Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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al­te­riert hat­te. –

      Dann wur­de sie von ei­nem wil­den Schre­cken er­fasst. Sie war doch ge­wiss sehr krank, wenn man dort drin­nen so end­los lan­ge über sie sprach.

      Das wur­de ja un­er­träg­lich!

      Ster­ben müs­sen – auf­hö­ren zu sein Nein – nein – al­les an­de­re! Nur le­ben! O Gott – lie­ber, barm­her­zi­ger Gott – nur noch ein biss­chen le­ben.

      Plötz­lich hör­ten alle das tie­fe, be­hag­li­che La­chen des al­ten Sa­ni­täts­rats.

      Wie das über­rasch­te und den stum­men Bann der Er­war­tung brach!

      Der Re­gie­rungs­rat öff­ne­te die Tür – auch der Pro­fes­sor lach­te über das gan­ze Ge­sicht.

      »Ja – das sind so Er­fah­run­gen, mein lie­ber Kol­le­ge«, hör­te man ihn lus­tig sa­gen.

      Als er im Rah­men der ge­öff­ne­ten Tür das blas­se Mäd­chen­ant­litz mit den lei­dens­vol­len Au­gen ge­spannt auf sich ge­rich­tet sah, ver­schwand sein Ver­gnü­gen an der gu­ten An­ek­do­te hin­ter dem mild-erns­ten Be­rufs­ge­sicht.

      Er wen­de­te sich zu Frau Heid­ling.

      »Nun – ich kann Ih­nen ja güns­ti­ge Aus­kunft ge­ben«, sag­te er freund­lich. »Von Tu­ber­ku­lo­se fin­de ich kei­ne An­zei­chen. Ihr Fräu­lein Toch­ter ist sehr sen­si­bel – un­ter dem Ein­fluss hef­ti­ger psy­chi­scher Er­re­gung ist ihr da ein Äder­chen ge­sprun­gen. Die Kon­sti­tu­ti­on muss Wi­der­stands­fä­hi­ger ge­macht wer­den – sonst könn­ten sich doch böse Din­ge ent­wi­ckeln. – Ihre Ge­sund­heit, lie­bes Fräu­lein, ist in Ihre ei­ge­ne Hand ge­legt. Ge­ben Sie sich hei­te­ren Ein­drücken hin, ge­nie­ßen Sie Ihre Ju­gend.«

      Er er­teil­te nun sei­ne ein­fa­chen Ver­ord­nun­gen, die in al­len Haupt­sa­chen mit de­nen des al­ten Haus­arz­tes über­ein­stimm­ten. Doch hör­te man ihm auf­merk­sa­mer zu, und je­des Wort aus sei­nem Mun­de schi­en einen hö­he­ren Wert zu be­sit­zen.

      Aga­the hät­te ihm am liebs­ten in hei­ßer Dank­bar­keit die Hand ge­küsst.

      Als der Pro­fes­sor sich ent­fernt hat­te, um­arm­ten Papa und Mama die Toch­ter. Ihr Glück dünk­te Aga­the so un­schätz­bar, so köst­lich und so tief be­frie­di­gend, dass ein freu­di­ger, ja ein wahr­haft kampf­lus­ti­ger Mut zu je­der Ent­sa­gung über sie kam.

      Sie woll­te ge­sund sein, sie woll­te le­ben – für nie­mand und für nichts an­de­res auf der wei­ten Welt, als nur für ihre El­tern.

Zweiter Teil

      I.

      Eu­ge­nie war nach der Ge­burt ih­res ers­ten Kin­des im­mer noch hüb­scher ge­wor­den. Sie strahl­te förm­lich in Ge­sund­heit und fröh­li­cher Lau­ne. Wenn der stram­me klei­ne Kerl auf dem Arm der Wär­te­rin ne­ben ihr aus­ge­führt wur­de, tru­gen Mut­ter und Kind die­sel­ben run­den tel­ler­för­mi­gen Kap­pen aus wei­ßer Wol­le auf den blon­den, ro­si­gen Köp­fen, und das mach­te sich ganz al­ler­liebst. Eu­ge­nie dach­te sich im­mer et­was Be­son­de­res aus in ih­rer Toi­let­te, das die Leu­te är­ger­te oder freu­te und wor­über man in je­dem Fal­le ver­schie­de­ner Mei­nung war.

      »Ein neu­er Ein­fall mei­ner Frau!« pfleg­te der Lieu­ten­ant Heid­ling dann zu sa­gen, und in dem Ton, mit dem er hin­zu­füg­te: »ja, die­se klei­ne Frau« ver­riet sich eine bei­na­he kna­ben­haf­te Ver­liebt­heit.

