Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter


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griff Aga­the nach dem Grun­de, durch den sie ih­ren Va­ter am leich­tes­ten zu über­zeu­gen hoff­te.

      Die Bäl­le und Ge­sell­schaf­ten wa­ren ihr eine Qual. Nir­gends fühl­te sie sich so aus­ge­schlos­sen von je­der Le­bens­freu­de wie in den licht­er­hell­ten Sä­len, wo schon ein jün­ge­res Ge­schlecht den ers­ten Platz ein­nahm und die Her­ren zu den jun­gen Frau­en dräng­ten, die in glän­zen­de­ren Toi­let­ten mit freie­rer Lus­tig­keit große Krei­se von An­be­tern um sich sam­mel­ten.

      Aga­the woll­te ja hier gar kei­ne Rol­le mehr spie­len. Fand sich hin und wie­der ein Herr, dem sie ge­fiel, so mach­te sie sich Vor­wür­fe, dass sie sich der Ei­tel­keit hin­gab. Blieb sie un­be­ach­tet, so kränk­te sie sich über ih­ren ei­ge­nen un­wür­di­gen Är­ger. Nie kam sie zur Ruhe, so­lan­ge sie zween Her­ren diente – Gott und der Welt.

      Mimi Bär hat­te es viel leich­ter, die ging ih­ren Weg, ohne nach links oder rechts zu se­hen. Sie hat­te ihr Pro­be­jahr in dem Schwes­ter­hau­se in Ber­lin vollen­det, war vor kur­z­em an das Kran­ken­haus nach M. ver­setzt und trug mit ru­hi­gem Stolz ihre wei­ße Dia­ko­nis­sen­hau­be. Was sie zu tun und zu las­sen hat­te, war ihr ge­nau vor­ge­schrie­ben. Wie der Of­fi­zier in sei­ner Uni­form, mit sei­ner Ord­re du jour und sei­nem fest­ge­füg­ten Stan­des­be­griff leb­te sie in klar ab­ge­grenz­tem Krei­se ein tä­ti­ges und be­frie­dig­tes Le­ben.

      Und Aga­the konn­te nicht ein­mal Kin­des­pflicht und Chris­ten­tum ver­ei­nen. Zwar … Mimi hat­te dies bei­des auch nicht ver­ei­nigt. Sie hat­te ein­fach ih­ren in­ne­ren Be­ruf über die Kin­des­pflicht ge­stellt – ihre al­ten El­tern fröh­lich der Ob­hut und Pfle­ge Got­tes über­las­send.

      Der Re­gie­rungs­rat ver­ur­teil­te ihre Hand­lungs­wei­se aufs schärfs­te. Er fürch­te­te den Ein­fluss, den Mimi auf sei­ne Toch­ter üben kön­ne und er­griff ener­gisch die Ge­le­gen­heit, um sei­ne Mei­nung da­ge­gen­zu­stel­len. Aga­thes Hin­weis auf die Er­spar­nis­se durch die nicht ge­kauf­ten Ball­klei­der mach­te dies­mal kei­nen Ein­druck, ob­gleich der Papa sonst gern über die Aus­ga­ben der Frau­en schalt.

      »Lie­bes Kind«, sag­te er, sich er­he­bend, die Hand auf den Tisch stüt­zend und durch den Klem­mer einen erns­ten Blick auf sei­ne Toch­ter rich­tend, »Du hast nicht nur Ver­pflich­tun­gen ge­gen Dich selbst, son­dern auch ge­gen die Ge­sell­schaft, vor al­lem aber ge­gen die Stel­lung Dei­nes Va­ters. Dich ih­nen zu ent­zie­hen, wäre ge­wis­sen­los ge­han­delt. Als Ver­tre­ter der Re­gie­rung habe ich mich in der Öf­fent­lich­keit und bei mei­nen Vor­ge­setz­ten zu zei­gen. Was sol­len die Leu­te den­ken, wenn ich mei­ne Toch­ter zu Hau­se las­se? Wir Män­ner des Staa­tes ha­ben nach oben und nach un­ten, nach rechts und nach links zu bli­cken, um kei­nen An­stoß zu er­re­gen – wir sind kei­ne frei­en Men­schen, die ih­ren Lau­nen fol­gen dür­fen. Mir ist schon öf­ter in letz­ter Zeit zu Ohren ge­kom­men, dass Du mit der ei­gen­tüm­lich stren­gen re­li­gi­ösen Rich­tung, die Du an­ge­nom­men hast, Auf­se­hen er­regst. Mein lie­bes Kind – das geht durch­aus nicht an. Der Ober­prä­si­dent hat mir ges­tern An­deu­tun­gen ge­macht, die mich sehr pein­lich be­rührt ha­ben … Ich höre, Du be­suchst die Ver­samm­lun­gen ei­ner Sek­te, die sich Je­sub­rü­der nen­nen?«

      »Papa – ich, war ja nur ein paar­mal da«, stam­mel­te Aga­the. Ihres Va­ters Stim­me hat­te den stren­gen Amt­ston an­ge­nom­men, den sie und die Mut­ter so sehr fürch­te­ten.

