Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher. Anna Ehrlich

Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher - Anna Ehrlich


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an der Schulter tragen, wie aus einer Kleiderordnung12 hervorgeht.

      Hatte zuerst der Scharfrichter die Aufsicht über die in den Wirtshäusern herumlungernden Dirnen gehabt, so waren Herzog und Stadt bald bestrebt, die Prostitution selbst zu kontrollieren, ja zur Einnahmequelle zu machen, dazu eignete sich am besten Frauenhäuser.

      Innerhalb der Stadtmauern waren die »Pepis« nicht erwünscht, sie unterlagen einer Menge von Beschränkungen: sehr früh schon vertrieb man sie von bestimmten Orten, vor allem aus der Nähe der Kirchen, an Sonn- und Feiertagen. In der Fastenzeit verbot man ihnen den Aufenthalt generell, manchmal warf man sie auch sonst zwischendurch beim Stadttor hinaus. Es war für die »freyen Frauen« daher logisch und praktisch, sich in unmittelbarer Nähe vor der Stadt ein Quartier zu suchen. Zuerst werden sich dort vermutlich nur einzelne »fahrende« Prostituierte niedergelassen haben.

      Wann die frei lebenden Dirnen zwecks besserer Überwachung gezwungen wurden, dort in Frauenhäusern zu leben, ist nicht bekannt. Es wird wohl in Wien wie in anderen Städten gewesen sein: Eines Tages erging ein herzoglicher Befehl, alle Frauen, die keiner Arbeit nachgingen und in den Wirtshäusern herumlungerten, einzufangen und in das auf herzoglichem Grund neu erbaute Frauenhaus zu bringen. Wer sich weigerte, wurde »abgeschafft«, vertrieben. Der Herzog belehnte eine vertrauenswürdige Person mit dem Frauenhaus, die ihrerseits den Frauenwirt und/oder die Frauenmeisterin bestellte. Die Frauen unterstanden der Zucht der Frauenmeisterin, die für Ordnung zu sorgen hatte, waren leicht zu kontrollieren und erregten in der Stadt keinen Anstoß mehr, sie waren aber auch vor Misshandlung und Mord geschützt.

      Die Wiener Dirne musste im Mittelalter zur Kennzeichnung ein gelbes Tüchlein an der linken Schulter tragen.

      Das »Fraueneck« wird 1344 zum ersten Mal erwähnt, das gemeine Frauenhaus 1384, und zwar im Freibrief, den Herzog Albrecht III. dem Haus der Büßerinnen erteilte. 1395 gab es jedenfalls das gemeine Frauenhaus schon länger, es wird in einem Lehensbrief von Herzog Albrecht IV. als erledigtes Lehen des Bernhard von Weitra angeführt und ausdrücklich von der Belehnung des Kammermeisters Hanns Rückendorfer mit Bernhards Lehen ausgenommen. Kurze Zeit später gab es sogar zwei Frauenhäuser, das »hintere« und das »vordere« – »am Gries«, den sandigen Ufern des Wienflusses zwischen den Weingärten, wo sich heute das Theater an der Wien befindet. Sie erstreckten sich samt ihrem Zugehör bis zu den Hügeln der Laimgrube und hinter das St. Martinsspital.13

      Von ihnen ist weiterhin mehrfach in Urkunden die Rede: Agnes, die Frau des Wiener Bürgers Thomas Freudensprung, hatte im Jahre 1410 Forderungen gegenüber der Frauenmeisterin. 1415 verkaufte der Harnischmeister Herzog Albrechts V., ein gewisser Oswald der Ingelstätter, das Lehen »hinteres Frauenhaus vor dem Widmerthor hinter der St. Martinskirche mit seiner Zugehörung« um 240 Pfund. Der Herzog fertigte den entsprechenden Lehensbrief aus. Bürgermeister und Rat kauften es Oswald zehn Jahre später ab. Nach der Wiener Schergenordnung vom Jahre 1428 erfolgte der Kauf, um aus den Einkünften den »Decopschergen und Heher« (Henker) bezahlen zu können. Der Henker hatte übrigens keinerlei Aufsichtsrechte über die Dirnen mehr.

       Im Frauenhaus (deutscher Holzschnitt, 15. Jahrhundert)

      In einer Urkunde Albrechts V. von 1435 scheinen als Lehensmänner des hinteren Frauenhauses die Bürger Wiens und das St. Martinsspital auf. Als Lehensmänner des vorderen Frauenhauses treten Paul, Türhüter von Albrechts Gattin Elisabeth, und Linhard der Finsterl, Diener des Erzherzogs Friedrich (des späteren Kaisers Friedrich III.) in Erscheinung. Der Hofmarschall wurde mit dem Dokument benachrichtigt, dass diesen beiden angesehenen Bürgern künftig das Recht zustehen solle, in beiden Frauenhäusern die Frauenmeisterinnen anzustellen und abzusetzen, ein Recht, das bisher vom Oberstmarschallamt ausgeübt worden war. Aus einer Urkunde von 1476 wissen wir, dass das Oberstmarschallamt auch das Amt des Frauenrichters vergab, dieser also ein Hofbeamter war.

