Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher. Anna Ehrlich

Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher - Anna Ehrlich


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die Wiener Dirne schlechthin, und als diese weltbekannt.

      Große Dirnen kennt Wien nicht, es sei denn als Besucherinnen, denn Wien hat keine erotische Kultur. Keine Wienerin schwang sich im Laufe der Jahrhunderte zur beneideten und von Fürsten und Dichtern verehrten, geistvollen Kurtisane auf, und keine lenkte als Mätresse die Geschicke des Landes oder auch nur der Stadt. Selbst von den Geliebten der Habsburger, die ihnen »natürliche« Kinder gebaren, wissen wir, wenn überhaupt, nur Namen, und nicht einmal diese sind verlässlich überliefert. Dafür gibt es eine Unzahl von hübschen und von hässlichen Geschichten, von großen und kleinen Affären, oft heiter, manchmal tragisch, die aber nur für die Betroffenen von Bedeutung waren.

      Im Mittelalter ging man mit der Geschlechtsmoral noch recht locker um; die Prostitution war nicht nur geduldet, sondern stand unter dem Schutz des Herzogs. Das änderte sich um 1500. Syphilis, Reformation und Gegenreformation führten zu ihrem gesetzlichen Verbot und somit zu ihrer Kriminalisierung. Kirche und Staat begannen sich ins Sexualleben der Wiener einzumischen: Spitzel überprüften jeden Haushalt auf seine »guten Sitten«, mit dem Ergebnis, dass die Wiener es lernten, ihr Liebesleben bestens zu verbergen.

      Man gab sich nach außen fromm und keusch, aber hinter verschlossenen Türen und an bestimmten Orten blühten Wein, Weib und Gesang wie ehedem. Adelige Damen und Herren hielten sich an ihre Kreise oder an ihre Untertanen; wohlhabende Bürger an ihr Dienstpersonal. Erhöhte Vorsicht galt für Bürgerinnen, denn wenn man sie beim Ehebruch erwischte, erging es ihnen schlecht. »Vornehme« Kupplerinnen versorgten die Lebemänner mit edler Ware. Mägde und Dienerinnen aber, die schwanger wurden, landeten auf der Straße und mussten sich und ihr Kind durchbringen – meist durch verbotene Prostitution. Die Nachfrage war groß: Unzählige Knechte und Hausdiener, Handwerksgesellen und Studenten, ebenso wie Händler, die zu den Jahrmärkten kamen, zählten zu den Kunden. Die Straßenprostitution war ein Problem der Unterschicht, und da die Sittlichkeitswächter zu derselben sozialen Schicht gehörten, sahen sie über manches hinweg. Außerdem waren sie überfordert und statuierten nur von Zeit zu Zeit ein Exempel, was unter Dirnen als Berufsrisiko galt. Das durch den rasanten Bevölkerungszuwachs im 19. Jahrhundert steigende Elend der untersten Klassen trieb immer mehr Frauen in die Prostitution, die zum öffentlichen Ärgernis wurde, nicht zuletzt durch das Auftauchen eines neuen Berufs, des Zuhälters, des »Krameltreibers« (von »Gramml«), der zum »Beschützer« der Dirnen und Nutznießer ihrer Arbeit wurde. Andererseits lockerten sich die Sitten seit der Aufklärung generell, Männer und Frauen aus den höheren Schichten wehrten sich gegen überkommene Zwänge und versuchten auszubrechen. Erzherzöge verbargen ihre unstandesgemäßen Liebchen nicht mehr, sondern bekannten sich offen zu ihnen und heirateten sie. Große Damen verließen ihre Gatten und reisten in Gesellschaft ihrer Liebhaber herum. Die Frau trat ins Wirtschaftsleben ein und war nicht mehr gewillt, sich erotisch, wirtschaftlich oder politisch unterdrücken und ausbeuten zu lassen. Es war ein langsamer Prozess, aber das Verhältnis der Geschlechter zueinander war um 1900 ein völlig anderes geworden, als in den Jahrhunderten zuvor. Das »Mutzenbacher« Buch ist nicht nur Literatur, sondern Symptom dieser revolutionären erotischen Aufklärungsbewegung, die eine Überkompensierung der Verdrängung der Sexualität aus dem öffentlichen Leben der Gesellschaft darstellt.

