SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2). Rick Jones
Über Nacht dauert es nur drei Stunden, bis ihr die Grenze in die Vereinigten Staaten überquert habt. Ganz leicht. Drei. Juan Pallabos hat schon viele aus diesem Land geschafft. Juan Pallabos ist der Beste.«
Der Araber atmete tief durch die Nase ein und stieß die Luft langsam mit einem Seufzer aus. »Dann schätze ich, dass wir deine Hilfe nicht mehr brauchen.«
»Si. Juan hat alles getan. Juan ist der Beste.«
»Zu deinem Pech, Mr. Pallabos, dürfen wir keine Zeugen zurücklassen. Das verstehst du doch bestimmt.«
Daraufhin erschlafften die Züge des Mexikaners, sodass sein Gesicht wie eine labbrige Gummimaske aussah.
Der Araber fasste sich an den Rücken und zog eine Sig Sauer mit Schalldämpfer aus seinem Hosenbund. Er feuerte dreimal schnell aufeinanderfolgend. Pallabos brach im Wüstensand zusammen.
Während er die Waffe zurücksteckte, ging der Mann, der groß und schlank war sowie leicht humpelte, nachdem er sich bei Gefechten gegen amerikanische Soldaten im Irak verletzt hatte, zu der Aluminiumkiste und legte seine Hände an den Deckel. Sie fühlte sich selbst in der sengenden Hitze kühl an. Er ließ die Verschlüsse aufschnappen und öffnete die Kiste.
Unter dem Plexiglasgehäuse sah alles so aus, wie es aussehen sollte: Die Schaltungen waren gesichert, und die Kugeln heil geblieben, worüber sich der Araber im Laufe der ruckeligen Fahrt Sorgen gemacht hatte. Russische Wertarbeit.
Nachdem er den Deckel zugeklappt und wieder verriegelt hatte, richtete er sich auf und blickte in die Ferne gen US-Grenze. »Wir fahren so weit, wie es noch geht, und lassen den Wagen dann stehen.«
Auf einen Wink seinerseits hoben seine Gefährten die Kiste hoch und stellten sie zurück in den Van.
Sie kamen keine volle Meile voran, bis sie mit den Rädern im Sand stecken blieben. Mit diesem Fahrzeug ging es nicht mehr weiter.
Juan Pallabos hatte letztlich recht behalten.
Aus dem Bundesstaat Baja Richtung Westen nach Kalifornien drang eine andere Dreiergruppe Männer aus dem Mittleren Osten unbemerkt in die USA ein. Der Alubehälter, den sie trugen, war ebenfalls verriegelt und gesichert, die Kugeln darin unversehrt. Am Ende konnten sie selbst nicht fassen, wie einfach sich die Grenzüberquerung gestaltete. Kein einziger Zollbeamter, kein Hubschrauber oder Patrouillenfahrzeug ließ sich blicken. Es gab weder Hunde noch Zäune oder andere Hindernisse zur Abschreckung. Der Transport der Kiste oder ihres Inhalts in die Vereinigten Staaten gestaltete sich reibungsloser als ursprünglich vermutet; sie stießen auf keinerlei Widerstand von der Gegenseite, absolut niemand gedachte, sie aufzuhalten.
So einfach war es.
Auch Gruppe drei gelang es ungehindert, die Grenze an einem Zipfel von New Mexico zu übertreten, einem Abschnitt ihrer zweitausend Meilen, wo üblicherweise kaum jemand postiert war, um auf illegale Einwanderer zu achten. Nun da man die zweite Bombe mühelos ins Land geschleust hatte, erfuhren die Männer, dass Gruppe zwei aus Baja ohne Widrigkeiten durchgekommen war.
Jetzt mussten sie sich nur noch Gruppe eins anschließen. Deren Rückmeldung aus Arizona ließ auf sich warten.
Kapitel 4
Los Angeles, Kalifornien | Früher Abend
Eine päpstliche Konferenz stand für den Tag nach der Ankunft von Papst Pius XIII. in Dulles an. Seine Redereise sollte in Washington, D.C. beginnen und zwölf Tage später im kalifornischen Rose Bowl enden, ein bisweilen anstrengender Zeitplan mit teilweise nicht unumstrittenen Themen. Die Zahl der Zuschauer ging in die Millionen, und Gegenstand war die Notwendigkeit der Wahrung christlicher Werte gegenüber reformatorischen Bedürfnissen.
Seit Jahren schon schworen Geistliche traditionellen Sitten der römisch-katholischen Kirche ab, sofern diese tatsächlich überholt waren, und zeigten sich mit zunehmend liberaler Einstellung offen gegenüber Veränderungen. Pius hingegen diente, um den Funken religiöser Hoffnung wieder zu entfachen, und predigte, gewisse Freiheiten könnten nur den Anfang vom Ende bedeuten, falls man althergebrachte Bräuche nicht mit Disziplin wahre. Gegenwind wehte ihm natürlich seitens der Medien entgegen, die dies als Weigerung des Vatikans deuteten, sich den Wünschen der Anhänger zu fügen: Ohne Fortschritt keine Entwicklung. Die Kirche wiederum hielt bedachtsam mit einem Aphorismus dagegen und skandierte: Der Preis des Fortschritts ist Zerstörung. Der Papst glaubte, nichts weiter tun zu müssen, als jenen Funken wiederzufinden … und ihn von Neuem aufglimmen zu lassen.