      »Es pre­digt dort ein ge­wis­ser Za­cha­ri­as – ein Pfar­rer, der aus der Lan­des­kir­che aus­ge­tre­ten ist?«

      »Ja, Papa! Aber er kommt nur alle vier Wo­chen. Er re­det wun­der­voll!«

      »Ein ei­gen­sin­ni­ger Kopf! We­gen der Mai­ge­set­ze ge­riet er in un­lieb­sa­men Streit mit dem Kon­sis­to­ri­um. Ich er­in­ne­re mich der Sa­che. – Der Ober­prä­si­dent hat mir of­fen ge­sagt, man sieht es un­gern, dass die Toch­ter ei­nes ho­hen Re­gie­rungs­be­am­ten die Ver­samm­lun­gen ei­nes sol­chen Man­nes be­sucht.«

      »Aber Papa, man kann ihm ja gar nichts vor­wer­fen. Er folg­te nur sei­ner Über­zeu­gung. Leicht wird es ihm ge­wiss nicht ge­wor­den sein, mit sei­nen fünf Kin­dern die gute Stel­le auf­zu­ge­ben. Oft es­sen sie zu Mit­tag nur Kar­tof­feln und Schmalz. Ja, das weiß ich.«

      »Ist ihm ganz recht«, sag­te der Re­gie­rungs­rat, im Zim­mer um­her­ge­hend. »Du hörst doch, wel­che un­an­ge­neh­me Sze­ne ich dei­net­we­gen ge­habt habe. Es ist mir un­be­greif­lich, wie Dei­ne Mut­ter Dir er­lau­ben konn­te, zu die­sen Sek­tie­rern zu ge­hen! Ich ver­bie­te es Dir hier­mit aus­drück­lich. Hörst Du! Du hast den Got­tes­dienst im Dom. Da kannst Du Dir ge­nug Fröm­mig­keit ho­len. Jede Über­trei­bung ist vom Übel.«

      Frau Heid­ling ent­schul­dig­te sich ver­wirrt, Aga­the nicht bes­ser be­auf­sich­tigt zu ha­ben, und der Re­gie­rungs­rat ging ver­stimmt auf sein Büro.

      Als er zum Es­sen nach Haus kam, ver­such­ten die bei­den Frau­en, ihn auf jede Wei­se zu er­hei­tern. Mit be­son­de­rer Sorg­falt war das Mahl be­rei­tet. Aga­the muss­te noch ein­mal selbst zum Flei­scher ge­hen, um ein Stück­chen zar­te Len­de zu be­kom­men. Und sie hat­ten Glück, es schmeck­te dem Va­ter. Nach Tisch klopf­te er Aga­the die Wan­ge und sag­te freund­lich: »Was so ein klei­nes Ding im­mer für Ein­fäl­le hat! Ja, ja – Euch muss man or­dent­lich hü­ten!«

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      II.

      Der Kreis von Aga­thes Freun­din­nen hat­te sich im letz­ten Jah­re recht ge­lich­tet. Dem klei­nen Schwarz­köpf­chen, das sich so gern von On­keln und Vet­tern küs­sen ließ, hat­te sie als Fee der Ju­gend den Myr­ten­kranz ge­reicht. Auf Lot­te Wimp­fens Pol­ter­abend stell­te sie den Frie­den des Hau­ses dar, und Klä­re Dürn­heim be­grüß­te sie beim Schei­den von der Mäd­chen­zeit als Ge­ni­us des Glückes. Und je­des Mal hat­te sie sich bei die­sen Fes­ten himm­lisch amü­siert. Das galt als Ehren­punkt un­ter den jun­gen Da­men – ge­ra­de auf ei­nem Pol­ter­abend … man hät­te ja sonst den­ken kön­nen … Nein – es wäre ge­ra­de­zu fei­ge ge­we­sen, sich auf den Pol­ter­aben­den der Freun­din­nen nicht himm­lisch zu amü­sie­ren.

      Spä­ter ver­kehr­te Aga­the nicht mehr all­zu gern mit den Ver­hei­ra­te­ten. Fast ging es ihr da, wie einst in der Pen­si­on un­ter den er­fah­re­ne­ren Ge­nos­sin­nen: kaum wa­ren ein paar von den jun­gen Frau­en bei­ein­an­der, so steck­ten sie die Köp­fe zu­sam­men, flüs­ter­ten eif­rig, lach­ten und hat­ten end­lo­se Ge­heim­nis­se, die Aga­the um al­les in der Welt nicht er­fah­ren durf­te. Denn sie war ein jun­ges Mäd­chen.

      Lis­beth Wend­ha­gen frei­lich, die ruh­te nicht und sag­te so lan­ge: Pfui – Ihr seid scheuß­lich! bis sie al­les wuss­te, wor­auf sie neu­gie­rig war. Mit ih­rem som­mer­spros­si­gen, spit­zi­gen Alt­jung­fern­ge­sicht­chen und ih­ren prü­den klei­nen Aus­ru­fen war sie die Ver­trau­te in den meis­ten jun­gen Haus­hal­ten. Es mach­te den Her­ren großen Spaß, sie zu ne­cken und zu hän­seln. Man ließ sich ge­flis­sent­lich vor ihr gehn in zwei­deu­ti­gen Scher­zen und über­mü­ti­gen Zärt­lich­kei­ten. Lis­beths ent­zück­te Em­pö­rung war zu ko­misch.

      Aber Aga­the flö­ßte den Pär­chen un­be­hag­li­che Scheu ein. Ihr Mund konn­te so


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