       Auf der Flucht vor den 1848er Revolutionären verkleidet sich Pater Zyrill als Bordellwirtin und versteckt sich bei seinen sündigen Schäfchen (Lithografie nach A. Pettenkofen)

      Josefine Mutzenbacher wurde zur berühmtesten Wiener Dirne, ja zum Synonym für Wiener Dirne schlechthin. Sie hat nicht ein-, sondern tausendfach gelebt, nicht nur im ausgehenden 19. Jahrhundert, sondern zu allen Zeiten. »Pepi« ist eine echte Wienerin: Sie geht nicht unter, sie »richtet« sich das Leben trotz aller Benachteiligungen und bleibt dabei gutmütig und fröhlich; verbessern will sie nichts, nur ihre eigene Lage. Sie führt uns ohne erhobenen Zeigefinger durch die Wiener Sittengeschichte(n) aller Jahrhunderte und lächelt uns dabei zu: »Sex ist nichts Schlechtes, schlecht ist nur, wer schlecht darüber denkt und spricht!«

      DDr. Anna Ehrlich

      Wien, im April 2005

       Erste Spuren der »Mutzenbacherin«

       »Beltane« – Feste unbändiger Lust

      Die Jäger- und Sammlervölker der Steinzeit verehrten ihre Frauen – von Prostitution à la Josefine Mutzenbacher war damals noch keine Rede. Je beleibter eine Frau war, desto begehrenswerter war sie, wenn wir die Statuette der Venus von Willendorf richtig deuten.

      Um 500 v. Chr. zogen Kelten in unseren Raum, vermischten sich mit Illyrern und älteren Völkern und gründeten das Königreich Norikum. Auf Wiener Boden entstand erstmals eine befestigte Stadt, Vendomina genannt, ferner eine Reihe kleinerer, verstreuter Siedlungen und eine befestigte »Burg« auf dem Leopoldsberg. Die Leute lebten recht gut vom Handel mit Rom, sie versorgten die Römerinnen mit dem begehrten Bernstein, mit »Blondhaar« für Perücken und mit edlen Pelzen. Fremde Händler kamen und fragten neben Unterkunft und Nahrung noch eine weitere Dienstleistung nach: Die ersten Wiener »Mutzenbacherinnen« boten sich ihnen an.

      Die Einheimischen besuchten die Dirnen nicht, sie hatten ihre eigenen Frauen und ihre eigenen Sitten. »Beltane« war eines der wichtigsten Feste des keltischen Jahres; »Beltane« bedeutet »Feuer des (Gottes) Bel«. Man feierte die sexuelle Urkraft an sich, die schöpferische Lebensfreude, die erwachte fruchtbare Natur des Frühlings, durch ein Fest der unbändigen Lust. Jungfräulichkeit galt keineswegs als Tugend, und wenn sie beim Beltane-Fest verloren ging, trauerte ihr keiner nach. Rothaarig waren sie übrigens nicht, die hübschen »Wienerinnen« der Keltenzeit, aber sie färbten ihr Haar bereits mit Henna, das ihnen die Händler zusammen mit süßem Wein aus dem Süden brachten.

       Römische Glückseligkeit: »Beischläferinnen« und »Lupanare«

      Als um Christi Geburt römische Soldaten die Donau erreichten, stießen sie auf wenig Widerstand. Hier herrschte bald Männermangel, da die Kelten als Soldaten in ferne Provinzen geschickt wurden, und so freundeten sich ihre Strohwitwen mit den Neuankömmlingen an. Das Lager – man nannte es Vindobona – wurde ausgebaut und mit Mauern, Türmen und Gräben gesichert: Der »Graben« in Wien erinnert noch heute daran. Innerhalb des Lagers gab es Tempel, Säulenhallen, Bäder – aber keine Frauen, denn die Soldaten durften nicht heiraten. Sie quartierten daher rund um das Lager ihre Konkubinen und deren Mischlingskinder in privaten Behausungen ein, und findige Unternehmer gründeten für die Frauenlosen »Canabae« (Kneipen) und »Lupanare« (Bordelle). Lupa bedeutet ja nicht nur Wölfin, sondern auch Prostituierte. Auf dem Michaelerplatz findet man deren Reste: unter anderem eine römische Mauer mit Spuren von Fresken mit Weinranken, der Pflanze des römischen Gottes Bacchus.

      HIC HABITAT FELICITAS, hier wohnt die Glückseligkeit, stand über dem Eingang der römischen Bordelle. Die Mädchen und Lustknaben aber, die Glückseligkeit anboten, waren Sklaven, rechtlich gesehen »Sachen« und Eigentum des »Unternehmers«. Wurden sie von Kunden verletzt oder gar getötet, musste der Täter Schadenersatz zahlen: rund 3500 Euro.

      In der Zivilstadt von Vindobona, in der sich Händler, Handwerker und Legionäre im Ruhestand ansiedelten – im heutigen 3. Bezirk, in der Umgebung des Belvedere-Gartens und rund um den Rennweg –, gab es freie Prostituierte, die besser gestellt waren. Sie waren geschminkt und parfümiert, trugen eine kurze, grüngefärbte Männer-Toga – das römische Frauengewand, die Tunika, stand nur ehrbaren Frauen zu –, bei Kälte darüber einen weißen kurzen Umhang, auf dem Kopf eine blonde Perücke und zeigten Bein in hohen, roten Stöckelschuhen. Wer das Dirnengewerbe ausüben wollte, musste sich registrieren lassen, denn die Römer hatten strenge Gesetze gegen die Unmoral. Daher ließ sich sicherheitshalber auch so manche römische Ehefrau als Dirne registrieren – um straflos Ehebruch treiben zu können. Man prägte eigene Bordellmünzen, die


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