinkel zuckten, sein Blick ruhte noch einen Moment auf mir, dann seufzte er und wandte sich der Treppe zu. Seine Schritte verhallten im Saal und erst das Zuschlagen der Tür erlöste mich aus meiner Untätigkeit.
Ich machte mir selbst Mut, versuchte mich damit zu beruhigen, dass meine Arbeit wichtig war, und setzte mir meinen Hut wieder auf den Kopf. Eilig holte ich mir einen leeren Bücherwagen, trat dann in den Regen und zog das erste Buch aus dem Regal. Mit einem Schnalzen löste ich es von seinen Nachbarn und als ich den Deckel ein wenig zusammendrückte, floss ein Schwall dunkelblauen Wassers heraus.
Mein Herz blutete. Dieses Buch würde wohl niemand mehr retten können.
Der Schaden begrenzte sich auf einen Teil der medizinischen Abteilung, von G bis M und auch nur auf die Bücher oben auf dem Rundgang. Die Bücher darunter hatten lediglich ein paar Spritzer abbekommen, die dunkle Flecken auf die ledernden Einbände machten. Ich hatte bereits drei Regalbretter leer geräumt und zur Seite geschafft, da kam Mr Reed wieder zurück. Er schien noch nasser zu sein als vorher und ordnete an, den Kamin im Aufenthaltsräumchen anzufeuern, von dem ich nicht mal gewusst hatte, dass er existierte. Ich ging, um ihn zu suchen und fand ihn hinter einigen Kisten, die ich mir längst vorgenommen hatte wegzuräumen.
Der Kamin war klein, eher ein Ofen und ich zog einen Korb mit Holz unter einem Stapel vergilbter Zeitungen hervor. Zum ersten Mal schien es mir ein Vorteil zu sein, vom Land zu stammen, denn ein Feuer zu machen war für mich tägliche Routine gewesen.
Ich brauchte nicht lange, um ein paar dünne Hölzer zu stapeln, dickere Holzscheite darüber zu lagern und den Rest mit Spänen zu stopfen. Im Korb fand ich ein paar Zündhölzer und benutzte die Zeitung, um das Feuer zu entfachen. Als die Wärme zunahm und nicht nur meine Hände, sondern auch mein Gesicht und den Rest meines Körpers erreichte, seufzte ich wohlig und gab mir ein paar Sekunden, in denen ich einfach nur vor dem Feuer hockte, ehe ich die Klappe schloss und wieder auf die Galerie hinauseilte.
Mr Reed schob mir einen Wagen mit Büchern hin und ich stellte erleichtert fest, dass sie nicht ganz so ramponiert waren wie die, die ich bisher aus den Regalen geholt hatte. »In den Raum zum Trocknen!«, befahl er mir und wischte sich das nasse Haar aus den Augen.
»Verflucht«, hörte ich Oscar, als er mit Cody im Schlepptau auf den Rundgang hochkam.
»Einen Wagen holen und Bücher aus der Gefahrenzone bringen!«, wandte sich Mr Reed an die Jungen und genau in diesem Moment hörte es ganz plötzlich auf zu regnen. Alle Blicke wanderten nach oben, wo gerade mehrere Männer ein großes Wachstuch über die Scheiben spannten.
»Neuer Plan, Jungs. Geht rüber ins Personalgebäude und lasst euch von Mrs Christy Tücher zum Aufwischen geben«, erklärte Mr Reed und die beiden verschwanden wortlos wieder die Treppe nach unten.
Mr Reeds Blick wanderte zu mir und er lächelte. Es war der surrealste Moment, den ich mir hätte ausdenken können. Er stand in seiner Bibliothek, von oben bis unten durchnässt, in jeder Hand ein völlig ruiniertes Buch und doch konnte er sich darüber freuen, dass kein Wasser mehr in seine heiligen Hallen tropfte.
»Wie geht es mit dem Feuer voran?«, erkundigte er sich bei mir, legte die zwei Bücher auf einen Stapel mit anderen tropfnassen Schriftstücken, die rettungslos verloren waren, und kam auf mich zu.
Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich konnte sehen, dass er fror.
»Es brennt«, informierte ich ihn und er hob überrascht eine Augenbraue. Er hatte wohl nicht erwartet, dass mir so etwas leicht von der Hand ging. »Ich komme vom Land, Mr Reed«, klärte ich ihn daher auf und er nickte nur. »Sie sollten sich eine Weile davorsetzen und die Bücher trocknen, solange ich hier draußen weitermache«, bot ich ihm an und wartete seine Antwort gar nicht erst ab. Ich schob ihm den Wagen hin, den er mir gerade zugewiesen hatte, raffte meine Röcke, um über eine Pfütze zu balancieren, und begann dann, Papierfetzen vom Boden aufzuklauben.
Hinter mir hörte ich die Räder des Wagens rattern und lächelte heimlich darüber, dass er auf mich gehört hatte.
Es dauerte sicher noch eine weitere Stunde, bis alles trocken gewischt und sauber gekehrt war. Ein paar der Studenten, die an diesem Vormittag in der Bibliothek aufgetaucht waren, halfen mit, die Scherben und Splitter nach draußen zu schaffen und die Metallschilder von den kaputten Büchern abzutrennen.
Hundertdreiundzwanzig Bücher waren dem Regen zum Opfer gefallen. Dazu kamen noch etliche, von denen wir dachten, sie doch noch retten zu können. Es war einfach nur ärgerlich und jedes Metallplättchen, das in die kleine Kiste wanderte, war wie ein Stich in meinem Herzen.
Wir würden all diese Bücher neu beschaffen müssen. Ein Glück, dass es über alle Werke so detaillierte Aufzeichnungen gab. Resigniert seufzte ich in mich hinein, denn es würde ganz sicher meine Aufgabe sein, all die Anschriften zusammensuchen zu müssen und mit den Daten der Bücher zu notieren.
Ich rieb mir gerade die Hände warm und wollte im Lesesaal an einem der Tische damit beginnen, die Plättchen alphabetisch nach Autoren zu ordnen, da stellte jemand eine Tasse Tee vor mir ab.
Mein Blick folgte der schmalen Hand, die mir so bekannt war, bis zu ihrem Besitzer. Henry zog sich den Stuhl neben mir heraus.
»Ich hab gehört, was passiert ist«, sagte er und ich lächelte ihn traurig an.
»Danke für den Tee«, antwortete ich ihm nur und nahm die heiße Tasse zwischen meine klammen Finger.
»Ich hab eine ganze Kanne dabei«, gab er zurück und ich lachte. Henry war wirklich ein sehr fürsorglicher Mensch. Genau wie meine Mutter. Nur dass sie es viel zu oft damit übertrieb.
»Wir sollten Mr Reed eine Tasse nach oben bringen«, meinte ich schnell und erhob mich schon von meinem Stuhl.
»Hört, hört. Für Mr Reed«, spottete mein Bruder spaßhaft und zauberte eine zweite Tasse aus seiner