Animant Crumbs Staubchronik. Lin Rina

Animant Crumbs Staubchronik - Lin Rina


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schimpfte sie und obwohl sie sich gefasst gab, konnte ich sehen, wie verzweifelt sie hinter der ruhigen Fassade war. Es musste auch wirklich frustrierend sein, nicht das lesen zu können, was man wollte oder brauchte.

      Und in mir entstand der Wunsch, ihr zu helfen. Es war so ungerecht, dass man ihr den Zutritt verwehrte, dass ich es einfach nicht zulassen konnte.

      »Ich verleih es dir«, sagte ich und Elisas Blick schoss in meine Richtung.

      »Das darfst du nicht«, erwiderte sie harsch und doch mit Hoffnung in den Augen.

      »Na und. Wer soll es schon erfahren? Ich gebe es dir für eine Woche und dann gibst du es mir zurück«, schlug ich vor und Elisa blieb nicht lange bei ihrer Widerrede.

      »Und was, wenn sie merken, dass es fehlt?«, fragte sie und ich zuckte mit den Schultern. Nichts leichter als das.

      »Ich schreib es als entliehen auf eine Karte, dann wird es niemand suchen«, erklärte ich ihr, doch sie schien noch nicht ganz überzeugt.

      »Und unter welchem Namen willst du es verbuchen?«, wollte sie wissen und streckte sich bereits nach dem Buch aus, um es wieder an sich zu nehmen.

      »Du kannst dir ja einen ausdenken«, schlug ich vor und fragte mich, ob meine Tollkühnheit, die mir in diesem Moment ein Hochgefühl bescherte, mich nicht zu Fall bringen würde.

      Das Neunte oder das, in dem die Willkür Bücher zerstörte.

      Edward Teach hatten wir auf Elisas Verleihkarte geschrieben und ich fühlte mich noch den ganzen Tag kribbelig und durchtrieben wie ein Pirat.

      Ich konnte mich nicht erinnern, jemals etwas so Verbotenes getan zu haben wie das hier, und mein Herz schlug mir bis zum Hals, wenn ich Mr Reed über den Weg lief, in der Angst, er könnte mir meinen Frevel im Gesicht ansehen.

      Doch wie sehr ich auch darüber nachdachte, aus welcher Perspektive ich es betrachtete, ich bereute meine Tat nicht und ich wusste, dass ich es wieder tun würde. Es war einfach ungerecht, einer Frau die Bildung zu verwehren, die ein Mann auch bekam. Ganz gleich, was die Gesellschaft auch vorschreiben mochte, die doch wieder nur von der Meinung der Männer geprägt war.

      Ich räumte meine restlichen Bücher in die Regale, brachte Mr Reed seine Post an die Bürotür und kümmerte mich um allgemeine Ordnung. Zu Mittag aß ich mit Elisa, die mich an der Cafeteria abpasste und mir ein Stück Kuchen spendierte. Sie war überschwänglich und unendlich glücklich, und ich konnte sie gerade noch davon abhalten, mir die ganze Schokoladentorte zu kaufen.

      Als wir die Cafeteria verließen, hatte ein leichter Nieselregen eingesetzt und wir verabschiedeten uns schnell, da keine von uns beiden einen Schirm bei sich trug.

      Ich fühlte mich gut in Elisas Gegenwart und hoffte, ich würde sie noch öfter treffen.

      Es war selten für mich, dass ich mich mit jemandem anfreundete. Aber die Menschen in London waren einfach anders als die zu Hause.

      Als Big Ben um fünf läutete, legte ich meine Arbeit nieder und verabschiedete mich bei Mr Reed und Oscar, wobei Letzterer mir mit missmutigem Blick hinterhersah. Offensichtlich machte es ihm zu schaffen, dass ich es mir herausgenommen hatte, über seine Tätigkeit zu bestimmen und er vor mir gekuscht hatte. Diese Tatsache störte mich jedoch nicht allzu sehr.

      Ich rannte im Regen nach Hause und wurde von einem stürmischen Onkel Alfred begrüßt, dessen Geschäfte ihn bis heute Vormittag von zu Hause ferngehalten hatten. Tante Lillian war selig, ihren Mann wiederzuhaben, und die beiden scherzten den ganzen Abend, während ich Jackson Throug’s Reise nach Indien beendete und mir danach Onkel Alfreds Reisebericht anhörte. Er vermied es, mich nach meiner Arbeit zu fragen und ich erwähnte es ebenso wenig, damit er sich in seinem schlechten Gewissen noch ein wenig suhlen konnte.

      Ich ging früh zu Bett und lauschte dem stärker werdenden Regen. Er hörte sich anders an als zu Hause, hielt mich wach und meine Gedanken begannen zu kreisen.

