Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman. Christine von Bergen

Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman - Christine von Bergen


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Hotel. Dort half er Sophie aus dem Wagen. Er begleitete sie bis in den ersten Stock zu ihrer Zimmertür. Dort übergab er ihr ihren Autoschlüssel. Während der Fahrt hatten sie kaum miteinander gesprochen, was ihn ganz nervös gemacht hatte. Er kannte die schöne Frau noch zu wenig, um ihr Schweigen deuten zu können. Schmerzen hatte sie nicht, versicherte sie ihm. Dr. Brunner hatte ihr eine Spritze gegeben. Was ging in ihr vor? War ihr sein Angebot, sie zu chauffieren, zu aufdringlich gewesen? Nun standen sie hier auf dem langen Hotelflur. Allein. Verloren.

      Und jetzt?, fragte er sich, während sein Unbehagen sich sekündlich steigerte. Würde er sie wiedersehen?

      »Läufst du zurück?«, fragte Sophie mit ihrem weichen Lächeln, das müde – oder traurig? – wirkte.

      Er nickte. »Ich habe mein Pensum für heute noch nicht geschafft«, erwiderte er, wobei er seiner Stimme einen betont munteren Ton verlieh. Da sie wieder schwieg, mit dem Autoschlüssel spielte und mit leerem Blick den Flur hinuntersah, fügte er hinzu: »Unser Hof liegt etwa fünf Kilometer vom Hotel entfernt. Genau die richtige Laufstrecke für mich.«

      Sie sah zu ihm hoch, lächelte, schwieg.

      Wollte sie ihn loswerden und war nur zu höflich, dies auszusprechen?

      Er räusperte sich, straffte sich. »Wie lange bist du noch hier?«

      »Fünf Tage. Vorgestern bin ich angekommen.«

      »Na ja, in fünf Tagen wird der Fuß wieder gesund sein«, meinte er leichthin – und schalt sich, weil er solchen Blödsinn redete.

      Normalerweise hatte er doch kein Problem, mit Frauen umzugehen. Aber bisher hatte es ihm auch keine so schwer gemacht wie Sophie. Einerseits signalisierte sie ihm, dass die Anziehung durchaus beidseitig bestand; andererseits zog sie sich wie eine Schnecke in ihr Haus zurück. Völlig unkalkulierbar. Dieses Verhalten konnte nichts mit ihm zu tun haben. Vielleicht war sie ja gebunden. Genau! Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Eine solche Frau lief wohl kaum solo durch die Gegend. Das war’s. Sie hatte einen festen Freund. Einen Verlobten. Womöglich sogar Mann und Kinder.

      Völlig ernüchtert ließ er die Schultern fallen.

      Okay. Wäre ja auch zu schön gewesen.

      »Schade«, sagte sie. »Jetzt kann ich die Gegend nur vom Balkon aus betrachten.«

      Er hob den Kopf. Sie wirkte auf ihn so traurig, so hoffnungslos, als würde ihr letzter und innigster Wunsch in diesem Leben unerfüllt bleiben.

      »Ich könnte sie dir zeigen, die Gegend. Im Auto.« Er hielt den Atem an.

      Würde er jetzt eine Abfuhr erhalten?

      Sie zögerte. Ein paar Herzschläge. Doch dann sagte sie: »Mal sehen. Hättest du denn überhaupt Zeit?«

      »Ich kann mich frei machen. Am Wochenende arbeite ich ohnehin nicht.« Er hatte bereits erwähnt, dass er selbstständiger Uhrmachermeister war.

      Da sie immer noch einen unschlüssigen Eindruck machte, sagte er rasch, bevor sie ihm doch noch eine endgültige Absage geben würde: »Weißt du was? Ich rufe dich morgen mal im Hotel an. Es soll schönes Wetter geben. Vielleicht hast du ja Lust auf einen Ausflug in die Umgegend.«

      Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass sie lächelnd nickte.

      *

      Wiesen, Wälder und Hügel verschmolzen zusammen mit der Dunkelheit. Die Sternenbilder hingen wie filigraner Schmuck aus glitzernden Kristallen am Himmel. Und in der Talsenke, unterhalb der Schwarzwaldpraxis, lag Ruhweiler wie ein Nest von Sternen bereits im tiefen Schlummer.

      Zwei Laternen streuten ihr weiches Licht auf die Terrasse des Doktorhauses. Ulrike Brunner und ihr Mann saßen nebeneinander und tranken Glottertaler Gewürztraminer. Unter dem Tisch lag Lump, der zufrieden schnarchte.

