SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2). Rick Jones
und die Körper derjenigen, die ihr Leben gelassen hatten, um sie zu verteidigen.
Neben ihm standen mehrere NSA-Angestellte in Anzügen und mit konservativen Frisuren, und Abraham musste sich fragen, wie man so kurzfristig derart proper herausgeputzt am Schauplatz präsent sein konnte. Um sein Erscheinungsbild dem professionellen Standard anzugleichen, stopfte er auch den hinteren Zipfel seines Shirts in die Hose, als würde dies wenigstens einigermaßen mit seiner Vollzugsbehörde konform gehen. Das tat es jedoch nicht einmal ansatzweise.
Zwei Männer in Gefahrstoffschutzmontur betraten den abgesperrten Bereich. Die Spuren, die sie mit ihren Stiefeln im weichen Grund hinterließen, weckten Assoziationen zu jenen von Astronauten auf dem Mond. Sie hatten Geigerzähler dabei und fuhren mit deren Rohren an der Aluminiumverkleidung entlang.
Die Knackgeräusche folgten äußerst langsam aufeinander, harmlos.
Einer der beiden kniete nieder, entriegelte die Kiste und klappte den Deckel auf, während der andere sein Zählrohr weiter geruhsam hin und her schwenkte.
Das Knacken hielt sich in Grenzen, die Strahlungswerte blieben gefahrlos niedrig. Jegliche Bedenken, was eventuelle Verseuchung anging, wurden kurzum aufgehoben.
»Entwarnung.« Diese gab der führende Beamte der beiden in Schutzkleidung. Er blieb immerzu mit seinem Team in Verbindung und tauschte sich per Lippenmikrofon mit der Kommandozentrale vor Ort aus, die sich in einem Kastenwagen außerhalb des ausgeleuchteten Rundes befand.
Abraham trat vor, und mit ihm jeder Vertreter der NSA wie des CISEN respektive mexikanischen Zentrums für Nachforschungen und nationale Sicherheit. So bildeten sie einen Kreis um die Kiste.
Diesen zogen die Beamten enger, ohne die Toten im Vorbeigehen nur eines Blickes zu würdigen, und besahen den Inhalt. Im Licht glänzten die glatten Kugeln stattlich.
»Wie Sie erkennen«, begann Valente DeMora-Cuesta, der einen hohen Rang im CISEN bekleidete, während er mit einer Handbewegung auf die Region südlich der Grenze verwies, »ist das mexikanisches Gebiet.« Ihm haftete etwas fürwahr Napoleonisches an, denn er war klein und strahlte mit seinem Gebaren freche Arroganz aus, womit er auf die Wichtigkeit seiner Position hinwies, indem er die Amerikaner daran erinnerte, dass auf mexikanischem Boden er derjenige sei, der den Ton angibt. Seine US-Kollegen nahmen ihn dennoch nicht für voll, auch wenn sich DeMora-Cuesto noch so sehr anstrengte. »Diese Bombe gehört meiner Regierung und wird im Namen Mexikos beschlagnahmt.«
Bis in die Vereinigten Staaten waren es keine fünfzehn Meter. Davon abgesehen würde sich das Weiße Haus nicht wegen Grenzdisputen abwimmeln lassen, wenn die nationale Sicherheit auf dem Spiel stand.
DeMora ließ sich allerdings keinen Deut von seiner überheblichen Art abbringen. »Muss ich Sie noch einmal darauf stoßen, dass sie mexikanisches Land betreten haben, ein hoheitliches Staatsgebiet?«
»Wir brauchen diese Bombe, um zu erfahren, wie man sie risikofrei entschärft«, hielt Abraham dagegen, »falls andere in die USA gelangt sind.«
»Das ist nicht unser Problem«, erwiderte DeMora. Daraufhin befahl er seinen Leuten barsch auf Spanisch, den Sprengsatz fortzuschaffen.
»Ich würde das bleiben lassen«, riet ihm Abraham.
»Was Sie tun würden, solange sie in Mexiko stehen, ist für mich mehr oder weniger belanglos.«
Während die Beamten aus dem Süden auf die Alukiste zugingen, nickte Abraham dem leitenden NSA-Kollegen zu, der dann etwas in sein Kopfmikrofon wisperte. Wenige Augenblicke später näherte sich von der Absperrung her ein behelmter Trupp mit kugelsicheren Westen und Gesichtsschirmen. Alle trugen Sturmgewehre mit aufgeschraubten Laserfernrohren. Diese warfen dunkelrote Strahlen, die sich mittig auf DeMora-Cuestas Oberkörper einpendelten. Binnen Sekunden hatten zwei Dutzend Elitesoldaten die Angestellten der mexikanischen Behörde aufs Korn genommen.
