Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
auf, um das Telefon zu holen.
»Dann solltest du am besten gleich einen Termin ausmachen, bevor die Praxis davon schwimmt«, empfahl sie ihrem Vater, der sich mit einem gerührten Lächeln bedankte.
Das Gespräch war schnell geführt und tatsächlich bekam Dr. Norden von Sebastian Hühn sofort einen Termin für den kommenden Vormittag.
»Das klappt ja wie am Schnürchen«, freute sich auch Tatjana darüber, dass der Arbeitsplatz ihres Freundes gerettet war. »Dann kann ich ja zur Feier des Tages meine Himbeer-Zitronen-Törtchen mit Mascarpone-Topping servieren. Ihr müsst mir unbedingt sagen, ob sie es wert sind, in mein Backbuch aufgenommen zu werden.«
Als sie die kleinen köstlichen Kunstwerke auf den Tisch stellte, brachen die Zwillinge und Felix in begeisterte Rufe aus. Danny und Daniel hingegen musterten die Kalorienbomben sehnsüchtig.
»Ach, du liebe Zeit, das sieht nach schrecklich viel Hüftgold aus«, seufzte Daniel und klopfte sich auf den flachen Bauch. Dabei sah er Fee vorsichtig von der Seite an. Immerhin achtete sie penibel darauf, dass er in Form blieb. Die schien mit den Gedanken jedoch weit fort zu sein und hatte sogar ihr Soufflé nur zur Hälfte gegessen. »Hast du nicht neulich an einem Kuchen aus Kartoffeln und Karotten gearbeitet?«, wandte sich Daniel daher hilfesuchend an Tatjana.
Doch die lachte nur ausgelassen.
»Besondere Ereignisse verlangen nach besonderen Maßnahmen«, war alles, was sie dazu sagte, ehe sie ihrem Schwiegervater in spe ein Törtchen auf den Teller legte.
»Und das hier ist ein besonderes Ereignis?«, fragte Daniel immer noch skeptisch und griff unter dem Tisch nach der Hand seiner Frau.
Es war Felix, der diese Frage beantwortete.
»Das weißt du spätestens, wenn du probiert hast!«, versprach er mit vollem Mund und verdrehte genießerisch die Augen.
*
Als der Wecker am nächsten Morgen klingelte, hätte Daniel Norden in sich am liebsten die Decke über den Kopf gezogen. Der Abend war noch lang und lustig gewesen, und am liebsten hätte der Arzt die Wirklichkeit noch ein bisschen ausgesperrt. In gespielter Verzweiflung tastete er hinüber auf die andere Bettseite. Sie war leer, und schlagartig war Daniel wach.
»Fee?«
»Ich bin hier im Bad!«, kam postwendend die Antwort.
Nach einem Blick auf den Wecker sank Daniel erleichtert zurück in die Kissen.
»Bist du aus dem Bett gefallen oder warum bist du schon auf? Es ist doch noch so früh.«
Fee stand vor dem Spiegel und betrachtete die geschwollenen Lippen. Unerträgliche Schmerzen im Mund hatten sie geweckt, und sie war ins Badezimmer gegangen. Als sie die unförmigen Lippen sah, war sie furchtbar erschrocken. Doch viel schlimmer als das waren die neuen Blasen, die sich auf ihrer Mundschleimhaut gebildet hatten. Schon am Abend zuvor war ihr das Essen mehr als schwer gefallen. Doch jetzt war der Gedanke daran, Nahrung zu sich zu nehmen, schier undenkbar. Dazu kamen nach wie vor die grippeähnlichen Symptome, die wiedergekommen waren, nachdem die Wirkung der Medikamente nachgelassen hatte.
»Fee? Ist alles in Ordnung?«, rief Daniel besorgt, nachdem er keine Antwort bekommen hatte.
»Ich komme gleich zu dir.« Verzweifelt stand Fee vor dem Spiegel und dachte fieberhaft nach. Auf keinen Fall konnte sie ihren Zustand noch länger vor ihrem Mann verbergen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und ins Schlafzimmer zurückzukehren. »Nicht erschrecken!«, bat sie, bevor sie zu ihm ans Bett trat. Ihren schlanken Körper versteckte sie in einem Bademantel. Doch ihr Gesicht konnte sie schlecht verschleiern. »Ich habe eine kleine Typveränderung durchgemacht«, versuchte sie in ihrer Not zu scherzen.