      Somit genossen die »freien Töchter« einen privilegierten Gerichtsstand! Nach einem Schreiben des österreichischen Landmarschalls von Puchhaim an den Ritter Pollenbrunner vom 19. Juni 1442 betrachtete sich das österreichische Hofmarschallamt als »Vogt des Frauenhauses«. Im Jahr 1436 wird das vordere Haus zum letzten Mal in den Aufzeichnungen erwähnt. Es bekam zehn Ellen Sammet anlässlich des Besuchs von König Sigismund und des Königs von Bosnien geschenkt, damit die Dirnen neu und gleich gekleidet auftreten konnten. Vielleicht wurden die beiden Häuser damals zusammengelegt. In den Rechnungen von 1486 bis 1501 scheint jedenfalls nur mehr das hintere Frauenhaus auf. Ob Bürgermeister und Rat auf die Frauenhäuser Einfluss nehmen konnten oder nur der Hof, ist unbekannt, weil die Wiener Frauenhausordnung verloren gegangen ist. Nach den Wiener Stadtrechnungen mussten die Frauenmeisterinnen einen Pachtzins an das städtische Ärar bezahlen, der für die ärztliche Behandlung erkrankter »freier Töchter« verwendet wurde. Da in der Karwoche die Frauenhäuser geschlossen blieben, mussten Schergen und Wirt des Gefangenenhauses in dieser Zeit aus den Stadtrenten entschädigt werden – da im Frauenhaus klarerweise nichts verdient wurde. Während der Belagerung Wiens durch Matthias Corvinus (1484/85) flohen alle Frauen und die Häuser blieben 29 Wochen lang geschlossen. Vermutlich sind sie durch die kriegerischen Ereignisse beschädigt worden, denn aus dem Jahr 1501 finden sich in der Stadtrechnung Auslagen für Bauten am hinteren Frauenhaus: Es wurde neu (?) errichtet, die Stadt stellte 75 000 große und 500 kleine Ziegel zur Verfügung. Das ist die letzte Aufzeichnung über dieses Haus, 1529 wurde es von den Türken vernichtet.

      Die Bestimmungen der verloren gegangenen Frauenhausordnung werden nicht viel anders gewesen sein als in anderen Städten des Heiligen Römischen Reiches. Ein Frauenwirt stammte nicht aus feinen Kreisen, er war für Ruhe und Ordnung in seinem Haus verantwortlich und musste nötigenfalls mit Waffengewalt dafür sorgen. Er durfte keine verheirateten Frauen, keine Schwangeren und Kranken aufnehmen, durfte Falschspiel und Hehlerei nicht zulassen und hatte die Pflicht, das Haus an Sonn- und Feiertagen geschlossen zu halten. Knaben im Kindesalter, Ehemännern, Geistlichen und Juden hatte er den Zutritt zu verwehren. Er musste für die vorgeschriebenen Abgaben sorgen. Es war ein lukrativer Beruf, da er am Gewinn beteiligt war. Ob es in Wien Sitte war, die Frauenwirte auf ihre Pflichten zu vereidigen, ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich. Es existiert in Wien keine einzige Aufzeichnung, die eine Person als Frauenwirt bezeichnet, es muss ihn jedoch gegeben haben, denn männliche, bewaffnete Aufsicht war in solchen Häusern, wo geliebt, getrunken und gespielt wurde, unbedingt nötig. Die Existenz einer Frauenmeisterin wird hingegen mehrmals erwähnt. Zu den gern gesehenen Kunden der Häuser zählten Junggesellen, Studenten, Handwerksgesellen und natürlich die Söldner, an denen nie Mangel herrschte. Dazu kam bei Staatsbesuchen das fremde Hofgesinde, und zwar auf Kosten des Herzogs oder der Stadt, das entsprach den Sitten der Zeit.

      Man könnte die damaligen Dirnen fast als landesfürstliche Beamtinnen betrachten. Man hat sie für verschiedene Aufgaben eingesetzt: Sie lockerten Feste durch ihren Tanz oder ihr Erscheinen auf. Sie gingen als Blumen bekränzte »Ehrenjungfrauen« Staatsgästen oder dem eigenen Herzog beim Einzug vor das Stadttor entgegen und erwiesen Gästen jede gewünschte Form von Gesellschaft für einen gemütlichen Aufenthalt. Sie wurden bei solchen Gelegenheiten vom Hof oder der Stadt eingeladen, bezahlt und bewirtet, wie aus Wiener Stadtrechnungen und den Protokollen vom Einzug König Albrechts II. (des ehemaligen Herzogs Albrecht V.) und später seines Sohnes Ladislaus Postumus aus den Jahren 1438 beziehungsweise 1452 hervorgeht.

      Die Stadt errichtete alljährlich zu St. Johannes für die »Mutzenbacherinnen« ein bunt geschmücktes Podium und bewirtete sie großzügig: Damit ja alle kamen, um mit den Handwerksburschen rund um das Sonnwendfeuer zu tanzen. Die Burschen, die das ganze Jahr hindurch brav und bieder zu sein hatten und keiner Frau nahe treten durften, sollten sich wenigstens einmal im Jahr ungestraft austoben können. Die »freyen Frauen« liefen auch bei den Scharlachrennen14 mit, die ab 1382 zweimal jährlich stattfanden, in einem eigenen Bewerb für Freudenmädchen und zur Freude der männlichen Zuschauer.


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