»Das würden Sie nicht wagen«, protestierte DeMora. Dann verschaffte er sich einen Überblick. Sie waren von allen Seiten umstellt, ein jeder im Visier der Amerikaner. »Eine Waffe gegen Vertreter der Regierung Mexikos zu erheben ist ein offensichtlicher Verstoß gegen unser Abkommen mit den Vereinigten Staaten. Meine Regierung reicht gewiss Beschwerde bei Ihrer ein, und Ihr Name, Mr. Abraham, wird genauso fallen wie jene aller anderen hier.«
»Ich glaube nicht, dass meine Regierung auch nur fünf Cent darauf gibt, weil wir diejenigen sind, die von ihr hergeschickt wurden, und zwar überhaupt erst mit diesem Auftrag – die Bombe sicherzustellen.«
DeMora-Cuesta trat zähneknirschend aus dem Rund zurück und winkte seinem Team, damit es ihm hinter die Absperrung folgte. Abraham war sich ganz sicher, der Kerl werde Verstärkung anfordern. Das war sonnenklar.
Er beobachtete, wie die CISEN-Beamten das Feld räumten, bevor er sich über den Sprengsatz beugte und die drei Kugeln, Computerplatinen sowie zwei phallischen Zylinder ins Auge fasste, die oben spitz zulaufend mit wenigen Zoll Abstand dazwischen montiert waren. Wahrscheinlich, so vermutete er, handelte es sich um zwei Polkontakte.
Als Nächstes schickte er sich an, die Leichen zu begutachten. Ihm fiel auf, dass die Araber glattrasiert waren – ein Beleg dafür, dass sie sich mittels Körperpflege aufs Sterben vorbereitet hatten, um dann, so die Auffassung von Märtyrern, ins Jenseits aufzufahren. Diese Achtsamkeit bezüglich solcher Details war noch etwas, das er sich während seines Aufstiegs in der Hierarchie der Antiterrorabteilung der Agency angeeignet hatte.
Ohne sich die Leiche anzusehen, deren Gesicht von einem hochkalibrigen Geschoss aus einem Sturmgewehr getroffen und somit nicht mehr identifizierbar war, verließ Abrahams den Platz. Unterdessen trafen seine Landsleute rasch Vorkehrungen, um den Behälter sicher zur Area 4 des Waffentestgeländes in Nevada zu transportieren.
Kapitel 6
Washington, D.C. | 04:00 Uhr
Kaum dass Präsident Burroughs über den Fund eines »Dante-Päckchens« an der US-Grenze zu Mexiko informiert worden war, rief er den mexikanischen Präsidenten Cesar Munoz an, um Ansprüche auf die Mitnahme der Bombe geltend zu machen, egal ob sie nun ein paar Meter südlich des Zauns gelegen hatte – und somit nur knapp auf dem Boden des Nachbarlands – oder nicht. Es gab weder Diskussionen noch Streit oder Verhandlungen. Burroughs hielt an seinem Wunsch fest und wäre unter keinen Umständen eingeknickt, denn die Sicherheit der Vereinigten Staaten genoss Vorrang.
Munoz gab innerhalb weniger Augenblicke nach und versicherte im Bestreben, die festen politischen Bande mit den USA nicht zu zerreißen, seine CISEN-Gesandtschaft aus dem Gebiet zurückzuziehen. Dieses Eingeständnis machte er gleichwohl nicht, bis sein Präsidentenkollege empfindlichst darauf hinwies, seine Militäreinheit werde jegliche Gewaltmittel anwenden, die zur Inbesitznahme der Bombe erforderlich seien.
Klare Ansage!
Weniger als zehn Minuten nach dem Telefongespräch mit dem Regierungsoberhaupt Mexikos berief Präsident Burroughs seinen Hauptberaterstab zusammen – darunter Alan Thornton, der leitende Sachbearbeiter in Sicherheitsfragen, CIA-Analytiker Doug Craner, Staatssekretärin Janet Dommers, Vizepräsident John Phippen und Verteidigungsminister Michael Duarte –, um eine Sitzung von höchster Priorität im Oval Office abzuhalten. Obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen war, gaben sich alle zumindest den Anschein, ausgeschlafen zum bevorstehenden Tag anzutreten.
Normalerweise war Burroughs ein umgänglicher, schwungvoller Mensch und nie um ein Lächeln oder einen Scherz verlegen. Heute jedoch wirkte er weniger einnehmend mit seinen fest zusammengepressten Lippen und einer Miene, die von tiefer Besorgnis zeugte.
»Danke, dass Sie gekommen sind, zumal so früh am Morgen«, hob er an. »FBI-Leiter Larry Johnson und NSA-Chef Davis Means werden sich später per Telefonkonferenz einklinken. Die Bombe, die an der Grenze von Arizona nach Mexiko gefunden wurde, wird momentan auf Radioaktivität und Wirkungskraft hin untersucht.« Er wandte sich an Alan Thornton, den er stets zuerst heranzog, wenn er vernünftigen Rat brauchte. »Al, Ihre Auswertung des vorläufigen Berichts, bitte.«
Dem Sachbearbeiter, der oft altmodische Kleidung trug, haftete etwas