SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2). Rick Jones
– das Kollar mittig am Kragen, die Bügelfalten ordentlich ausgerichtet –, ähnelte Kimball Hayden einem Pfarrer und nicht dem Killer von einst.
Beim letzten Blick auf seine Kleider im Spiegel wurde ihm klar, dass er die Führung eines Tages an einen Jüngeren abtreten musste.
Bis dahin würde er weiter versuchen, Frieden zu finden und sich von einer Vergangenheit loszusagen, deretwegen das Blut anderer Menschen an seinen Händen haftete. Er hatte Frau und Kinder getötet, die den Erfolg seiner Missionen möglicherweise gefährdet hätten. Er hatte Haustiere vor den Augen ihrer Besitzer umgebracht, um seine Vorhaben deutlich zu machen, »und die nächste Kugel gilt dir«. Immer wieder.
Kimball schloss die Augen in einem Anflug tiefster Beschämung.
Seinerzeit hatte er schreckliche Dinge getan. Unverzeihliche Dinge.
Und das Licht der Vergebung war ihm, obwohl es mitunter zum Greifen nah erschien, nie so fern vorgekommen wie jetzt.
Während Papst Pius XIII. den letzten Tag seines US-Aufenthalts im geselligen Austausch mit den hiesigen Kardinälen verbrachte, brach Hayden auf, um sich selbst etwas »Geistvolles« zu verordnen: Alkohol.
Oval Office, Washington, D.C. | 11:30 Uhr
Präsident Jim Burroughs hatte den Medien die Atombombe bislang vorenthalten können, doch bis Informationen darüber durchsickerten, weil Geheimnisse unweigerlich verraten wurden, war es nur eine Frage der Zeit. Eine Andeutung, und bald brach der Damm. Vorerst jedoch tat er sein Möglichstes, um jedem Singvogel strengstens Einhalt zu gebieten.
Während der Tagesgeschäfte im Oval Office hatte sich die Administration nach Kräften um die praktischste Herangehensweise bei der Fahndung nach weiteren Sprengkörpern, so diese existierten, und der Identifikation des Verkäufers bemüht. Damit dies gelang, musste sie zuerst die Zahlungsgeschäfte zurückverfolgen.
CIA-Analytiker Craner kämpfte sich durch einen Blätterwald, um den steten Datenstrom nachzuvollziehen, den ihm die Nachrichtennetzwerke zukommen ließen, und dessen Wahrheitsgehalt zu überprüfen, bevor er sich mit Burroughs Stab kurzschloss.
»Yorgi Pertschenko«, begann er dann, »handelt auf dem Schwarzmarkt und hat Kunden, die vermögend genug sind, um Plutonium für die Fertigung von Dante-Päckchen zu kaufen, wenn der Preis stimmt. Letztes Jahr wurden insgesamt einhundertsiebenunddreißig Millionen Dollar auf seine bekannten Bankkonten in siebenundzwanzig Ländern überwiesen. Nicht übel für einen stellvertretenden Leiter des russischen Direktorats S im Ruhestand – aber alles, was wir entdeckt haben, bestätigt definitiv, dass Pertschenko die Mittel zur Herstellung portabler Atomsprengsätze besitzt. Das macht ihn zum einzigen Kandidaten, der infrage kommt, wenn es darum geht, Massenvernichtungswaffen auf so hohem Niveau zu entwickeln und weiterzugeben.«
»Und das stimmt auch ganz sicher so?«
»Jawohl, Sir. Durch das Abhören des russischen Funkverkehrs konnten wir beweisen, dass einer Briefkastenfirma in Minsk – der Eigentümer war Pertschenko – vor sechs Monaten drei Millionen Dollar auf Konten in Russland und auf den Cayman Islands überwiesen wurden. Später kam heraus, dass diese Summe um weitere siebenundzwanzig Millionen Dollar ergänzt wurde, und zwar von einem Kunden der Zentralbank im Iran am Tag nach der ersten Überweisung. Nach dieser Streuung von dreißig Millionen auf mehrere Bücher weltweit verlief sich die Spur, sodass es immer schwieriger wurde, ihr zu folgen.«
»Bis sie ganz verschwand?«
»Ja, Sir«, gab Craner zu. »Schwarzmarkthändler – vor allem ISIS – finanzieren sich durch den Diebstahl respektive Verkauf von Antiquitäten und natürlich Öl oder Erpressung. Sie sind kapitalkräftig und zählen im Mittleren Osten mit weitem Abstand zu den Bestverdienern. Da diese dermaßen hohe Summe nun von der iranischen Zentralbank kommt, die nicht auf etwaige Bitten der USA eingehen wird, die Namen der Besitzer der betreffenden Konten herauszugeben, müssen wir Pertschenko an erster Stelle nennen, wenn es um potenzielle Lieferanten für die besagte Ware zu den veranschlagten Preisen geht.«
Sachbearbeiter Alan Thornton pflichtete bei, denn die Araber besaßen Güter aus russischer Herstellung. Andererseits wirkte dieses Szenario stark vereinfacht, worauf er auch hinwies, weil der Fernzünder vielleicht auf eine falsche Spur locken sollte, um die Ermittler in die Irre zu führen. Während der fortlaufenden Untersuchungen blieb der Verdacht auf Bande zwischen Pertschenko und al-Qaida allerdings stark.
