SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2). Rick Jones

SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2) - Rick Jones


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      Kapitel 1

      Wolgograd, Russland | 25. Oktober

      Was den Verkauf von Kernwaffen auf dem Schwarzmarkt betraf, verfügte Yorgi Pertschenko über eine exklusive Handelslizenz. Als ehemaliger KGB-Angestellter, der am Ende des Kalten Kriegs in den russischen Auslandsgeheimdienst übergetreten war, war er schnell zum stellvertretenden Leiter des Direktorat S geworden, das dreizehn Abteilungen umfasste. Diese waren ebenso dafür verantwortlich, Agenten auf illegale Auslandseinsätze vorzubereiten und Terroranschläge zu organisieren, wie auch für weltweite Sabotageakte und Wissenschaftsspionage im Bereich Biologie.

      Nun, im Alter von vierundsiebzig, nachdem er seine besten Jahre hinter sich hatte, fand Yorgi Pertschenko seinen zwangsläufigen Ruhestand alles andere als spannend. Das Einzige, was sein Leben erträglich machte, war eine kühle Flasche Wodka Cristall.

      Auf einem Bauernhof außerhalb von Wolgograd in Russland, ungefähr sechshundert Meter östlich der eiskalten Wolga, saß er altersschwach geworden in einer Hütte. Deren Wände waren etwas schief, neigten sich aber nicht im bedenklichen Maße, und durch eine breite Öffnung fiel viel Licht auf einen mit Heu ausgelegten Boden. Draußen über dem Nadelwald kreiste ein Wanderfalke und schrie, während Pertschenko in einem alten Holzstuhl unter der Verbindung der Dachbalken der früheren Scheune hockte. Am Boden neben ihm stand eine noch mehr als halb volle Flasche Wodka, doch das Glas in seiner Hand war es nicht mehr ganz.

      In seinen besten Jahren war er von seinen Anhängern gleichermaßen verehrt und gefürchtet worden – des einen Retter, des anderen Tod. Alles hatte davon abgehangen, wie gut sich ein Agent im Feld schlug. War er enttäuscht worden, hatte man seinen Zorn auf sich gezogen. Dann war man in einem Gulag gelandet, um ein Exempel dafür zu statuieren, dass Scheitern nicht infrage kam. Dieser Zug hatte sich als Motivationsschub zur Wahrung der kommunistischen Prinzipien in Mütterchen Russland erwiesen, bis es untergegangen war.

      Als Vierundsiebzigjähriger galt der Mann unter seinen Altersgenossen einmal mehr als Größe, denn er agierte nun auf dem Schwarzmarkt, auch wenn er von den verblassenden Erinnerungen an ein Russland zehrte, das der kapitalistischen Welt einst mit stolz erhobenem Haupt getrotzt hatte. Jene Zeit erfüllte ihn mit unvorstellbarem Stolz, der sein Selbstwertgefühl rechtfertigte – nicht der gegenwärtige Eindruck, den er von sich hatte, denn er fühlte sich wie ein Lude, der gewinnbringend Waren veräußerte und somit zu genau dem geworden war, wogegen er ankämpfte: ein Kapitalist.

      Während er nun sein Glas anhob, schickte sich Yorgi Pertschenko zu einem zynischen Trinkspruch an. »Auf Mütterchen Russland«, sagte er. »Damit es eines Tages als Großmacht zurückkehrt.« Dann führte er den Wodka an den Mund und trank ihn in einem Zug. Sofort langte er zur Seite, packte die Flasche am Hals und schenkte sich einen weiteren ein. Nachdem er zwei Fingerbreit ins Glas geschüttet hatte, reckte er den Arm einmal mehr für eine Widmung, die nun jedoch einem Araber und Muslim galt. Dieser saß ihm gegenüber am Tisch.

      »Und auf meinen neuen Freund«, fügte er hinzu, woraufhin er der Einzige bleiben sollte, der trank. »Beten wir darum, dass dieses Abkommen genauso lukrativ für Sie wie für mich wird, ja?«

      Der Mann antwortete nicht. Der Vertragsabschluss wurde von einem unnötigen Ritual begleitet, jedenfalls seinen Wertvorstellungen zufolge. Dennoch leerte Pertschenko sein Glas, indem er kurzerhand den Kopf nach hinten warf und sich den Alkohol in den Rachen kippte.

      Der Araber blieb still, statt sich erkenntlich zu zeigen. Seine fortschreitende Teilnahmslosigkeit machte Pertschenko langsam nervös. Trotz der kalten Temperaturen hier in Russland sah er keinen Atemdampf aus dem Mund seines Gegenübers hervortreten, was darauf hindeutete, dass sich dieser bemerkenswert gut selbst beherrschen konnte. Der Araber verhielt sich gleichwohl vorsichtig, wie die fahrige Bewegung seiner Augen suggerierte, während er die Zahl von Pertschenkos bewaffneten Streitkräften las und sich ihre Stationierungen einprägte.

