Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman. Christine von Bergen

Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman - Christine von Bergen


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wir benachrichtigt.«

      »Kein Ehemann?«

      »Laut ihren Personalien ist sie unverheiratet.«

      Thomas Seeger atmete hörbar aus. »Kann ich jetzt zu ihr?«

      »Ich gehe rüber und frage sie.«

      *

      »Mein Gott, Sophie.« Thomas eilte an das Krankenbett, aus dem ihm die geliebte Frau blass und mit Wunden in dem schönen Gesicht entgegensah. In ihren Augen las er wieder die tiefe Traurigkeit, die Verzweiflung, die ihn in der ersten Minute ihres Kennenlernens so sehr angerührt hatte. »Ich habe gerade erfahren, dass du die Verunglückte bist. Warum hast du dich nicht gestern schon gemeldet oder Dr. Brunner gebeten, mir Bescheid zu geben?« Unschlüssig blieb er neben ihr stehen, bis sie die Hand ausstreckte, die ihn auf die Bettkante zog.

      »Hallo«, sagte sie leise mit dem Lächeln, das sein Herz wieder weitete und wärmte.

      Dieses Lächeln machte ihn ihrer Liebe sicher. Es konnte nicht gelogen sein.

      »Ich wollte zu dir«, begann sie. »Da schlug der Blitz ein, und ich hatte …«

      »Ich weiß«, unterbrach er sie sanft, während er ihre Hand behutsam streichelte. Dann beugte er sich zu ihr herunter. »Ich bin so glücklich, dass dir nicht mehr passiert ist. Kaum auszudenken, wie das alles hätte ausgehen können.« Er legte beide Hände um ihr Gesicht, so vorsichtig, als würde er hauchzartes Porzellan umfassen. »Ich war bei dir in Karlsruhe«, vertraute er ihr an. »Deine plötzliche Abreise … Ich konnte mir keinen Reim darauf machen nach den wunderschönen Stunden, die wir zusammen hatten. Ich habe angenommen, dass du nur mit mir gespielt hast …« Er hielt inne, weil er sie in dieser Situation mit seinen Sorgen und Ängsten nicht belasten wollte.

      »Ich habe nicht mit dir gespielt«, sagte sie mit festem Blick.

      Sie saß aufrecht im Bett, angelehnt an Kissen. In dem weiten weißen Kliniknachthemd wirkte sie noch zarter. Richtig verloren sah sie aus.

      Thomas rückte näher an sie heran und wollte sie in die Arme nehmen. Doch sie machte eine abwehrende Geste.

      »Ich bin so plötzlich abgereist, weil ich feige war. Und weil ich diesen Traum, den wir beide kurze Zeit geträumt haben, nicht zerstören wollte. Ich wollte ihn in Erinnerung behalten, ohne ihn zu trüben.«

      Er zog die Brauen zusammen. Was meinte sie damit? Eine eiskalte Faust griff nach seinem Herzen.

      »Bist du gebunden?«, fragte er heiser.

      Sie lächelte schwach. »Nein.«

      »Der Hausmeister sprach von einem Mann, der dich sprechen wollte.«

      »Ich weiß, das war ein Kollege. Er hat mich danach auf Handy erreicht. Rein beruflich.«

      Er schluckte. »Was ist denn sonst? Ich meine, was steht denn deiner Meinung nach sonst unserer Liebe im Weg?«

      Da erzählte sie ihm in nüchternem Ton von ihrer Krankheit. Jedes ihrer Worte empfand er wie einen Fausthieb in den Magen. Und als sie zu Ende gesprochen hatte, glaubte er für einen Moment, einen Albtraum zu haben.

      Er schüttelte den Kopf, blinzelte, sah Sophie an, die greifbar und aus Fleisch und Blut vor ihm saß. Ihre Hand, die er hielt, fühlte sich zwar eiskalt an, aber ihre Finger bewegten sich in seiner. Ein Zeichen dafür, dass er nicht träumte.

      »Ich dachte zuerst, meine Symptome kämen von einer Überarbeitung«, fuhr sie leise fort. »Aber als der Arzt in Karlsruhe mir das Blutbild erklärte …« Sie verstummte und sah hinaus in den Morgen, der wieder einen schönen Tag versprach.

      Die ersten Sonnenstrahlen tanzten durch das Krankenzimmer. Vogelgezwitscher drang durch das geöffnete Fenster hinein, und der Duft von frisch geschlagenem Holz. Eine heile Welt …

      »Ich habe es dir verschwiegen, weil ich dich nicht belasten wollte und weil ich auch erst einmal selbst mit dem Gedanken klarkommen musste«, sagte Sophie leise.

      »Belasten! So ein Quatsch«, begehrte Thomas voller Empörung auf und nahm sie in die Arme.

