Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman. Christine von Bergen

Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman - Christine von Bergen


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liebe es, durch die Wälder zu streifen oder auf Berge zu steigen. Eigentlich bin ich kein Stadtmensch. Es hat sich so ergeben. Durch meine Arbeit. Ich stamme aus der Eifel, wo es auch viel Wald gibt. Tja …« Sie hob die Schultern und seufzte. »Was soll ich dir noch erzählen? Ich kann meine siebenundzwanzig Jahre nicht in ein paar Minuten pressen.«

      »Ich hoffe, dass wir mehr als nur ein paar Minuten haben«, erwiderte Thomas wieder mit ernstem Blick, der ihren festzuhalten versuchte.

      Doch darauf ließ sie sich nicht ein. Sie griff nach dem Glas und trank einen Schluck.

      »Warum machst du allein Urlaub?«

      Seine Frage ließ sie aufblicken. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

      »Entschuldige, war das zu persönlich?« Die Unsicherheit stand ihm auf dem Gesicht geschrieben.

      Obwohl es ihm bestimmt nicht an Selbstbewusstsein mangelt, dachte sie. Er schien jedoch zu spüren, dass er sich an sie vorsichtig heranpirschen musste. Er kannte nur nicht den Grund.

      »Ich bin allein«, antwortete sie und lächelte ihn an. »Was nicht heißt, dass ich einsam bin«, fügte sie hastig hinzu.

      »Hast du Familie?«

      »Vater und eine ältere Schwester. Sie wohnen am Rhein.«

      »Gibt es einen Mann in deinem Leben oder Kinder?« Sein offener Blick verlangte eine Antwort.

      »Weder noch.«

      »Du hast nur deinen Vater und deine Schwester erwähnt. Was ist mit deiner Mutter?«

      Sie biss sich auf die Lippe. »Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Leukämie.«

      »Oje …« Er senkte den Kopf.

      »Und deine Eltern?«, wechselte sie das Thema.

      »Sie leben beide noch. Meine Großeltern väterlicherseits ebenfalls. Sie wohnen auf unserem Hof. Im Austraghaus.«

      »Geschwister?«

      »Keine. Deshalb war es für meine Eltern nicht leicht, dass ich Uhrmacher werden wollte.«

      »Wie kam es dazu?«

      »Mein Großvater mütterlicherseits sammelte Uhren und reparierte sie auch. Das hat mich schon als Kind fasziniert. Diese Feinmechanik, dieses Ineinandergreifen von Teilchen, die nur als Ganzes funktionieren. Und wenn eines ausfällt, passt auch das Ganze nicht mehr. So …« Er verflocht seine Finger ineinander und hob sie hoch. »Es muss ineinandergreifen. Wie bei Beziehungen zwischen Mann und Frau. Außerdem ist bei uns im Schwarzwald die Uhrmacherkunst seit Jahrhunderten ansässig«, fügte er sachlich hinzu, als hätte er sich zu sehr vorgewagt.

      Sie wich seinem forschenden Blick aus.

      Der Vergleich gefiel ihr. Auch zwischen Mann und Frau musste alles passen, ineinandergreifen, um gemeinsam eine Einheit zu bilden. Wenn eine Störung eintrat, irgendetwas nicht mehr funktionierte, brach diese Einheit auseinander.

      »Die Kuckucksuhren, nicht wahr?«, sagte sie, um zum Thema über die Uhrmacherei zurückzukommen.

      Er sah sie an, viel zu lange für ihr Empfinden. Sein Blick ging ihr durch und durch.

      »Ja, von ihnen lebe ich«, meinte er schließlich. »Sie kommen nie aus der Mode. Es gibt Leute, die richten ihr Heim mit Edelstahl, Glas und schwarzem Leder ein – und an der weißen Wand meldet sich stündlich so ein komischer Vogel.«

      Sie lachte und griff genau in dem Moment in die Schale mit dem Brot, als auch Thomas seine Hand in diese Richtung bewegte. Ihre Finger berührten sich, zwei Sekunden lang. Wie vom Blitz getroffen zog sie sie zurück. Ihr Blick kreuzte sich mit seinem, der ihren wieder festhielt. Sie lächelten sich an, als hätten sie sich bei etwas Verbotenem ertappt.

      Sie senkte als Erste den Kopf. Verwirrt, innerlich aufgewühlt. Sie tauschten ganz normale Sätze aus, und trotzdem führten sie gleichzeitig noch ein anderes Gespräch. In diesem ging es darum, sich einander anzunähern, sich zu vergewissern, dass die Anziehungskraft beidseitig bestand.

