SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2). Rick Jones

SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2) - Rick Jones


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Lampen gingen nicht an.

      Daraufhin schlich sie langsam zum Zimmer der Kinder, die Arme vorgestreckt wie eine Untote.

      Bei Tag waren die Wände so hellblau, dass es Nichteuropäern weiß vorgekommen wäre, wohingegen es Vittoria an den strahlenden Putz der Reihenhäuser an den Kanälen Venedigs erinnerte, vor allem das ihrer Eltern, in dem sie aufgewachsen war. Nachts blieb die Wand allerdings ebenfalls dunkel.

      Vittoria bewegte sich auf dem Flur vorwärts, indem sie sich mit den Händen an den vielen Gegenständen orientierte, die an den Wänden hingen, wobei sie die meisten verschob, sodass sie schief hängen blieben, was sie später wieder zu berichtigen gedachte.

      Sanft und leise trat sie auf, die Bohlen fühlten sich unter ihren Füßen kalt an wie die Schatten überall ringsum.

      »Während sie sich dem Kinderzimmer näherte, machte sie Helligkeit unter der Türschwelle aus.

      »Basilio?«

      Die Tür ging von selbst auf wie zur Einladung, aber nicht ganz, und gleichzeitig flutete Licht aus dem Raum in den Flur.

      »Mama?«

      »Basilio, che diavolo ci fai?« Basilio, was zur Hölle tust du da?

      Sie öffnete die Tür ganz und sah den Jungen mit seinen beiden jüngeren Schwestern in den Armen auf der Couch sitzen. Alle weinten.

      Neben ihnen stand ein dunkelhäutiger Mann, der ein Soldatengewehr auf sie richtete. Er trug eine Armeehose und einen schwarzen Kapuzenpullover. An der Waffe war ein Schalldämpfer, der so lang wie der Lauf selbst war, dessen Maß also verdoppelte.

      In einem Sessel gegenüber der Couch saß ein Bursche mit übereinandergeschlagenen Beinen und auf die Armlehnen gestützten Ellbogen, der die Fingerspitzen seiner Hände gegeneinanderdrückte. Er sah unwesentlich älter als ihr Sohn aus, schaute die Mutter jedoch zwanglos wie eine alte Freundin an. Er war schmächtig und hatte einen zerrupften Bart. Sein Blick wirkte freudlos, so lange er auf ihr ruhte. Gleich darauf verwies er mit einer Hand auf einen zweiten Sessel, der vor ihm stand.

      »Bitte«, begann er. »Ihren Kindern geschieht nichts, wenn Sie tun, was ich sage. Sie haben mein Wort.« Seine Stimme klang buchstäblich honigsüß, sein Italienisch war tadellos. »Bitte.«

      Vittoria zog den Stoff ihres Nachthemds am Ausschnitt zusammen und nahm wie aufgefordert Platz. Ihr Kinn zitterte, während sie die Eindringlinge ansah. »Was soll das heißen?«, wollte sie wissen.

      Der junge Kerl antwortete nicht. Er taxierte sie bloß weiter, wobei er seine Finger immerzu nachdenklich gegeneinander beugte und streckte.

      »Wir haben Geld. Sie können alles haben. Nehmen Sie es einfach, und lassen Sie uns in Frieden.«

      »Uns geht es nicht um Geld«, erwiderte er, »sondern um unsere Ideologie.«

      Sie starrte ihn an wie ein Mensch gewordenes Rätsel und stellte ihren Kopf schräg. Langsam, neugierig.

      »Ich brauche allerdings Ihre Hilfe«, fügte er hinzu. »Es gibt da etwas, das nur Sie mir geben können.«

      Da raffte sie ihr Nachthemd noch fester zusammen.

      Als der Fremde seinem Begleiter zunickte, nahm dieser sein Gewehr hinunter und zog kurzerhand ein Messer aus einem Futteral an einem seiner Oberschenkel. Er schwenkte es gezielt im Bogen unter Vittorias Kinn, nicht ohne die Haut zu zerkratzen. Die Kinder schrien auf, als sie das Blut sahen.

      »Was ich von Ihnen möchte«, erklärte der Fremde immer noch sprachlich korrekt, »ist relativ schlichter Art.« Er zeigte auf einen Minicamcorder auf einem Stativ auf der anderen Seite im Zimmer. Ein rotes Lämpchen daran leuchtete, also nahm sie auf. »Ich will«, so der Bursche weiter, »dass Sie da hineinschauen und kreischen.« Dann neigte er sich ihr zu und ergänzte mit drohendem Unterton: »Ich sagte … kreischen!«

      Und genau das tat Vittoria Pastore.

