Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher. Anna Ehrlich

Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher - Anna Ehrlich


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war ein Fortschritt, als König Rudolf von Habsburg am 20. Juni 1278 bestimmte, niemand dürfe die »gelüstigen Frauen« beleidigen: Dadurch wurden sie vom rechtlichen Nichts zu Personen, wenn auch ohne Bürgerrecht, und waren somit besser gestellt als weibliche Dienstboten. Die Gunst war nicht umsonst, die »mittelalterliche« Mutzenbacherin zahlte einen Grundzins von wöchentlich zwei Pfennig und musste an Sonn- und Feiertagen und in der Fastenzeit die Stadt verlassen. Da die Hurerei zu den verfemten Berufen zählte, unterstellte Rudolf sie dem »Hocher« (Henker).

      Rudolf musste sich um alles kümmern: Die Wiener Männer beklagten sich bitter über die ledigen Mädchen! Sie ließen sich von unverheirateten Männern verführen und gaben an, diese hätten ihnen die Ehe versprochen. Man(n) konnte sich nur durch Heirat der Strafe entziehen. Dabei hatten die Frauen in der Ehe wenig zu lachen: »Er« war der »frouwen meister und ir herrscher«, er nahm das Beste an Speis und Trank für sich, und wenn er nicht zufrieden war, züchtigte er die Ehefrau wie auch Magd, Knecht, Kind und Pferd. Prediger forderten die Männer häufig auf, die Frauen besser zu behandeln, sie nicht an den Haaren zu ziehen, sie nicht zu schelten, nicht über sie zu fluchen und sie besser zu stellen als das Hausgesinde – es wird Gründe dafür gegeben haben …

       Hurenweibel und Dirne der mittelalterlichen Armeen (Holzschnitt 1545)

       Ehebruch und Hexenwahn

      Ehebruch wurde damals mit verschiedenem Maß gemessen: Ein Mann, der es mit einer ledigen Frau außerhalb der Ehe trieb, wurde vom Pfarrer zur Buße verdonnert. Ehemännern war der Besuch des Bordells untersagt. War die Ehefrau aber schwanger oder im Kindbett, verbot ihr die Kirche jeden Geschlechtsverkehr, selbst wenn der Ehemann drohte, zu einer anderen zu gehen. In dem Fall möge sie, wenn auch mit »trurigem herzen«, ihn gehen lassen, riet der Prediger Berthold von Regensburg. Beging jedoch eine Frau Ehebruch, so durfte sie der Ehemann laut Stadtrechtsprivileg von 1340 bestrafen, wenn er die beiden in flagranti ertappte. Tötete er nur den Ehebrecher und ließ die Frau leben, hatte er dem Stadtrichter 30 Pfund Pfennige für den Totschlag zu bezahlen. Er konnte das Pärchen diesem aber auch zur Bestrafung übergeben: Dann wurden sie gepfählt, in der Grube liegend gemeinsam mit einem Pfahl durchbohrt.

      An der Schlagbrücke am mittleren Tabor pflegte man Kindesmörderinnen, rückfällige Dirnen oder Ketzerinnen zu ersäufen. Der Henker war gefürchtet und man mied ihn. Zu seinen Aufgaben gehörte die Wahrheitsfindung bei Prozessen. Um den Verbrechern das Geständnis zu »erleichtern«, hatte man im 13. Jahrhundert in Wien die Folter eingeführt. Das war »im Sinne der Angeklagten«, damit sie gestehen und ihre gerechte Strafe erleiden konnten, um so ihr Seelenheil zu retten. Wurde ein Unschuldiger getötet, kam er eben früher als vorgesehen in den Himmel, was für die Ewigkeit keine Rolle spielte. Am »Schergenhaus« in der Rauhensteingasse, in dessen Kellern gefoltert wurde, drückten sich die Leute rasch vorbei, nicht ohne sich zu bekreuzigen. Wurde ein Verbrecher hingerichtet, liefen unzählige Wienerinnen und Wiener mit ihren Kindern zusammen, damit ihnen nichts von dem Schauspiel entging. Findige Wirte boten Wein, Schnaps und Würste an; die Dirnen nützten das Gedränge, um Männer ansprechen …

      Zu den geistigen Auswüchsen zählt auch der Hexenwahn, der in Europa unzählige Opfer forderte, in Wien jedoch nicht um sich greifen konnte. Den Dämonen und Teufeln waren die Exorzisten aber auch hierzulande immer auf der Spur. Das Leben war durchdrungen von religiösen Vorstellungen: An vielen Tagen wurde den Gläubigen der Geschlechtsverkehr verboten, dafür bestimmte die Teilnahme an kirchlichen Zeremonien die arbeitsfreie Zeit. Kirchgänge und Predigten zählten zu den »Lustbarkeiten« und zogen hoch und nieder, reich und arm, ehrbar oder nicht, in ihren Bann. Tausende, ja Zehntausende Menschen liefen zum Graben oder zu den Friedhöfen, wenn dort gepredigt wurde. Besonders beliebt war der Stefansfreithof (Stephansplatz), da war viel Platz. Man bekam alles zu hören, was man falsch gemacht hatte, erkannte die Fehler seiner Nachbarn, konnte sich reuevoll auf die Brust schlagen, um anschließend fröhlich weiter zu sündigen.

