Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher. Anna Ehrlich

Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher - Anna Ehrlich


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belegt. Margaretes Ehemann König Ottokar von Böhmen, den die Stände ins Land gerufen hatten, sorgte für Ordnung. Als im Sommer 1258 ein verheerender Stadtbrand in Wien wütete und die Stephanskirche schwer beschädigte, ließ er sie wiederherstellen und 1263 neu weihen. Er stellte Bauholz für den Wiederaufbau der Stadt zur Verfügung und führte den Bau der Hofburg fort. Wien wurde eine sichere und schöne Stadt. Zwischen 1252 und 1273 weilte ein böhmischer Spielmann hier, den man den »Freudenleeren« nannte. Er schildert in seiner »Wiener Meerfahrt« die Pracht der Stadt, vermerkt den Hang der Wiener zum Essen und Trinken und die Schönheit der Frauen.

       »Wien, das ist des Lobes wert, Da findet man Ross und Pferd, Großer Kurzeweile viel, Sagen, Singen, Saitenspiel, Das findet man zu Wien genug, Hübschheit und Ungefug.«

      Fahrende Spielleute wie der »Freudenleere«, aber auch Wunderheiler und Gaukler zogen von Stadt zu Stadt und machten die Schenken unsicher, »gemeyne Frauen« fanden sich oft in ihrem Gefolge. Einige von diesen wurden im Lauf des 13. Jahrhunderts zwar sesshaft, flohen bei Schwierigkeiten jedoch rasch.

       Der erste Habsburger und seine junge Braut

      Als Rudolf von Habsburg 1273 von den Kurfürsten zum deutschen König gewählt wurde, zählte er 55 Jahre, war schlank, fast hager, asketisch. Ohne Prunk zog er im Reich umher, zäh seine Ziele vor Augen, die den Großen des Reiches nicht immer genehm waren. Sein erster Plan war die Ausschaltung des Böhmenkönigs Ottokar und die Belehnung seiner Söhne mit dem Babenbergererbe. Er nutzte alle Möglichkeiten, um Ottokar ins Unrecht zu setzen. Doch die Wiener waren Ottokar treu geblieben, er war für sie der anerkannte Nachfolger der Babenberger. Rudolf musste die Stadt lange belagern, und erst als Ottokars Sache aussichtslos wurde, öffneten ihm die Wiener die Tore.

      Von der neuen habsburgischen Herrschaft war nur Rudolfs Gattin Anna beliebt; sie führte mit Rudolf eine harmonische Ehe, gebar ihm ein Dutzend Kinder, die für die Politik eingesetzt und entsprechend verheiratet werden konnten. Sie folgte Rudolf ohne Murren auf allen unbequemen Reisen durch das Reich und schließlich bis nach Wien, wo sie der Legende nach an der Leiche Ottokars gebetet haben soll. Das vergaßen ihr die Wiener nie und waren ehrlich betrübt, als sie im Februar 1281 starb. Rudolf fiel in Depressionen, aus denen ihn selbst sein geliebter unehelicher Sohn Albrecht von Schenkenberg nicht reißen konnte.

      Schon bald musste sich König Rudolf jedoch wieder den Angelegenheiten im Reich widmen, und so belehnte er seine Söhne Albrecht I. und Rudolf 1282 mit den Ländern der Babenberger. Rudolfs Melancholie wurde fern von Wien immer schlimmer, bis ihm die Kurfürsten rieten, sich ein junges, schönes Weib zu nehmen. Er war 66 Jahre alt, als er diesen Rat befolgend eine 14-jährige Kapetingerin, Isabella von Burgund, zur Frau nahm. Am 5. Februar 1284 wurde Hochzeit gefeiert. Dem als geizig bekannten König war die junge Seelentrösterin einiges wert, er verschrieb ihr 20 000 Mark Silber als Heiratsgut und als Morgengabe 3000 Mark Silber. In der nächsten Zeit, scheint es, widmete sich der Habsburger mehr den Reizen seiner Ehefrau als den Regierungsgeschäften. Sie soll besonders lieblich gewesen sein, und der König bewachte sie voll Eifersucht. Isabella begleitete ihren Gemahl sieben Jahre auf seinen rastlosen Reisen. Nach seinem Tod 1291 kümmerte sich niemand mehr um sie. Niemand zahlte ihr die Summen aus, die ihr der verstorbene Gatte überschrieben und vermacht hatte, niemand gab ihr die Güter heraus, auf die sie ein Anrecht besaß. König Albrecht I. verfolgte seine jugendliche Stiefmutter mit Verachtung und kleinlichem Hass. In Basel fristete die Königin ein bescheidenes Dasein, bestritt mit dem Verkauf ihrer Juwelen den Lebensunterhalt. Schließlich kehrte sie nach Burgund zurück, nicht wie eine Fürstin, sondern wie ein armer Flüchtling. Später heiratete sie einen französischen Ritter, Pierre von Chambly Seigneur von Neaufle, dem sie zwei Söhne schenkte. Sie starb 1323 in Paris und wurde dort begraben, von aller Welt und den Habsburgern vergessen.

       Die wundersame Vorhaut

      Aberglaube und Reliquienkult blühten im Mittelalter, gingen miteinander seltsame Verbindungen ein, nicht immer zum Wohlgefallen der Kirche. Manche fromme Frau steigerte sich in religiöse Visionen, die aus unserer Sicht an Blasphemie grenzen.