      Ganz fest hielt er sie, als wollte er sie niemals mehr loslassen. Er küsste ihren Scheitel, ihre Schläfen, ihre Lider, atmete den Duft ihres Haares ein und wusste in diesem Moment, dass er alles, alles dafür tun würde, um sie gesund zu sehen.

      »Wir gehören doch zusammen«, flüsterte er. »Niemals würde ich dich im Stich lassen, nur weil du krank bist …« Er redete und redete in dem Wissen darum, dass er letztendlich doch nichts Wirksames tun konnte.

      Sophie schmiegte sich in seine Arme, verteilte zarte Küsse auf seiner Brust und schwieg. Schließlich löste sie sich aus seiner Umarmung und sah ihn an.

      Er räusperte sich, fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und sagte: »Ich meine, diese Erkrankung klingt zunächst schlimm, aber heute ist die Medizin doch so weit fortgeschritten, dass …«

      Sophie hob die Hand, woraufhin er jäh verstummte.

      »Sehr gute Heilungschance haben bei diesem Krankheitstyp nur Kinder. Auch noch Erwachsene, bei denen weniger als fünfundzwanzigtausend weiße Blutkörperchen pro Mikroliter Blut gezählt werden«, klärte sie in sachlichem Ton auf. »Bei mir wurden wesentlich mehr festgestellt.«

      »Und was heißt das?« Seine Stimme hörte er selbst kaum noch.

      Sie wandte den Kopf ab und schwieg.

      Ihm stockte der Atem. Dann lachte er ungläubig auf. »So ein Unsinn. Es gibt immer eine Chance. Wir müssen sie nur ergreifen. Hast du schon mit Dr. Brunner gesprochen? Auch wenn er hier auf dem Land praktiziert, hat er ein umfangreiches Wissen und viel Erfahrung. Er ist nicht nur Hausarzt, sondern auch Chirurg und hat gute Beziehungen zu Professoren, die weltweit einen guten Ruf haben.«

      Er wusste, dass sein Reden sie nicht weiterbrachte, aber es war alles, was er im Augenblick tun konnte: Ihr Hoffnung geben und das Gefühl, dass er zu ihr stehen, mit ihr zusammen kämpfen würde.

      Auf ihren blassen Zügen zeigte sich ein zärtliches Lächeln.

      »Dr. Brunner weiß Bescheid. Aber ich brauche noch Zeit. Ich muss meinen Kopf erst einmal sortieren. Noch will ich an diese schrecklichen medizinischen Prozeduren nicht denken. Ich kann mich noch nicht mit dem Gedanken abfinden, dass mein Leben ab morgen oder übermorgen nur in Kliniken und Wartezimmern stattfinden soll.« Ihre Stimme bekam einen harten Unterton. »Der Arzt in Karlsruhe hat mir alles erklärt. Die langwierige Suche nach einem geeigneten Spender, Transplantation, Chemotherapie, dann monatelange Krankenhausaufenthalte …« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das will ich nicht. Und helfen würde es mir letztendlich wahrscheinlich auch nicht. Meine Mutter ist daran gestorben. Dafür ist mir meine Restzeit zu schade.« Erschöpft lehnte sie sich zurück.

      Thomas schnappte nach Luft. Er konnte nicht länger sitzen bleiben.

      »Du kannst doch nicht so einfach die Flinte ins Korn werfen«, begann er mit erhobener Stimme. »Auch wenn die Heilungschancen bei dir angeblich nicht so gut sind, heißt das noch lange nicht, dass du dich mit diesem Untersuchungsergebnis abfinden und auf deinen Tod warten musst.« Er verhielt den Schritt und sah Sophie eindringlich an. »Wir werden versuchen, die Krankheit zu bekämpfen. Wir können doch nicht …«

      Sophie hob den Kopf. »Die Vorstellung …« Ihre Stimme brach. Sie legte die Hand an den Hals und schluckte. »Ich will leben. Ganz normal leben.«

      Thomas setzte sich wieder zu ihr auf die Bettkante. »Sophie …« Er schloss sie in die Arme, hielt sie fest an sich gedrückt, obwohl sie sich gegen seine Umarmung wehrte. »Was zählen in einem langen Leben ein paar Monate? Tu es für uns. Für mich. Ich will und kann nicht mehr ohne dich sein. Lass es uns zusammen versuchen.«

      Da brach sie in seinen Armen zusammen. Ein haltloses Schluchzen schüttelte ihren zarten Körper. Thomas konnte sie nicht mehr beruhigen und war Dr. Brunner dankbar, der irgendwann an die Tür klopfte. Erst nachdem der Landarzt ihr ein Beruhigungsmittel gegeben hatte, fiel Sophie in Thomas’´ Armen, die sie wie ein kleines Kind wiegten, in


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