      Berthold von Regensburg war der erste große Prediger8. Er ließ kein Thema aus, sprach über Ehe und Ehebruch, Unzucht und Eitelkeit, Arbeit und Kindererziehung. Vor Begeisterung schwor die eine oder andere »Josefine« mitten in den Predigten ihrem bisherigen Leben ab und konnte einem armen Mann zur Frau gegeben werden; die Mitgift wurde an Ort und Stelle von der Menge aufgebracht. Dreihundert seiner Predigten haben sich bis heute erhalten und spiegeln die Sitten der Zeit wieder. Stephan von Landskrona9 wiederum las den Wienerinnen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Leviten, weil sie Schwangerschaften zu verhüten suchten oder abtrieben, und brachte mit seinen Schilderungen von homosexuellen Verfehlungen, Sodomie und Masturbation manche Zeitgenossen vermutlich erst auf pikante Ideen. Er verdarb darüber hinaus den Leuten den Spaß an schönen, erotischen Fresken und schimpfte gegen jeden Aberglauben. Den meisten Zulauf von allen erhielt sein Zeitgenosse Johannes Capistran10. Alle ihre Unsitten warf er den Wienern vor, ihre Glücksspiele, ihre unzüchtigen Tänze, ihre reichen Kleider. Dabei hob und senkte er die Stimme, gestikulierte, brüllte, tobte und winselte, rollte mit den Augen – er war mitreißend. Und das, obwohl er Lateinisch predigte und seine Worte übersetzt werden mussten. Er zitierte die heilige Schrift, jonglierte mit Zahlen, erzählte von eigenen Erlebnissen und Erfahrungen, während er auf der hölzernen Kanzel11 stand, die man auf dem Stefansfreithof für ihn errichtet hatte. Er forderte die Zuhörer auf, gemeinsam und laut nach Errettung von den Sünden zu rufen, gegen Türken, Hussiten und Juden zu kämpfen und sich der Eitelkeiten im Feuer zu entledigen. Scheiterhaufen wurden errichtet, die Frauen warfen ihren eitlen Kopfputz hinein, die Männer Spielkarten, Würfel und Spielbretter – alles, was teuflisch war.

       Das »Fraueneck« und seine Geschichte

      Theoretisch galt Armut als christliche Tugend, aber niemand achtete die Armen. Nur die Reichen hatten das Sagen, Patrizier, Händler und Grundbesitzer. Die Handwerkerfamilien hingegen wohnten eng und ärmlich zur Miete und waren von den Händlern abhängig. Ein gutes Drittel der Stadtbewohner bestand aus Personen mit geringen oder gar keinen Einkünften – Arme, Kranke, Witwen und Waisen, die auf Unterstützung und Almosen angewiesen waren. Sie lebten geduldet in den hinteren Kammern der Häuser ihrer Verwandten oder zusammengedrängt in Kellern. Durch die Gassen zogen Hausierer und Korbmacher, Lumpensammler und Kesselflicker, Kuppler und Schweineschneider, Spielleute und Baderknechte, Zahnbrecher, Landstreicher, Diebe und Mordgesindel.

      Von Reinlichkeit war in der Stadt keine Rede. Wer ein Bedürfnis zu verrichten hatte, tat dies ungeniert auf der Straße, oft mitten im Gespräch. Zum feinen Benehmen gehörte, dass man darüber hinwegsah. Es spielte keine Rolle, denn die Straßen waren voller Schlamm, Schweinemist und Abfall. Im Frühjahr und Herbst beseitigten Mistknechte den Unrat, ansonsten nur vor besonderen Festen und der Ankunft von bedeutenden Persönlichkeiten. Die Bettler unterstellte man 1443 dem Sterzenmeister, der die Oberaufsicht über alle Bettler führte und das Recht hatte, sie bei Verstößen zu bestrafen. Bereits 1436 hatte die Stadt auf den Friedhöfen »Precheln« errichten lassen, die dazu dienten, missliebige Bettler der öffentlichen Spottlust preiszugeben. Die Strafen richteten sich vor allem gegen »betrügerisches« Betteln: Frauen stopften sich Polster unter ihre Kleider und gaben vor schwanger zu sein, oder borgten sich Kinder und Säuglinge aus, um möglichst bedürftig zu wirken. Bettler besaßen oft Urkunden, die ihre Ansprüche auf Almosen bestätigten. Aufgabe des Sterzenmeisters war es, die Echtheit dieser Dokumente zu prüfen. Bettler hatten, solange sie sich in der Stadt aufhielten, für jedermann ersichtlich, das Bettelzeichen zu tragen: ein um den Hals geschlungenes, gelbes Tuch.

      Uneheliche Sexualität war in der Unterschicht, die nicht heiraten konnte, unvermeidlich. Zwischen armen Frauen und »Hübschlerinnen«, die Seite an Seite lebten, blieb die Grenze oft verschwommen. Manche Frau ließ sich vorübergehend von Männern unterstützen, wollte sich aber nicht als Dirne abgestempelt sehen und ging Gelegenheitsarbeiten nach, von denen sie offiziell lebte. Um ehrbare Frauen von »Mutzenbacherinnen«


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