      Agnes Blannbekin kam zur Zeit der ersten Habsburger von ihrem Dorf nach Wien und lebte allein in einem Haus nahe der Minoritenkirche, was erstaunlich war, denn Beginen6 nach französischem Vorbild waren in Wien selten. Sie kasteite sich, fastete, aß kein Fleisch, besuchte täglich mehrere Messen und Predigten und widmete sich der Lektüre frommer Texte. Ihr Beichtvater schrieb ihre Berichte auf. »Von Jugend auf war ich gewöhnt, am Tag der Beschneidung in heftiges Weinen auszubrechen aus Mitleid über den Verlust des Blutes Jesu Christi. So auch am Tage der Beschneidung, nachdem ich kommuniziert hatte. So in Weinen und Mitleid versunken fing ich an zu überlegen, wo die Vorhaut des Herrn hingekommen sein möge. Und siehe: bald fühlte ich auf der Zunge ein kleines Häutchen, nach Art des Häutchens eines Eies, von äußerster Süßigkeit und ich schluckte es hinunter. Kaum hatte ich es geschluckt, fühlte ich aufs neue ein solches Häutchen mit süßem Geschmack, und ich schluckte es wiederumnachdem sich das so oft wiederholt hatte, ward ich versucht, es mit dem Finger zu berührenUnd es wurde mir gesagt, dass die Vorhaut mit dem Herrn am Tage der Auferstehung werde auferstehen. So groß aber war die Süßigkeit beim Genießen des Häutchens, dass ich eine süße Umwandlung in allen Gelenken und Gliedern verspürte …« Als Bernhard Pez diese Aufzeichnungen im 18. Jahrhundert veröffentlichte, verursachten sie einen Skandal, und Kaiser Karl VI. ließ die ganze Auflage beschlagnahmen.

       Geißler, Tanzwütige und »gelüstige Frauen«

      Geprügelt wurde gern und viel, der Ehemann schlug die Ehefrau, die Herrin die Magd, der Abt die Mönche, der Freimann den Verbrecher, der König den Grafen, der Lehrer die Schüler, das war als Strafe für Missverhalten üblich. Man geißelte sich aber auch zu Ehren Christi, um dessen Leiden nachzuvollziehen. Sozusagen auf Vorrat für künftige Sünden geißelten sich Könige, Fürstinnen, adelige Damen und Herren, Bürger und Bürgerinnen, Mönche und Nonnen. Ab dem 13. Jahrhundert begannen gewöhnliche und ungebildete Leute in Italien, das durch die Kämpfe zwischen Kaiser Friedrich II. und dem Papst litt, mit Geißelprozessionen, die der Kirche sehr missfielen. Es dauerte nicht lange, da landeten etliche Flagellanten als Ketzer auf den Scheiterhaufen. Um nicht erkannt zu werden, gingen nun viele mit verhülltem Haupt, aber bis zum Gürtel nackt herum.

      Nach der Buße kamen Hunger und Katzenjammer: schmutzige Leiber drängten sich in der Kälte aneinander, Männlein und Weiblein, von Askese keine Spur, sie hurten, raubten, plünderten und mordeten. Der Wahn ebbte unter dem Druck von Kirche und Obrigkeit bald ab, blieb aber in örtlichen Geißlergemeinschaften erhalten und flammte als Massenhysterie im 14. Jahrhundert wieder auf, als Pest und Hungerkatastrophen die Menschen heimsuchten. Noch mehr zerlumpte, blutüberströmte Menschen zogen durch Europa, Kreuzbrüder, Frauen, Kinder, entsprungene Bettelmönche. Sie entwickelten eigene Hierarchien und Rituale und störten das Gesellschafts- und Wirtschaftsleben. Es gelang ihnen nicht, Papst und Obrigkeit von ihrer Lebensart zu überzeugen, sie wurden 1339 gebannt und die Fürsten aller Länder gingen hart gegen sie vor. Der öffentliche Bußeifer erlosch mit dem Abflauen der Pest, die Kirche brachte die Geißelungen unter ihre Aufsicht und Leitung, der unbelehrbare Rest der Geißler wurde verfolgt und ausgerottet.

      Eine andere Epidemie des späten Mittelalters war die Tanzwut: Johannistänzer und Veitstänzer drehten sich unermüdlich bis zur totalen Erschöpfung, viele Zuschauer wurden zu ihrem eigenen Entsetzen angesteckt. Aus Wien sind keine Massentanzorgien überliefert, vielleicht weil hier immer schon viel getanzt wurde. Die Handwerksgesellen tanzten mit den »schönen Frauen« ums Johannisfeuer7. Auch wenn diese zu den Ehrlosen gezählt wurden, unberührbar waren sie wahrhaftig nicht, die »gelüstigen Frauen«. Sie waren Fremde in der Stadt, und wie alle Fremden hatten sie keine Rechte. Das Mittelalter war die Zeit der engen persönlichen Bindungen: einem engen Geflecht von Beziehungen wie Sippe, Lehensbanden, Bruderschaften und Zünften, die einen in der Not auffingen und unterstützten. Wer solche nicht hatte, konnte jederzeit


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