      Sophie war sich dessen sehr wohl bewusst. Doch sie konnte, nein, sie wollte es inzwischen auch nicht mehr anders. Sie wollte dieses Prickeln zwischen ihnen noch einmal spüren wie gestern auf dem Waldweg. Die Schwingungen, die Elektrizität in der Luft, wenn sie sich ansahen oder sich, wie gerade, über Kuckucksuhren unterhielten. Sie lauschte Thomas’´ tiefer Stimme, hörte gar nicht mehr auf das, was er sagte, sondern spürte nur der Wirkung nach, die sein Timbre in ihr erzeugte.

      »Was die Liebe zur Natur angeht«, erzählte er nun weiter, »ich bin schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einem kleinen Haus fernab der Touristen. Auf unserem Hof ist immer was los. Meine Kunden, die des Hofladens, den meine Mutter führt. Am Wochenende hätte ich gern absolute Ruhe um mich herum.«

      Erstaunt sah sie ihn an.

      Er sprach ihr aus der Seele. Wie oft hatte sie sich nach einem Wochenendhäuschen inmitten der unberührten Natur gesehnt, seit sie im Berufsleben stand und ständig mit Menschen zu tun hatte!

      »So geht´es mir auch«, erwiderte sie spontan, um diesen Satz gleich darauf zu bereuen.

      Wieder etwas Gemeinsames mit ihm.

      Doch mit einem Mal fühlte sie sich wieder auf den Boden der schmerzlichen Tatsachen zurückgeholt. Für ein paar Stunden hatte sie alles vergessen, was sie so sehr belastete. Sie hatte sich wieder lebendig und gesund gefühlt. Dank Thomas.

      Beide schwiegen, als wäre ihnen plötzlich der Gesprächsstoff ausgegangen. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit eine Weile auf das Geschehen um sich herum. Zumindest taten sie so. Sophie wusste nicht, was in Thomas’ Kopf vor sich ging. Und sie war dankbar, dass er ihre Gedanken nicht lesen konnte.

      Niemals zuvor hatte sie sich einem Mann, den sie kaum kannte, so nah gefühlt wie ihm. Wie mochte es sein, von seinen schön geformten Händen berührt zu werden?, fragte sie sich, während sie unter gesenkten Lidern beobachtete, wie seine Finger mit dem Bierdeckel spielten. Wünsche, die sie bewusst unterdrückt hatte, wurden wieder neu geboren. Wünsche, die ihr die Röte in die Wangen trieben.

      »Hallo, Träumerin! Wo bist du gerade?« Thomas holte sie ins Hier und Jetzt zurück. Sie blickte hoch, mitten in die dunklen Männeraugen hinein.

      Er lächelte sie amüsiert an. »Noch ein Glas Wein?«

      Sie zögerte.

      Warum eigentlich nicht?

      »Danach machen wir einen Spaziergang und …«, er zwinkerte ihr übermütig zu, »… überlegen uns, wo es ein Fleckchen Erde für ein Holzhaus inmitten der Natur geben könnte. Was hältst du davon?«

      Obwohl sie wusste, dass sie in diese leichthin gesagten Worte nichts Ernstes deuten durfte, machte sie dieser Vorschlag glücklich. Er gaukelte ihr vor, einem gemeinsamen Ziel entgegenzugehen. Und Ziele bedeuteten, eine Zukunft zu haben.

      Sie lachte ihn an, was sie nicht einmal Überwindung kostete. Im Gegenteil, ihr Lachen kam aus vollem Herzen.

      »So machen wir es«, stimmte sie ihm zu. »Erst noch ein Glas von dem guten Wein. Und für einen Spaziergang bin ich immer zu haben.«

      *

      War es dann doch das zweite Glas, die stimmungsvolle Musik aus den Lautsprechern des Lokals oder vielmehr Thomas’ Ausstrahlung, die Sophie in eine immer leichtere Stimmung versetzten? Sie bemerkte, wie warme Wellen ihr Inneres durchfluteten, wie sich ein Licht in ihr anzündete.

      Erst als sich das Lokal langsam leerte, stellten die beiden fest, wie schnell die Zeit vergangen war. Sie schauten sich um und fanden sich mit noch zwei anderen Paaren allein in dem Raum. Nachdem Thomas die Rechnung beglichen hatte, traten sie in die Nacht hinaus.

      Über dem Tal hing ein Sternenhimmel, wie Sophie ihn noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte. Hoch über dem Tannenwald wachte der Mond, bleichgolden und still, wie ein stummer Zuschauer, der den beiden jungen Menschen nachsah, wie sie über den Wiesenweg hinunter zum Bach gingen. Aus den Himbeersträuchern am Ufer entstieg ein süßlicher


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