      Zwanzig Minuten lang sprach keiner der beiden. Sie waren genauso entschlossen wie ihre Blicke furchtlos, während man die Luft im Zuge ihres gegenseitigen Misstrauens hätte schneiden können. Es war, als hänge ein schwerer Schleier über dem Raum. Sie blieben einander ein Rätsel, wussten jedoch, was sie voneinander zu wissen brauchten, um geschäftlich übereinzukommen.

      So abgeklärt der alte Mann auch sein mochte, strahlte dieser eine Unterhändler etwas Beunruhigendes aus. Obwohl er klein und schmächtig war, ja mit seiner glatten Haut und den wulstigen Lippen verweiblicht wirkte, dieser Junge an der Schwelle zum Mannesalter, zeugten seine Augen – schwarz glänzend wie Onyx und scheinbar ohne Pupillen – von unberechenbarer Intelligenz. Das einzig Erwachsene an ihm war seine extrem krause Gesichtsbehaarung, ein struppiger Bart.

      Als der Araber die Hütte betreten hatte, waren seinerseits keine Worte vonnöten gewesen und die Bedingungen ihrer Transaktion bereits infolge ihrer Kontaktaufnahme abgesprochen. Demgemäß sollte er einen Koffer mit drei Millionen US-Dollar als Vorschuss mitbringen, bevor der Russe warten musste, bis der übrige Betrag von siebenundzwanzig Millionen sowohl auf bestehende Bankkonten in Europa und den USA sowie auf den Cayman Islands als auch auf solche von Scheinfirmen in Russland überwiesen würde. Dann durfte er die bezahlte Ware liefern.

      Während Pertschenko seinen Kunden betrachtete, strahlte der Mann von al-Qaida unerschütterliche Geduld aus, und zwar dergestalt, dass man sie für erzwungen halten mochte. Nachdem er ihm aber in die schwarzen Augen geschaut hatte, deutete der Russe diese Distanziertheit nicht als Abwehrhaltung gegenüber seinem eigenen Gebaren als abgefeimter Geschäftemacher, sondern als insgeheime Verwirrung. Diese war ihm schon viele Male untergekommen – in den Gesichtern derer, die er in die Gulags geschickt hatte. Ein Genugtuung verschaffender Ausdruck, bevor sie vor ihm abgeführt worden waren.

      Es handelte sich um den Blick eines Mannes, der wusste, dass es keine Zukunft für ihn gab.

      Zehn Minuten später betrat eine Gruppe Bewaffneter mit drei großen Aluminiumkisten die Scheune und stellte sie auf den Tisch, an dem die beiden saßen. Die Männer trugen jeweils ein AN-94-Sturmgewehr am Rücken.

      Als die Behälter im gleichen Abstand voneinander dastanden, zogen sich Pertschenkos Handlanger mit ihren Waffen zurück, doch dieser Beleg für seine Befehlsgewalt beeindruckte den Araber kaum.

      Als der alte Russe etwas in seiner Muttersprache bellte, beugte sich einer aus der Gruppe nach vorn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Die Summe von drei Millionen in harter amerikanischer Währung war gezahlt worden – kein Dollar mehr oder weniger –, und nun stand der Transfer weiterer siebenundzwanzig Millionen auf mehrere Konten in Europa, den Vereinigten Staaten, auf den Cayman Islands sowie in Russland aus.

      Pertschenko freute sich.

      »Also dann«, hob der betagte Mann an, während er sich beschwerlich aufraffte. »Sollen wir uns ansehen, was man heutzutage für dreißig Millionen amerikanische Dollar auf dem Markt bekommt?« Er stellte sich dicht an den Tisch. Der Araber tat es ihm gleich, sodass sich Käufer und Verkäufer an den entgegengesetzten Enden gegenüberstanden, während ein Lichtstreif wie in biblischer Verheißung durch das klaffende Loch im Dach auf die Kisten fiel.

      Pertschenko war fast zwei Meter groß und muskulös, sein Körper abgesehen von Knieverschleiß selbst nach einem knappen Dreivierteljahrhundert gut in Form. Der Araber maß höchstens einen Meter siebzig, auch wenn er sich hielt wie jemand, der größer und schwerer war. Pertschenko konnte sich nicht erklären, wie der Kerl das schaffte: Warum wirkt er so charismatisch, so herrschaftlich?

      Schließlich streckte sich der Russe nach der Kiste auf seiner Seite aus, klappte die Verschlüsse und dann den Deckel auf. Sie enthielt ein Wirrwarr aus Platinen mit Chips und Schaltern unter einem Plexiglasgehäuse. Von Stahlstäben geschützt steckten in der Mitte drei Kugeln aus spiegelndem Metall. Falls der Araber hingerissen war, ließ er es sich nicht im Geringsten anmerken. Seine Miene blieb gefasst.

      Pertschenko verwies mit einer eleganten Handbewegung auf den Kasten, während er erklärte: »In jeder dieser Kisten steckt eine Sprengkraft von drei Kilotonnen, das Dreifache der Modelle aus dem Kalten Krieg. Schon einzeln würden sie verheerenden Schaden anrichten, zusammengenommen


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