Während seines Kampfs in diesem inoffiziellen Krieg zur Durchsetzung eines modernen Kreuzzugs für die Konsolidierung eines schwächelnden Glaubens wurde Pius bewusst, dass die Kirche in der Vergangenheit zahlreiche Aufbegehren überstanden hatte und dies auch in Zukunft tun würde. Einigkeit zu fördern war jedoch erwiesenermaßen ein sehr schwieriges Unterfangen, das den alten Mann nahezu ausgezehrt hatte. Es fiel ihm im Laufe des Tages zunehmend schwerer, sich auf seine innere Stärke zu berufen.
Schwer atmend schritt der Papst über den Berberteppich seiner Hotelsuite zu einem Sessel mit weichen Lederpolstern. In diesem Augenblick spürte er jedes seiner zweiundsiebzig Jahre. Trotzdem verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln.
Im Rose Bowl hatten sich neunzigtausend Zuschauer eingefunden – neunzigtausend Seelen entweder auf der Suche nach Heil und Erlösung oder im Bestreben, einen Blick auf eine lebende Ikone zu erhaschen, also ohne klares Ziel über den Unterhaltungswert hinaus, den das Kirchenoberhaupt bot. Falls ihn einige von ihnen verstanden hatten – egal wie viele es sein mochten und wie zurückhaltend sie den Herrn in ihre Herzen ließen –, war es ein Erfolg gewesen.
Er ließ sich einen Moment lang Zeit, um durch die Schiebeglastür nach Westen zu blicken, und verinnerlichte den Anblick. Ein Spektrum leicht unterschiedlicher Farben vereinte sich am Himmel zu einem vagen Regenbogen. Nicht mehr lange, bis der Himmel sich zu einem schwarzen Zelt verdunkelt hatte und die Stadt der Engel sich in eine bezaubernde Lichtschau verwandeln würde, als habe man einen Diamantschatz auf schwarzem Samt ausgebreitet.
Als er seine Augen schloss, erkannte der Papst, dass er an diesem Abend früh zu Bett gehen musste. In der Regel blätterte und las er zuvor noch in der Bibel, doch heute setzte ihm die Müdigkeit zu stark zu, als dass er nur den Ledereinband hätte aufklappen können. Allerdings trug Pius seinem Herrn Rechnung, indem er ihm dafür dankte, als unbekannter Mann zu einer so wichtigen Person geworden zu sein.
Amerigo stammte aus einer Großfamilie mit elf Kindern. Er liebte Gott und alles, wofür dieser stand, bereits seit seiner Kindheit: etwa das Gute oder Fürsorge und die Fähigkeit, Menschen zu beherrschen, um sie in eine Welt des Lichts und der liebevollen Seelen zu geleiten.
Sein Vater hatte leider nichts davon wissen wollen und seinen Sohn gemeinsam mit dessen Brüdern zur Feldarbeit gezwungen, weil er davon überzeugt gewesen war, der Wert eines Mannes ergebe sich daraus, wie viel er ernte, nicht durch Aneignung unnützer Kenntnisse, denn damit bringe man es in seinem Dorf zu nichts.
Drum hatte Amerigo, der von seiner Mutter daheim im Lesen, Auswendiglernen von Bibelpassagen und mathematischen Grundlagen unterrichtet worden war, fast ein Jahrzehnt lang gemeinsam mit seinen Geschwistern Ackerbau betrieben und sich die Hände am Pflug schwielig gearbeitet, bis er zu der Einsicht gelangt war, Bodenbestellen sei keine Berufung für ihn.
Er hatte seine Mutter jeden Sonntag zum Gottesdienst begleitet, an den Werktagen beim Schuften unter praller Sonne hingegen davon geträumt, Priestergewänder zu tragen und Predigten zu halten. Amerigos Wunsch war gewesen, von der Kirche ermächtigt zu werden, seinen Mitmenschen den Weg zu weisen.
An seinem achtzehnten Geburtstag hatte er das Ochsengespann stehen lassen und gegen den Willen seines Vaters – allerdings mithilfe des Dorfpfarrers, gegen den sich der Mann nicht hatte auflehnen wollen – die theologische Schule in Florenz besucht, sein erstes Sprungbrett gen Rom.
Während der darauffolgenden Jahre war Amerigo zum Kardinal berufen und ein angesehenes Mitglied der Kurie geworden, was letztlich dazu geführt hatte, dass ihn das Kardinalskollegium zum Nachfolger von Johannes Paul II. erwählte. Nach seiner Annahme