Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher. Anna Ehrlich

Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher - Anna Ehrlich


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Seelenmesse. Er galt als tot, sein Ehepartner durfte allerdings erst nach seinem tatsächlichen Tod wieder heiraten. Die Krankheit galt als Strafe für die Sünden der Menschheit und führte zu religiöser Hysterie, zur Verfolgung der »Unzucht« und zu Judenmorden. Der Lepröse büßte mit seinem Leiden für seine Sünden und, falls er keine begangen hatte, für die Erbsünde. Den Menschen graute nicht nur vor seinem Körper, sondern auch vor seinen Sünden. Eine »Volksseuche« war die Lepra nie, es mag im 13. Jahrhundert in Wien gleichzeitig vielleicht hundert Aussätzige gegeben haben. Den Leprakranken wurde unersättliche sexuelle Begierde nachgesagt, Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau sollte diese heilen können. Hildegard von Bingen empfahl hingegen eine Salbe aus Einhornleber, aber auch sie sah im Aussatz die Folge schlechten Lebenswandels.

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       Mittelalterliche Miniatur aus einem »Badebuch«

      Herzog Leopold VI. (?–1230) tat viel für die Stadt: 1221 verlieh er Wien das Stadtrecht mit dem Stapelrecht: Alle fremden Kaufleute, die mit Ungarn Handel treiben wollten, mussten ihre Waren über Wien führen und zwei Monate lang hier feilbieten. So konnten die Wiener nicht nur vorteilhafte Käufe tätigen, sondern auch schöne Einnahmen erzielen, die »Josefines« Vorgängerinnen zu schätzen wussten. Doch schon bald stellte der Herzog fest, dass der Schandlohn der Dirnen aus einer von Gott nicht erlaubten Handlung entsprang und daher nicht bezahlt werden müsse. Wurde aber eine Jungfrau oder eine verheiratete Frau vergewaltigt, musste sich der Verdächtige durch ein Gottesurteil mittels glühendem Eisen reinigen. Leopold selbst war trotz der allgemeinen Furcht vor der Lepra kein Tugendbold: Doch schützte der Herzog seine Untertanen vor richterlicher Willkür. Selbst den Schuldigen ließ er eine letzte Chance: Erreichten sie das Schottenkloster auf der »Freyung«, so genossen sie Kirchenasyl. »Leo!« – Kinder rufen bis heute beim Fangenspiel seinen Namen, um nicht gehascht zu werden. Er zeugte einen »natürlichen« Sohn namens Leopold von Blumau.

       Der »kühne Griff«

      Friedrich II., genannt »der Streitbare«, setzte allen schönen Frauen nach und veranstaltete Trinkgelage und Tanzfeste, fleißig unterstützt von den Sängern Neidhart von Reuenthal und Tannhäuser. Friedrich stützte sich auf die kleinen Leute, die »Krautjunker« und »Döper«, was sein Freund Neidhart sehr beklagte. Aus dessen Abneigung gegen die Bauern und deren »Übergriffe« entstand das Neidhartspiel, ein Fastnachtsspiel: Es war Brauch, das erste Veilchen zu feiern. Einmal war Neidhart der glückliche Finder, bedeckte es mit seinem Hut und lief zur Burg, um den Fund zu melden. Alle, voran die Herzogin, eilten freudig herbei. Doch waren inzwischen auch Bauern gekommen und versuchten mit den Mädchen der Herzogin zu tanzen, was die adeligen Herren erzürnte. Als nun aber die Herzogin den Hut aufhob, um das Veilchen zu pflücken, fand sich darunter zu ihrer Empörung kein Veilchen, sondern – Exkremente. Mit zornigen Worten schalt sie Neidhart:

       »Dar uber sol man dich straufn Das du nimer kriegest, Und kain frawen mer betriegest, Du vaiger swacher man! Ez muoz dir an daz leben gan!«

      Die Bauern lachten den Ärmsten aus. Der wagte sich der Herzogin gar nicht mehr unter die Augen und wanderte zum nächsten Dorf. Was sah er da? Die Bauern – er erkannte sie wieder – tanzten um ein Veilchen! Das musste das Seinige sein! Er riss sein Schwert aus der Scheide, hieb auf die Bauern ein und schlug ihnen Hände und Beine ab.

