KAMASUTRA IN UNTERFILZBACH. Eva Adam
in seine strahlend leuchtende, orangefarbene Latzhose schlängelte. Na gut, strahlend war sie seit den letzten Teerarbeiten in der Einfahrt des Rathauses vielleicht nicht mehr wirklich, aber die Arbeitskleidung ist ja auch immer ein Indiz für das Geleistete. Die Bürger in Unterfilzbach sollten so auch hoffentlich erkennen, dass in ihrem Bauhof schwer gearbeitet wurde. Eigentlich mochte Hansi seinen Job im gemeindlichen Bauhof im bayerischen Unterfilzbach gerne, jedoch verstand er ab und zu nicht ganz, warum er manche Arbeitsaufträge erledigen sollte. Ludwig Hackl, seines Zeichens Bauhofchef und von allen nur Wiggerl genannt, war für die Arbeitseinteilung seiner Mannschaft zuständig. Manchmal konnte Hansi sogar verstehen, dass die Leute immer dachten, sie würden nicht allzu viel ausrichten bei ihren täglichen Aufgaben, denn es gab tatsächlich Sachen, die fanden alle restlichen Arbeiter – Wiggerl natürlich ausgenommen – höchst unlogisch. Aber so war er eben, ihr Chef. Dafür waren die Brotzeiten regelmäßig, was Hansi schon sehr wichtig war. Und die Arbeit war bei ihm daheim – in seinem Unterfilzbach.
Als er in die Küche schlurfte, roch er es bereits. Ach nein, nicht schon wieder grüner Tee, dachte Hansi. Als seine Frau Bettina vor Jahren in der Volkshochschule einen Yoga-Kurs besucht hatte, war das der Startschuss für ihre Esoterik-Leidenschaft gewesen und diese beeinflusste inzwischen auch den Speiseplan der Familie Scharnagl. Bei den Scharnagls gab es seitdem sehr viel gesunde Kost und viel weniger wirkliche Schmankerl, so wie Hansi sich das eigentlich wünschen würde. Hansi war nämlich ein leidenschaftlicher Koch. Er liebte es, seine Familie, seine Kollegen oder Freunde zu bekochen. Dann verdrehte Bettina immer die Augen, denn Hansi war bekennender Fleischliebhaber. Deftig, würzig, traditionell, aber dennoch sehr experimentierfreudig in der Küche. Sein Kartoffelsalat war eine echte Legende in Unterfilzbach. Allerdings kochte seine Frau die meiste Zeit, und damit war der Speiseplan oft so gesund, dass Hansi manchmal beinahe krank wurde. Denn so ganz ohne Rehbraten oder Lüngerl ist das Leben ja auch nicht schön.
Was hilft es mir, wenn ich gesund lebe und überhaupt keinen Spaß am Essen habe? Essen ist doch schließlich die Erotik des Alters, fand Hansi und befürchtete gar, am Ende müsse er noch gesund sterben.
Heute schwirrten aber gedanklich schon die Weißwürste durch seinen Kopf, die es am Vormittag bei der Brotzeit im Bauhof geben würde. Sein Kollege und bester Freund Sepp wollte zu seinem 45. Geburtstag eine Brotzeit spendieren, was seine Kollegen dem »gniggaden Hund« gar nicht zugetraut hatten, denn eigentlich war Sepp wirklich ein recht sparsamer Zeitgenosse. Insofern war das gesunde Frühstück à la Bettina mit grünem Tee und Leinölquark jetzt halt nur ein kleines »Mogndratzerl«, quasi ein Appetithäppchen, wie man im Rest der Welt außerhalb Bayerns auch sagen könnte.
Bettina rührte bereits voller Inbrunst das Leinöl in den Naturquark. Mit Leinsamen und einer Bio-Birne ein Festschmaus, dachte sie, auch wenn Hansi da anderer Meinung war.
Bettina Elke Scharnagl, geborene Schlessinger, war Hansis große Liebe. Seit 25 Jahren waren sie nun schon ein Paar. Bettina war gerade 17 Jahre alt geworden, als sie sich in den zwei Jahre älteren Hansi verliebte. Die Ehe der Scharnagls ist, was wahrscheinlich sehr selten vorkommt, tatsächlich immer noch ohne größere Skandale verlaufen. Bisher gab es wirklich keine erwähnenswerten Krisen, nur ganz normale Höhen und Tiefen. Die beiden passten einfach zusammen wie der Deckel auf den Topf und sie verstanden sich auch nach all den Jahren noch richtig gut. Im Großen und Ganzen war Hansi recht glücklich und zufrieden mit seinem Leben, wenn man jetzt mal von Bettinas Leidenschaft für gesundes Essen und Esoterik absah. Er hatte drei wunderbare Kinder, auf die er zu Recht stolz war.
Isabelle, seine Erstgeborene, war eine Schönheit im aufregenden Alter von 20 Jahren. Was natürlich von den männlichen Einwohnern Unterfilzbachs und Umgebung nicht unbemerkt blieb. Mit ihren langen blonden Haaren, ihrer Model-Figur und dem Engelsgesicht hätte sie so manch einer Claudia Schiffer Konkurrenz machen können, fand Hansi. In der Bauhofwerkstatt hingen ja oft Bilder von jungen leicht bis gar nicht bekleideten Mädels an der Wand. Da könnte Isabelle locker mithalten. Aber das würde der Vater seiner Tochter natürlich niemals sagen, am Ende käme die Dorfschönheit noch auf dumme Ideen. Schließlich war Isa ja seine Tochter und Hansi wachte mit Argusaugen schon ganz genau über die Verehrer, von denen sich Isabelle abholen oder beschenken ließ.
