Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher. Anna Ehrlich
Legionäre im Jahre 193 n. Chr. unweit von Wien, in Carnuntum, Lucius Septimius Severus zum Kaiser ausriefen, machten sie ihm klar, dass sie vom Eheverbot und von den Dirnen genug hatten. Er erlaubte ihnen daraufhin »Beischläferinnen«, die »Focariae«, mit denen sie in der Zivilstadt eine Art Ehe führten. 212 n. Chr. erhielten die Provinzstädte schließlich das Bürgerrecht, was das Ende der Ehebeschränkungen bedeutete.
Trotz der Nähe Carnuntums war Vindobona so bedeutend, dass sogar römische Kaiser längere Zeit hier weilten: Zuerst Hadrian, später Marc Aurel, an den bis heute eine Straße erinnert. Seine reizvolle Gattin, Diva Faustina Augusta, beehrte Wien gewiss ebenfalls mit ihrer Anwesenheit, Münzen mit ihrem Bildnis wurden hier gefunden. Sie schenkte dem Kaiser dreizehn Kinder, die Marc Aurel, ein wahrer Philosoph, mit stoischer Gelassenheit als die seinen anerkannte: selbst Lucilla, die jeder für die Tochter eines Gladiators hielt.
Hunnenkönig Attilas Ermordung und König Samos Manneskraft
Die »zivilisierte« Römerzeit ging zu Ende, als das Christentum neue moralische Akzente setzte und von allen Seiten neue Völker ins Land drängten. Das Vorrücken der Hunnen veranlasste die meisten Römer, mit ihren einheimischen Weibern und Kindern abzuziehen. Wie es denen erging, die im Lager von Vindobona blieben, meldet keine Chronik.
Der gefürchtete Attila achtete die Frauen durchaus1, und dass er oder ein anderer Hunnenkönig Ursula und 11 000 Jungfrauen bei Köln habe töten lassen, ist nichts als üble Nachrede. Er starb 453 n. Chr. in der Nacht nach seiner Hochzeit mit Ildico, der Legende nach wurde er von ihr ermordet. Wo die Untat genau geschah, weiß niemand, aber nichts spricht dagegen, sich die zerstörten römischen Paläste von Wien als Kulisse vorzustellen. Das »Nibelungenlied« erzählt, dass Hunnenkönig Etzel (Attila) seine Hochzeit mit Krimhild mit einem 17-tägigen Fest in »Wiene« feierte. Haben die Hunnen aus Rache für seinen Tod wirklich Wien zerstört? Tatsache ist: Irgendwann um diese Zeit hat Wien gebrannt.
Nach dem Abzug der Hunnen2 fielen Kriegerhorden einmal von Osten, dann wieder von Westen ein. Vandalen und Langobarden, Awaren und Slawen machten den »Wienern« das Leben schwer. Ein Stamm nach dem anderen eroberte die Gebiete, wurde seinerseits vom nächsten Stamm besiegt und ging in ihm auf. Ein interessantes Völkergemisch war die Folge: zähe Menschen, die es lernten sich anzupassen. Diese Eigenschaft der »Österreicher« gefiel auch König Samo, der Wien vermutlich zu seiner Hauptstadt machte.3 Es hieß zu jener Zeit Dunaj oder Vendunja. Über Samos Herkunft ist viel gerätselt worden: Laut der Chronik von Fredegar stammte er aus der Gegend von Sens (südöstlich von Paris), war also ein Galloromane, doch seine Sitten waren weder römisch noch fränkisch. Er war ein fröhlicher Heide aus Überzeugung, nahm sich zwölf slawische Frauen und zeugte mit ihnen 22 Söhne und 15 Töchter. Sein Reich erstreckte sich von Böhmen bis weit in den Süden, doch zerfiel es nach seinem Tod (658 n. Chr.). Wien wechselte immer wieder seinen Herrn und seine Sprache. 881 n. Chr. wurde es für hundert Jahre ungarisch und Bècs (»Am Steilhang«) genannt, bis es die Truppen Kaiser Ottos I. ab 955 n. Chr. für das Deutsche Reich eroberten. Zum Dank für ihre Tapferkeit belehnte Otto viele seiner Krieger aus Bayern und Franken mit Grund und Boden im Wiener Raum, den sie sich allerdings erst mit dem Schwert erkämpfen mussten – vom Feind, den Besitzern. Die entlassenen Soldaten waren raue Leute, Glücksritter, und mit ihnen kamen entlaufene Mönche, fahrendes Volk, lockere Frauenzimmer. Mord und Totschlag standen auf der Tagesordnung. Nur allmählich konsolidierten sich die Verhältnisse und aus der Jahrhunderte lang umstrittenen Grenzfestung Wien konnte sich langsam ein christliches, mittelalterliches Städtchen entwickeln.