      150 Jahre später hat ein unbekannter Maler diese Szene in einem Wiener Bürgerhaus, Tuchlauben 19, an die Wand gepinselt, die Fresken sind erst 1979 wieder entdeckt worden. An der Wand gibt es weitere Szenen zu sehen: Ein Mädchen hält einen aus blühenden Zweigen geflochtenen Ball in der Hand, den »Maien«, um ihn der Person seiner Wahl zuzuwerfen. Auf diese Weise pflegten die »Hübschlerinnen« bei den großen Festen der Stadt ihre Freier auszuwählen. Die nächste Szene wird deutlicher: Ein Bursche greift einem im Gras liegenden Mädchen mit der Hand hoch unter den Rock hinauf ans »füdenol«, die Scham, in der Neidhart-Literatur bekannt als der »kühne Griff«. Das Mädchen hält in der einen Hand den (Jungfern-)Kranz, in der anderen einen Spiegel. Diese waren aus poliertem Silber angefertigt und vielbegehrte Luxusartikel, die sich nur Adelige oder wohlhabende Bürger leisten konnten. Der Mann ist ein Bauer, der die höfische Minne verletzt und dem Mädchen die Jungfräulichkeit, Kranz und Spiegel im Doppelsinn, raubt. Vom letzten Fresko ist nicht mehr viel erhalten, schwach erkennt man eine Schlittenfahrt. Dabei ist es unter den dicken Decken recht lustig zugegangen: »Weiber waren stets noch sicher an dem Kopf, den riss noch keiner ihnen ab. Geschah was sonst wo, haben sie’s auch noch überlebt.«

      Der überhebliche Neidhart, der umsonst gehofft hatte, der »Maibuhle« der Herzogin zu werden, war bei den Wienerinnen längst nicht so beliebt wie Tannhäuser, in dessen Schönheitsideal sich manche selbst erkannte: »Weiß wie Hermelin waren ihre Ärmchen, ihre Figur war schlank und allenthalben wohl beschaffen. Etwas üppig war sie dort, wohlproportioniert anderswo, bei ihr ist nichts vergessen: Weiche Schenkel, gerade Beine, ihre Füße von rechtem Maß. Nie sah ich eine schönere Gestalt, die mein Herz besessen hat. An ihr ist alles vollkommen.« Er wurde für seine Worte belohnt: »… nur wir zwei in einem Kleefeld. Sie tat ihre Schuldigkeit und machte, was ich wollte. Ich tat ihr ganz behutsam weh. Ich wünschte, es wäre noch nicht vorbei. Ihr stand gut das Lachen. Dort begannen wir beide ein fröhliches Treiben: Das geschah aus Verliebtheit und anderen ungewöhnlichen Gründen. Von Liebe sprach ich zu ihr und sie vergalt es mir auf süße Art«, sang Tannhäuser in seinem Lied »Der Winter ist zergangen«. Er wurde noch deutlicher:

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       »Kühner Griff« und »Spiegelraub«

       (Neidhart-Fresken, Wien 1, Tuchlauben 19)

      »Sie wurde meine Frau und ich ihr Mann. Wohl mir! Ein solches Erlebnis! Der ist immer glücklich, der sie sieht, weil man von ihr das Beste sagt: Sie ist so lieblich. Alles wurde da auf der Wiese von uns bewilligt.«

      Es war eine Zeit, die gerne Feste feierte. Doch ein besonderes Fest mit vielen fürstlichen Gästen – die Hochzeit der herzoglichen Schwester Konstanze mit dem Markgrafen von Meißen – musste in Stadlau nördlich der Donau stattfinden, denn Friedrich hatte die Wiener gegen sich aufgebracht. Damit nicht genug, legte sich der »Streitbare« mit seinem Verwandten Kaiser Friedrich II. an. Schließlich verhängte der Kaiser im Juni 1236 die Reichsacht über Friedrich und erklärte ihn seiner Länder für verlustig. 1237 zog Kaiser Friedrich II. von Italien kommend in Wien ein und hielt sich über drei Monate in Gesellschaft fast aller deutschen Reichsfürsten auf. Welch ein Geschäft für Händler, Quartiergeber, Gasthäuser und Prostituierte!

      Doch Herzog Friedrich gab sich nicht geschlagen und eroberte Wien zu Weihnachten 1239 zurück. Bald wickelte er selbst den Kaiser um den Finger, denn er wollte König werden. Der Tag der Rangerhöhung war festgesetzt: Herzog Friedrich befand sich in froher Erwartung auf die Krönung und der heiratslustige Kaiser (er zählte 51 Jahre) auf die 19-jährige Gertrud, Friedrichs Nichte, als seine Braut. Sie warteten beide vergebens, denn Gertrud erschien nicht, ja ließ sich nicht einmal entschuldigen! Schwer enttäuscht weigerte sich der Kaiser, Österreich zu einem Königreich zu erheben – eine historische Chance war vertan.

      Der hochintelligente Herzog verhielt sich während seiner weiteren Regierungszeit politisch klug und kam den alten Feinden entgegen. Und so hätte Wien, das innerhalb der neuen Stadtmauer recht groß geworden war5, einer angenehmen Zukunft entgegen sehen können, wenn – ja, wenn der Babenberger nur einen Sohn oder wenigstens eine Tochter gehabt hätte. Nach seinem unerwarteten Tod in der Schlacht an der Leitha 1246 begannen die langwierigen Erbstreitigkeiten zwischen seiner Nichte Gertrud und seiner Schwester Margarete und deren Ehemännern.

       Ein Böhme regiert in Wien

      Die


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