Isabelle war mittlerweile die Starfriseuse – ähm, Verzeihung, den Ausdruck »Friseuse« mochte Isabelle absolut nicht – respektive Top Hair Artist in »Karins Friseur Stüberl«. Sie wusste, wie sie ihre Kundinnen und natürlich auch die männlichen Kunden glücklich machen konnte, Isa wickelte jeden um den Finger! Sie war selbstbewusst und strebte ihr großes Ziel an. Isa hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, dass sie nach ihrer erweiterten Ausbildung zum Make-up- Artist, die sie schon fest geplant hatte, einmal hinter den Kulissen der großen Modeschauen der Welt arbeiten wollte. New York, Paris, Mailand – da wollte sie hin, in die große Welt des Prêt-à-porter und des sagenumwobenen Modelbusiness. Bei Heidi Klums Topmodel-Show die zickigen Kandidatinnen schminken, das wär's doch, dachte sich Isabelle oft. Wahrscheinlich würde sie auch irgendwann ihr Ziel erreichen, denn den nötigen Biss hatte die Erstgeborene von Hansi und Bettina allemal. Aber noch schnitt sie die Haare in Unterfilzbach und lebte im elterlichen Einfamilienhaus, wenn auch in der schicken Einliegerwohnung.
Was das Essen betraf, war Hansis große Tochter durchaus bereit, die Kost zu essen, die Bettina jeden Tag zauberte. Isabelle war die Anzahl der Kalorien wichtiger als der Geschmack, mit Ausnahme von Hakans Döner, da warf sie ab und zu gerne ihre Vorsätze über Bord.
»Ich muss ja schließlich schon auf meine Figur achten. Von alleine kommt das auch nicht«, sagte sie meistens, wenn der überwiegende Teil der Scharnagls an Bettinas Öko-Gerichten herumnörgelte.
Heute schwebte Isa mal wieder engelsgleich durch die Küche und hatte es wie immer sehr eilig. Es war Dienstag, Extensions-Day in »Karins Friseur Stüberl«, das war harte Arbeit. Hansi verstand nicht so ganz, wieso Männer zum Haareschneiden zum Friseur gehen und Frauen sie sich dann wieder ankleben lassen. Aber Männer würden Frauen wohl nie wirklich verstehen.
»Guten Morgen, Papa«, begrüßte Isabelle ihren Vater mit einem Busserl auf seine Wange und – schwups – war sie auch schon wieder weg. »Heute haben wir fünf Exti-Kundinnen, und die haben nicht wirklich viel, wo man was ankleben könnte. Das wird wieder eine Fuzzelarbeit, da muss ich noch viel herrichten. Servus«, trällerte sie noch im Hinausschweben.
Bettina stellte ihrem Gatten eine große Schüssel Leinölquark vor die Nase und erklärte wieder einmal, wofür es gut sei, wenn Hansi viel davon essen würde.
»Mei, Bärle, das ist ja so gut für dein Herz und deinen Kreislauf, es fördert die Konzentration … und überhaupt … fürs Cholesterin ist es auch nicht schlecht.«
Insgeheim dachte Hansi, dass sich Bettina ja schon manchmal selber widersprach, denn bei den Fleisch- und Wurstwaren achtete sie penibel darauf, welchen Fettgehalt diese hatten, aber beim Leinöl, was ja auch eigentlich reines Fett war, da konnte sie ganze Flaschen in Schüsseln schütten – und das war dann auch noch gesund! Aber der brave Ehemann nickte nur und löffelte schweigend seine Schüssel leer. Hier half sowieso kein Widerstand.
Im Streitgespräch, wie eigentlich fast immer, kamen die zwei restlichen Scharnagl-Kinder zur Tür hereingepoltert. Der Zweitgeborene, Hansi junior, und das Nesthäkchen Indira. Die Streitigkeiten waren meistens eher unausgeglichen, denn der Scharnagl-Stammhalter Hansi war immer der stillere Teil.
Hansi junior war im dritten Lehrjahr bei Elektro Garhammer und eigentlich viel zu gut für diese Welt. Seitdem er vor Kurzem volljährig geworden war und sein eigenes Auto besaß, mutierte er quasi zu jedermanns Chauffeur. Hansis einziger Sohn konnte keinem Menschen einen Wunsch abschlagen, das sah man ihm auch schon von Weitem an. Auch der kleine Hansi trug eine Latzhose, aber nicht orange, sondern blau. Darunter wölbte sich ein kleines Bäuchlein. Überhaupt erinnerte der Jüngling an einen Teddybären mit seinen freundlichen Augen, den wuscheligen Locken – die vor langer Zeit so ähnlich auch einmal das Haupt seines Vaters geziert hatten – und dem immer lächelnden Gesichtsausdruck.
»Kannst du mich heute in die Schule fahren oder nicht?«, fuhr Indira ihren Bruder an.
Indira! Ja, dieser Name hatte viele Diskussionen im Hause