      Ver­g­li­chen die Be­kann­ten Wal­ter mit sei­ner rei­zen­den Frau, so fiel ih­nen sein be­un­ru­hig­tes und oft ge­drück­tes We­sen auf. Er hat­te Lau­nen. Sei­ne Stirn, sei­ne ein­fa­chen, ju­gend­li­chen Züge konn­ten ohne er­sicht­li­chen Grund von Un­mut ver­fins­tert wer­den. In Ge­sell­schaf­ten, wo Eu­ge­nie sich un­ter­hielt, lach­te, tanz­te und sich von sei­nen Ka­me­ra­den den Hof ma­chen ließ, stand er schweig­sam um­her und be­ob­ach­te­te sie. Zu­wei­len warf er ihr einen bit­ten­den Blick zu. Meist woll­te er früh auf­bre­chen, doch ließ er sich stets von ihr be­deu­ten – er konn­te sei­nen Wil­len nicht durch­set­zen ge­gen sie, und dann wur­de er ver­drieß­lich. Ihm war die Ge­sell­schaft ver­hasst, am liebs­ten wäre er im­mer al­lein mit sei­ner Frau ge­blie­ben. Hät­te er es ihr ver­ra­ten, so hät­te sie über ihn ge­lacht. Und ihr La­chen tat ihm weh, er for­der­te es nicht gern her­aus. – Ja – und – – es war doch ihr Geld, von dem sie ein Haus mach­te, Toi­let­ten an­schaff­te u. s. w. Wür­de sie ihm das ein­mal vor­wer­fen … Da­rauf durf­te er es nicht an­kom­men las­sen. Die Furcht vor die­sem Wor­te, wel­ches Eu­ge­nie spre­chen konn­te, ver­mehr­te noch die Un­si­cher­heit, in die sei­ne große Lie­be ihn stürz­te. Er war maß­los ei­tel auf sei­ne Frau, auf ihre Tri­um­phe – so­gar auf ihre Ko­ket­te­rie. Verächt­lich und mit­lei­dig äu­ßer­te er sich in Be­zug auf alle üb­ri­gen Frau­en. Aber – Re­gie­rungs­rat Ge­vat­ter ste­hen. Eu­ge­nie hat­te aber … Er hat­te sich ihr Ver­hält­nis frü­her ganz an­ders ge­dacht. Eine Ver­nunft­hei­rat – und sie muss­te noch froh sein, wenn er ihr Ver­mö­gen nicht beim Jeu ver­brauch­te. Ja – ja – ja – die Ehe bringt zu­wei­len wun­der­li­che Über­ra­schun­gen.

      Vor der Tau­fe des Kin­des hat­te Aga­the ei­nem hef­ti­gen Streit zwi­schen Wal­ter und Eu­ge­nie bei­ge­wohnt. Wal­ters Haupt­mann, Herr von Streh­len, der gnä­di­gen Frau all­er­ge­treues­ter Ver­eh­rer, soll­te ne­ben dem al­ten Wu­trow und dem Haupt­mann schon vor Mo­na­ten ver­spro­chen – in Wal­ters Ge­gen­wart, er muss­te sich doch er­in­nern – ihr ers­tes Kind soll­te, falls es ein Jun­ge wer­de, nach dem Haupt­mann »Wolf« ge­nannt wer­den. Der Jun­ge war auf die Welt ge­kom­men, und Wal­ter war doch auch ganz zu­frie­den mit der Tat­sa­che. Ein al­tes Ver­spre­chen nicht zu hal­ten, weil es ihm plötz­lich nicht mehr pass­te, das ging ja nicht – das muss­te er doch ein­se­hen. Ein ält­li­cher Jung­ge­sel­le legt Wert auf so et­was. Mein Him­mel, warum ihm nicht die Freu­de gön­nen? Streh­len war nun ein­mal Wal­ters Vor­ge­setz­ter – dar­an ließ sich nichts än­dern, man durf­te ihn nicht er­zür­nen. Wal­ter wür­de das sonst schon in sei­ner Car­riè­re zu füh­len be­kom­men.

      Sie sprach sehr ver­stän­dig, und nach­dem Wal­ter an­fangs hef­tig ge­nug ge­we­sen, gab er schließ­lich ih­ren gu­ten Grün­den nach.

      Der Jun­ge wur­de Wolf ge­nannt. Herr von Streh­len kam fast täg­lich her­an, um sich nach den Fort­schrit­ten in der Ent­wi­cke­lung sei­nes Pa­ten­kin­des zu er­kun­di­gen. Auch wenn er nicht an­we­send war, tön­te sein Name in tau­send Lieb­ko­sun­gen durch die Woh­nung. Hielt Eu­ge­nie ihr Söhn­chen auf dem Schoß und spiel­te mit ihm, beim Ba­den und An­klei­den, das sie als ge­wis­sen­haf­te Mut­ter im­mer selbst be­sorg­te, hieß es fort­wäh­rend un­ter Küs­sen und Schä­kern: Mein Wol­fi­mäus­chen! Mein al­ter Zucker­wolf! Mein Brüll­wölf­chen! Mein klei­ner, sü­ßer Her­zens­wolf!

      Und die schar­fen, grau­en Au­gen der jun­gen Frau blick­ten un­ter halb­ge­schlos­se­nen Li­dern mit lis­ti­ger Schel­me­rei zu Wal­ter hin­über und sa­hen, dass er litt – im­mer­fort litt – sich Vor­wür­fe mach­te über eine so un­sin­ni­ge Qual – dass er sei­ne Ehre und sein Ver­trau­en zu ihr und sei­ne Ver­nunft, die ihr nichts vor­wer­fen konn­te, zu Hil­fe nahm, und sein Zart­ge­fühl, wel­ches sich schäm­te, auch nur mit ei­nem Wor­te sei­ne Un­zu­frie­den­heit zu äu­ßern über et­was ganz Selbst­ver­ständ­li­ches


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