Frauen treten erstmals aus dem Dunkel der Geschichte – »Josefine« und das Mittelalter
Die fruchtbaren Markgräfinnen
Ganz einfach war es nicht, heidnische Vorstellungen und christliches Gedankengut miteinander zu verbinden: Eifrig wurde diskutiert, ob Frauen denn überhaupt Menschen wären. Den reichen und mächtigen Damen gestand man dies bald zu, denn der Wert der Frau hing eng mit ihrer sozialen Stellung zusammen. Und so ist es nicht weiter erstaunlich, wenn wir aus dem frühen Mittelalter nur von Privilegierten Kunde haben, besonders von den Frauen der Markgrafen. Seit 976 n. Chr. die Babenberger von Kaiser Otto II. mit der neu gebildeten Mark im Osten belehnt worden waren, strebten diese danach, ihre Macht und ihr Ansehen zu vergrößern. Ein probates Mittel dazu waren günstige Eheverbindungen.
Markgraf Leopold II. (?–1095) vermählte sich mit Itha von Formbach-Ratelnberg, der Überlieferung nach war sie die Erbin von Wien4. Sie war nicht nur reich, sondern auch wunderschön und so fromm, dass ihr Sohn Leopold (III.) es bis zum Heiligen und Landespatron brachte. Die fruchtbare Markgräfin gebar ihrem Mann sieben Kinder, aus einer früheren Ehe hatte sie bereits zwei Söhne. Als 55-jährige Witwe ging ihre Abenteuerlust mit ihr durch, und sie zog mit Kreuzfahrern, die sich damals in Wien versammelten, ins Heilige Land. Die Teilnahme an einem Kreuzzug war damals große Mode und ein unvergessliches Erlebnis: Voran zogen Krieger und Kriegerinnen, dahinter im Tross unzählige Händler, Köchinnen, Wäscherinnen und Prostituierte, die sich fern der Heimat der Gläubigen erbarmten. Itha ritt zwischen den Kriegern, als diese im September 1101 auf den Feind trafen. Wie die Legende erzählt, geriet die anmutige Markgräfin in türkische Gefangenschaft, kam in den Harem des Sultans und wurde dessen Lieblingsfrau.
An Liebeskraft wurde Itha von ihrer Schwiegertochter, der zweiten Gattin des heiligen Markgrafen Leopold III. (1075–1136) und Königstochter Agnes, bei weitem übertroffen. Sie war die Witwe Friedrichs I. von Staufen und hatte bereits zwölf Kinder, als sie 1106 den Markgrafen heiratete. Von ihm bekam sie weitere 19, von denen sieben jung verstarben. Macht zusammen 31! Unglaublich, doch hat man anhand ihres Skeletts nachgewiesen, dass sie tatsächlich mehr als 25 Kinder geboren hat. Diese erstaunliche Frau erreichte ein Alter von über siebzig Jahren. Unter ihrem Sohn Leopold (IV.) wurde Wien 1137 als »civitas« bezeichnet, war also endlich zu einer richtigen Stadt mit allen Privilegien geworden.
Leopolds Bruder Heinrich (II.) vermählte sich in zweiter Ehe mit der 15-jährigen Prinzessin Theodora Komnena, einer Nichte des Kaisers von Byzanz. Sie wurde 1156 gemeinsam mit ihrem Mann mit Österreich als Herzogtum belehnt, das in Zukunft – im Falle des Aussterbens des Mannesstammes – auch an Töchter vererbt werden konnte. 1155 machte das Herzogspaar Wien zu seiner Residenz.
Die Herzogin hatte Handwerker aus Byzanz mitgebracht, darunter Baumeister. Sie errichteten neben festen Häusern für die wachsende Bevölkerung einen Wirtschaftshof mit zwei Kapellen und einen großen Saal für das Herzogspaar, davor ein Kloster für irische Mönche und eine schöne neue Kirche. Hof und Bürger suchten in ihr seelische Erbauung, aber außerhalb wollten sie mit Wein, Weib und Gesang unterhalten werden. Gaukler, Spielleute und Sänger fanden ihr Publikum. Reinmar von Hagenau, ein geborener Elsässer, machte Wien zu seiner neuen Heimat und sang hier das »Lob der Frauen«:
»Und ist daz mirs mîn sælde gan …« Und sollte mir mein Glück vergönnen, dass ich von ihrem Munde, während sie spricht, einen Kuss stehlen kann, gibt Gott, dass ich ihn dann mit mir fortbringe, so will ich ihn heimlich bei mir tragen und immer verbergen. Sollte sie das aber für eine schwere Kränkung halten und mich meiner Untat wegen hassen, was tu ich dann, ich Unglücklicher? Dann nehme ich ihn und lege ihn wieder dorthin, woher ich ihn nahm, wozu ich gewiss imstande bin.
Galten die Reime einer hohen Dame oder einer hübschen Bürgerin? »Ich versichere dennoch, sie hat nie einen Schritt aus dem Kreis der weiblichen Tugenden hinaus getan … So lasse ich es denn auch neidlos geschehen, wenn jemand behauptet, er habe größere Freuden erlangt. Mag er!« So sang Reinmar in aller Öffentlichkeit, wer weiß, was er an Tratsch und Eifersucht damit ausgelöst hat.
Eine Wiener Sage überliefert eine Eifersuchtstragödie: Ritter Brennberger besang die Reize der schönen Herzogin so