      Obwohl gerade einmal eine halbe Woche vergangen war, fühlte ich mich sehr viel besser als zu Anfang. Ich hatte es wirklich geschafft, mich einzuarbeiten, und ich war auch nicht mehr so schrecklich langsam. Seit ich dank Henry nicht mehr versuchte, dem Bibliothekar zu imponieren, indem ich alles so schnell wie möglich erledigte, machten mir viele Dinge sogar Spaß. Neue Bücher auszupacken oder zu sehen, wie unterschiedlich die Gebiete waren, zu denen sich die Studenten Bücher ausliehen. Mir gefiel die ruhige Atmosphäre, wie das Licht durch die Glaskuppel schien und das leise Surren der Zahnräder, die sich in der Suchmaschine bewegten, das seit gestern wieder durch den Lesesaal spukte.

      Nur das Archiv blieb weiterhin mein Schrecken und ich bekam eine gruselige Gänsehaut, wenn ich nur daran dachte.

      Es dauerte nicht lange, bis meine Gedanken abdrifteten und zu Träumen wurden. Bis der Regen zum Meer wurde, mein Bett zu einem Boot und der Geruch der erloschenen Kerze zu den Gewürzen Indiens verschmolz.

      Es regnete unermüdlich weiter und mein Onkel versuchte mich am Morgen davon zu überzeugen, die Kutsche zu nehmen, um bis zur Bibliothek vorzufahren. Doch es kam mir äußerst albern vor, für diese kurze Strecke die Pferde anzuspannen. Also ließ ich mir nur einen Schirm bringen, versicherte zum wiederholten Male, dass ich es auch alleine schaffte, und machte mich auf den Weg.

      Der Regen war nicht wirklich stark, die wiederkehrenden Windböen gestalteten meinen Weg jedoch recht abenteuerlich.

      Ich brauchte etwa doppelt so lange, bekam nasse Strümpfe, verlor beinahe meinen Hut und schimpfte leise, als mir der Wind den Schirm so nach hinten bog, dass er dabei kaputtging.

      Da ich später dran war als die Tage zuvor, hatte Mr Reed die Bibliothek schon vor mir erreicht und die Tür bereits aufgeschlossen.

      Erleichtert schob ich das schwere Holz auf und trat die paar Stufen ins Foyer. Achtlos ließ ich den zerstörten Schirm neben der Tür liegen und schüttelte erst einmal die Regentropfen ab.

      So ungern ich es auch zugab, vielleicht hatte mein Onkel mit der Kutsche doch recht gehabt.

      Ich wischte mir den Regen aus dem Gesicht und nahm eine Stimme wahr, die laut vor sich hin fluchte. Mr Reed schien wohl schlecht gelaunt zu sein. Noch schlechter als sonst.

      Seufzend nahm ich meinen Hut ab und richtete mit schnellen Bewegungen meine Haare, während ich durchs Foyer auf den Lesesaal zulief. Ich hatte ihn gerade betreten, da traf mich ein unerwarteter Windstoß und dicke Regentropfen, die vor mir auf den Boden klatschten. Wie angewurzelt blieb ich stehen, erschrocken und ungläubig. Dann hob ich den Kopf und starrte fassungslos zur Glaskuppel hinauf, in deren hinteren Seite ein mannsgroßes Loch klaffte.

      Das war doch nicht möglich! Wann war das passiert?

      Und dann traf mich die volle Erkenntnis wie ein Schlag. Es regnete in die Bibliothek hinein! Panik erfasste mich.

      »Bei Gott, die Bücher!«, entfuhr es mir lauter als beabsichtigt und ich raffte die Röcke, während ich ganz undamenhaft auf die Treppe zurannte, die mir am nächsten war.

      »Miss Crumb. Welch ein Glück!«, rief Mr Reed erleichtert, als er am oberen Treppenabsatz auftauchte. Er trug noch seinen Mantel, der karierte Schal hing schief um seinen Hals, als hätte er begonnen ihn abzunehmen und war dabei gestört worden. Sein dunkles Haar war triefend nass und klebte an seinem Kopf. »Ich dachte schon, Sie lassen mich gerade heute im Stich«, meinte er und fuhr sich nervös durch die Haare, die danach tropfend in alle Richtungen abstanden.

      »Was ist denn hier passiert?«, wollte ich wissen, erblickte jedoch im selben Augenblick auf dem Rundgang einen nassen Überseekoffer, der zweifelsohne der Übeltäter sein musste. Alles war übersät mit Glassplittern, mehrere Holzdielen waren gebrochen, dem Geländer fehlte ein ganzes Stück und von oben regnete es plätschernd in die großen Pfützen, die sich bereits gebildet hatten.


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