»Ich liebe dich, egal wie du aussiehst …«, wollte Daniel erwidern. Doch beim Anblick seiner geliebten Frau blieb ihm das Wort ihm Hals stecken. »Um Gottes willen, Fee, was ist passiert?«, fragte er erschrocken und setzte sich kerzengerade im Bett auf. Ohne sie aus den Augen zu lassen, fasste er sie an den Händen und zog sie zu sich auf die Bettkante. »Was ist los mit dir?«
»Ich weiß es nicht!« Fees Stimme war klein und jämmerlich. »Ich hab Blasen auf der Mundschleimhaut. Die tun furchtbar weh.«
»Deine Lippen sehen furchtbar aus.« Daniels Hand schwebte Millimeter über ihrem Mund. Er wagte es nicht, ihn zu berühren, aus Angst, ihr wehzutun. »Was kann das nur sein?«
»Eine Grippe jedenfalls nicht«, musste Felicitas wohl oder übel eingestehen.
Sie war so schwach und fühlte sich so elend, dass eine einsame Träne über ihre Wange rann.
Das war der Moment, in dem es Daniel Norden mit der Angst zu tun bekam. Fee war keine der Frauen, die ohne guten Grund in Tränen ausbrachen.
»Ich bring dich in die Klinik. Die Kollegen dort müssen herausfinden, was dir fehlt«, beschloss er und schwang die Beine aus dem Bett. »Leg dich nochmal hin. Ich bin gleich wieder bei dir.« Einen heißen, kleinen Augenblick lang wünschte er sich, sie würde ihm widersprechen wie tags zuvor.
Doch Fees Widerstand war gebrochen. Wie ein Häuflein Elend rollte sie sich auf seiner Bettseite zusammen. Als er fix und fertig angezogen aus dem Bad kam und an ihre Seite trat, musste er einsehen, dass er sie nicht selbst fahren konnte. Alle Kraft schien sie verlassen zu haben. Unfähig, sich aus eigenem Antrieb zu bewegen, brauchte sie einen Krankentransport.
*
»Toast mit Butter und Honig. Süße, heiße Schokolade. Orangensaft mit Fruchtfleisch«, präsentierte Sebastian stolz das Frühstück, das er für Ricarda zubereitet hatte.
Fasziniert betrachtete sie die liebevoll gedeckte Tafel.
»Oh, Basti, das ist Wahnsinn«, schwärmte die Krankenschwester verliebt. »In all den Jahren hast du nicht vergessen, was ich gern mag.«
»Ehrlich gesagt war das nicht so schwierig, weil ich nämlich schon immer dieselben Sachen frühstücke wie du«, gestand er, obwohl das nicht die ganze Wahrheit war. Tatsächlich hatte er alles sorgfältig geplant, die Dinge eingekauft, die sie gern mochte, und sich an die eine oder andere liebenswerte Eigenart erinnert. Er wusste zum Beispiel um ihren Faible für bunte, kindlich gemusterte Servietten und hatte extra welche besorgt.
»Kann schon sein, dass du auch gern Honig zum Frühstück magst. Ansonsten bist du aber ein schlechter Lügner«, durchschaute Ricarda ihn sofort und lächelte dieses unwiderstehliche Lächeln, bei dem sich ihre Nase kräuselte. Gleichzeitig tippte sie mit der Fingerspitze des Zeigefingers auf die Luftballon-Serviette. »Du willst mir nicht im Ernst erzählen, dass die aus deinem normalen Sortiment stammt.«
Sebastian grinste breit und beugte sich über seine neue, alte Liebe, um ihr einen Klecks Butter aus dem Mundwinkel zu küssen.
»Ab jetzt schon«, erklärte er und wurde unvermittelt ernst. Er lehnte sich wieder zurück und betrachtete Ricarda eingehend, wie sie da saß. Sie trug einen roten Pyjama mit weißen Punkten. Die rotblonden Haare hatte sie zu einem wilden Dutt auf dem Kopf zusammengesteckt, und ihre grünen Augen blitzten vergnügt.
»Du bist einfach unglaublich. Weißt du … ich meine, ich will dich ja nicht verletzen, aber natürlich gab es nach dir noch andere Männer in meinem Leben. Dummerweise hat mich jeder wegen meiner Vorliebe für Seifenblasen, Konfetti und Luftballons irgendwann ausgelacht.« Ricarda ließ goldgelben Honig auf ihren Buttertoast tropfen und zog einen Schmollmund. »Früher oder später hat jeder behauptet, dass ich kindisch bin. Dabei stimmt das gar nicht. Wenn man so viel Not und Leid sieht wie ich in meinem Beruf, dann freut man sich über jedes bisschen Fröhlichkeit. Aber wenn du genauso denkst wie alle anderen, dann sag es am besten gleich. So können wir uns eine herbe Enttäuschung sparen.« Ohne Luft zu holen, hob sie ihren Toast hoch und biss herzhaft hinein. Während sie kaute, ließ sie Sebastian nicht aus den Augen. »Was denkst du?«, fragte sie, als er nicht sofort antwortete.
»Ich denke, dass du ganz anders bist als die meisten anderen Frauen, die ich bisher kennengelernt habe«, gestand er lächelnd.
Doch