      Kapitel 3

      Zehn Meilen südlich der Grenze Arizonas, Mexiko | Tags darauf

      Als Kojoten bezeichnete man im Volksmund jemanden, der andere unbemerkt illegal in die USA schleuste. Heute begleitete Juan Pallabos indes eine exklusive Klientel: drei Araber in unauffälliger Kleidung, die dafür fünfundzwanzigtausend Dollar zahlten, ein unglaublicher Geldsegen. Keiner von ihnen sprach mit dem Mexikaner oder würdigte seine Anwesenheit in irgendeiner Weise, weshalb er sich nahezu unsichtbar fühlte. Für fünfundzwanzig Riesen wäre er allerdings imstande gewesen, sich den Mund selbst zuzunähen, wenn sie es verlangt hätten.

      Auf dem Weg durch die Wüste, wo der Van Staubwolken hinter sich aufwirbelte, schwieg das Trio, während die Innentemperatur auf über dreiundvierzig Grad anstieg.

      Im Fußraum vor der Rückbank zwischen ihnen stand eine Kiste aus matt silberglänzendem Aluminium. Wäre dem Kojoten bewusst gewesen, was er beförderte, hätte er die fünfundzwanzigtausend Dollar womöglich in den Wind geschlagen, doch eine Bedingung dafür, sie zu erhalten, bestand darin, dass er keine Fragen stellte. Folglich kam ihm auch nichts dergleichen über die Lippen.

      Pallabos fuhr umsichtig durch dieses Gelände, damit die Achsen nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden. Als er abrupt bremste, rutschte er ein paar Fuß weit durch den weichen Wüstensand. Durch die dick verstaubte Windschutzscheibe sah er Hitzeflimmern über dem Boden und Salbei, der sich leicht im Zug des heißen Winds wiegte. Riesenkakteen und Josua-Palmlilien standen verstreut in der Landschaft, die abgesehen vom üblichen Gelbbraun des Wüstengrunds von den rötlichen Farbtönen des Sandsteins geprägt wurde. Der Horizont erschien uneben, gezahnt mit Bodenablagerungen und spitzen Anhöhen, alle unüberwindbar für Pallabos' Van.

      »Weiter können wir nicht mehr fahren«, verdeutlichte er und stieg aus. Er ging ein Stück weit voraus und beurteilte, was auf dem Weg noch kommen mochte, bevor er seinen Hut auszog und sich mit einem Taschentuch die Stirn abwischte. »Das Terrain ist zu uneben. Mein Wagen schafft das nicht.«

      Die Araber stiegen ebenfalls aus. Die Oberteile klebten ihnen vor Schweiß an der Haut. Behutsam packten zwei von ihnen den Aluminiumbehälter – einer an jeder Seite – und stellten ihn auf den Wüstenboden, während der dritte zu Pallabos aufschloss.

      Dieser zeigte nach vorn und sagte: »Zwölf Kilometer genau geradeaus. Sobald ihr über die Hügel gekommen seid, habt ihr nichts mehr zu befürchten. Die amerikanische Grenze ist zu lang, als dass Patrouillen sie vollständig überwachen und dichthalten könnten. Ihr solltet keine Schwierigkeiten kriegen, auf die andere Seite zu gelangen, aber haltet euch von den Tunneln der Kartelle fern. Die Drogenbosse stehen nicht drauf, dass andere sie benutzen. Über Land ist es aber sowieso leicht, und ich würde euch raten, bis zum Sonnenuntergang zu warten, si?«

      »Fahr uns so weit, wie du kannst.«

      »Nein, nein. Ich kann von hier aus nicht weiter. Die Strecke ist zu – wie sagt man? – schwierig zu befahren. Muss mich auf den Rückweg machen, si?«

      Der Mann an seiner Seite schaute ihn nicht an, sondern streng geradeaus. »Wir hätten jemand anderem viel weniger Geld geben können und wären weitergebracht worden.«

      »Nein, Señor. Juan Pallabos ist der Beste. Das sagen alle. Unmöglich.«

      Der Araber fuhr sich mit einem Handrücken über die Stirn. Hier herrschte ein viel trockeneres Klima als in der Wüste seiner Heimat, und diese bevorzugte er deutlich gegenüber der zermürbend heißen Sonne, die gerade auf ihn herabbrannte. »Willst du mehr Geld? Hast du deshalb angehalten?« Er fragte das in einem ruhigen, ausgeglichenen Ton mit sanfter Stimme.

      »Nein, nein, Señor. Juan Pallabos ist eine ehrliche Haut. Der Van geht kaputt, wenn ich weiterfahre. Juan Pallabos sagt die Wahrheit. Ich kenne mich aus.«

      »Und wie sollen wir deiner Meinung nach zwölf Kilometer in dieser Hitze laufen?«

      Der Mexikaner lachte. Er hatte die Frage vorausgesehen. »Ha, Juan hat genug Wasser mitgenommen. Literweise.« Er


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