»Eine andere Stoßrichtung haben wir momentan nicht«, bemerkte der Präsident. Dann überlegte er kurz und versuchte einen eigenen Ansatz. »Konnten sie Pertschenkos Verbleib beim Abhören des russischen Funkverkehrs in Erfahrung bringen?«
»Ja und nein«, antwortete Craner. »Wir wissen, dass er in Minsk ist. Sein genaues Versteck bleibt jedoch unbekannt. Zumindest heißt es seitens unserer Beobachter, er verkehre gern in einem Klub der Stadt.«
»Ich verlange, dass man ihn findet«, betonte Burroughs. »Versuchen Sie alles, egal was es kostet, um Informationen von ihm zu bekommen. Ich möchte wissen, wie viele Bomben da draußen sind. Im Anschluss daran gehen Sie vor wie geplant.«
»Sollte Pertschenko Wind davon bekommen, dass die Russen nach ihm suchen, könnte er endgültig untertauchen.«
»Passen Sie auf, Doug, das ist keine Bitte, sondern eine Aufforderung. Spüren Sie den Kerl auf und holen sie die erforderlichen Antworten von ihm ein. Ich will die Zahl der Sprengkörper erfahren, die an die Araber verkauft wurden, bevor die Russen ihn erwischen.«
»Verstanden, Mr. President.«
Burroughs lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Jetzt dreht sich alles darum, auf welche Ziele sie es abgesehen haben. Washington, D.C. und New York City sind offensichtlich. Nennen Sie mir weitere.«
»Jeder beliebige Ort wäre vorstellbar, Mr. President«, sagte Thornton. »Atommeiler, Ballungsräume, das Pentagon … die Liste ließe sich ewig fortsetzen.«
»Dann machen sie die internationalen Sicherheitsdienste mobil, und sammeln sie so viele Informationen wie möglich, vor allem vom Mossad. Mal sehen, ob sie dort bereit sind, uns alle ihre Daten über die Araber zukommen zu lassen, die beim Grenzübertritt getötet wurden. Finden Sie heraus, woher sie stammten, wo sie verkehrten – alles, was uns irgendwie weiterhelfen kann.«
»Wird gemacht, Sir, aber darf ich noch etwas anmerken?«
»Nur zu, Al.«
»Da wir die Anschlagsziele nicht kennen, würde ich vorschlagen, Sie umgehend in Sicherheit zu bringen.«
»Sie meinen Camp David?«
»Nein, Sir. Ich würde ein anderes Versteck wählen. Camp David gehört zu den zehn nächstliegenden Angriffspunkten, also empfehle ich Raven Rock.«
Der Komplex im Raven Rock Mountain, auch bekannt unter den Abkürzungen RRMC oder Site R, war ein Gebirgsatombunker für den Präsidenten in Pennsylvania. Nachdem die Sowjetunion 1949 ihre erste Kernwaffe gezündet hatte, waren in einem geschützten Unterschlupf nahe Washington, D.C. Hochsicherheitsräumlichkeiten für den gemeinschaftlichen Kommandoposten eingerichtet worden, welche die amtierenden Befehlshaber und Einsatzführungskräfte des Landes rasch beziehen konnten. Dies hatte etwa Vizepräsident Cheney nach 9/11 getan.
»Dann brechen wir noch heute Abend dorthin auf«, beschloss Burroughs. »Bis dahin muss ein komplettes Basislager und Befehlszentrum dort aufgebaut sein.«
»Ja, Sir.«
»Und möge Gott der Seelen der Bürger Amerikas gnädig sein.«
Kapitel 9
Area 4, Testgelände Nevada | Später Vormittag
Die Wände des Raums bestanden aus Beton, und das Aussichtsfenster, dessen Scheibe sechs Zoll dick war, erstreckte sich auf einer Seite über die gesamte Breite. In dem Labor reihten sich elektronische Zauberkästen aneinander, angefangen bei Vakuumsaugsystemen über optische Tische mit Schwingungsdämpfern bis zu einer stattlichen Sammlung optomechanischer Komponenten, beispielsweise