      »Bist du mir böse, dass ich heute Abend die Patientin in der Praxis versorgt habe?«, fragte Matthias in das viel zu lange Schweigen zwischen ihnen hinein.

      Ulrike sah ihn von der Seite an. »Nicht böse, nur besorgt.«

      Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. »Mach dir keine Gedanken. Ich habe alles im Griff. Immerhin habe ich mich den ganzen Nachmittag lang ausgeruht.«

      Seine Frau streichelte ihm über die bereits raue Wange und schüttelte den Kopf.

      »Ach, Matthias«, sagte sie leise. »Übertreibe es bitte nicht wieder mit deinem Arbeitseifer. Deinen Patienten tust du langfristig keinen Gefallen damit.«

      »Ich weiß, ich weiß«, entgegnete er nur, trank einen Schluck und küsste sie auf die Wange. »Ich muss dir was erzählen«, wechselte er das Thema. »Thomas und die hübsche Blonde aus dem Schwarzwaldblick … Ich glaube, er hat sich in sie verguckt.«

      »Wirklich?«, wunderte sich Ulrike. »Woher weißt du das?«

      »Ich hab’s gespürt. Zumindest bei ihm.« Er lächelte versonnen. »Er strahlte so was aus. Ich kann ihn verstehen.«

      »Bitte?« Ulrike rückte von ihm ab und maß ihn mit deutlich kühlerem Blick.

      Er musste lachen.

      Sie war also immer noch eifersüchtig zu machen. Das freute ihn.

      »Nicht so, wie du denkst«, stellte er rasch richtig. »Ich meine nicht Frau Wittmer, sondern dieses Gefühl. Wenn einem das Herz ganz weit wird beim Anblick einer Frau, wenn es zu prickeln beginnt. So, wie es mir bei dir auch heute noch ergeht …« Er suchte ihren Blick, dessen Ausdruck sofort wieder weicher wurde. »Komm mal her zu mir«, raunte er, während er sie an sich zog.

      Er lehnte sich zurück, bettete ihren blonden Lockenkopf auf seine Brust und streichelte ihr Haar. Dabei blickte er voller Dankbarkeit hinauf zum Himmel. »Das war ein guter Tag.«

      »Fühlst du dich nicht überfordert?«

      »Im Gegenteil. Ich fühle mich wie neugeboren.«

      »Dann bin ich auch zufrieden«, flüsterte sie und schlang ihren Arm fester um seine Mitte, die schon wieder ein wenig an Umfang gewonnen hatte.

      So blieben sie eine Weile sitzen, lauschten dem Gurgeln des Bächleins, das an ihrem Hof vorbei lief, dem Ruf einer Eule in den Tannen und atmeten die würzig riechende Nachtluft tief in sich ein.

      »Weißt du, ich finde es eigentlich gut, dass du wieder arbeitest«, gestand Ulrike ihm schließlich.

      »Wusste ich’s doch.«

      »Jetzt muss ich kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn ich zu den Gemeinderatssitzungen gehe oder auf Ausstellungen oder sonst wohin.«

      Er nickte.

      Er verstand genau, was sie meinte. Sie hatte ihre eigenen Interessen lange in den Hintergrund gestellt, um ihm seine Situation zu erleichtern. Um seinen Hunger auf Leben, auf seine Arbeit nicht noch mehr zu steigern.

      »Dann habe ich bis jetzt doch alles richtig gemacht«, erwiderte er zärtlich und küsste sie aufs Haar.

      *

      An diesem Abend gab es noch jemanden in Ruhweiler, der sinnierend hoch zu dem filigranen Schmuck aus glitzernden Kristallen am Himmel sah: Sophie.

      Sie konnte nicht schlafen. Nicht wegen ihrer Schmerzen im Fuß, sondern weil sie das Bild des attraktiven Uhrmachers nicht abschütteln konnte.

      Thomas strahlte Ruhe und die unangreifbare Autorität eines Mannes aus, der mit beiden Beinen auf dem Boden stand. Der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Mit ihm an der Seite, konnte Frau durchs Leben gehen. Aber nicht sie. Darum musste sie ihn vergessen. Allein schon ihm zuliebe. Je schneller, desto besser.

      Während ihrer Unterhaltung hatte sie festgestellt, dass er keinen Ring trug. Nun gut, nicht alle Verheirateten trugen dieses Symbol der Verbundenheit. Schöne Hände hatte er, groß, schlank, gebräunt. Hände, die bestimmt sehr zärtlich, sehr sensibel sein würden.

      Sie lehnte den Kopf an die Lehne des Balkonstuhls, schloss die Augen und erlaubte sich weiterzuträumen. Sonnige


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