SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2). Rick Jones

SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2) - Rick Jones


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standen still.

      In einem Verbindungsraum dieses Labors befand sich eine Kammer zur Untersuchung atomarer Emissionen und Absorption. Heute aber stand auf einem Tisch eine portable Kernwaffe in glänzendem Aluminiumgehäuse, die ein wenig wie die alttestamentarische Bundeslade anmutete.

      Dr. Ray Simone, der leitende Kerntechniker und Vorsteher des Nuklearmanagementteams des Präsidenten, ähnelte mit seinem schütter werdenden Haar und gestutzten Kinnbart Abraham Lincoln. Sein gelehriger Blick brachte die gepriesene Intelligenz eines Mannes auf den Punkt, der im Bereich Atomwissenschaft seinesgleichen suchte. Seine Ticks ließen jedoch auf nichts weniger als einen Menschen schließen, der sozial gehandicapt war und ausschließlich in der Welt der Wissenschaft aufging.

      Gerade stand er in einem weißen Laborkittel mit einem Strahlungsmonitor am Aufschlag vorm Fenster und tippte auf den Touchscreen eines elektronischen Notizbuchs.

      Die Bombe war eine Stunde zuvor gebracht worden, und nun wurden Tests durchgeführt. Aus den ersten Ergebnissen ging hervor, dass sie im vollen Umfang funktionierte, eine Sprengkraft von drei Kilotonnen und aufwendige Sicherheitsmechanismen besaß, weshalb sie sich, wie man festgestellt hatte, schwerlich entschärfen lassen würde, falls überhaupt. Rings um den Auslöser zogen sich kreuz und quer zahllose Laserlinien, Dutzende mehr umrandeten die Computerplatinen. Sie verliefen in alle Richtungen sowie hinauf und hinunter, was einen Durchbruch des Lasergitters, um an den Kern des Sprengsatzes zu gelangen, unmöglich machte. Falls beim Versuch, ihn zu entschärfen, auch nur eine einzelne Strömung dieses Netzes von einem angesetzten Werkzeug unterbrochen wurde, aktivierte er sich automatisch.

      Simone betrat die Kammer, während er flink auf die Anzeige seines Tablets tupfte, und ging dann um die Bombe herum, wobei er sie gründlich betrachtete. An einem seiner Ohren klemmte ein Bluetooth-Empfänger.

      Nachdem er sich ein Gestell mit einem Monokular aufgesetzt hatte, konnte er die Strahlen sehen, die sich zu feinmaschigen Mustern überlagerten, auf und nieder gingen, hin und her liefen. Weil sich die Laser ununterbrochen bewegten, konnte man nicht einmal mit ruhiger Hand hineingreifen, um die Verbindungsstecker zu ziehen. Dies würde die Drei-Kilotonnen-Bombe sofort zünden.

      »Keine Frage, Genialität ergibt sich aus Einfachheit«, murmelte er.

      Das ist völlig … genial.

      Der Forscher gab seine Erkenntnisse mit einem Zeigefinger ein und speicherte sie.

      »Dr. Simone?«

      Er fasste sich an den Hörknopf. »Ja, Mitch?«

      »Präsident Burroughs möchte zu Ihnen durchgestellt werden. Er wüsste gern, was Sie herausgefunden haben.«

      »Dann holen Sie ihn mir in die Leitung.«

      Nachdem er Monokular und Headset ausgezogen hatte, fuhr Simone mit einem Finger über das Plexiglas, unter dem die glänzenden Kugeln steckten.

      »Dr. Simone?« Die Stimme des Präsidenten kam aus Raumlautsprechern, die zum fortschrittlichen Kommunikationssystem des Labors gehörten.

      »Ja, Mr. President?«

      »Was können Sie mir erzählen?«

      »Nun ja, eines auf jeden Fall«, entgegnete der Fachmann. »Das ist eine technische Meisterleistung. Es handelt sich um eine rein computerbasierte Bombe mit hervorragendem Eingriffschutz, der eine Entschärfung fast völlig ausschließt.«

      »Also doch nicht ganz? Es wäre irgendwie machbar?«

      »Deshalb sagte ich ›fast‹, Mr. President.«

      »Ob mit oder ohne ›fast‹, Ray: Für mich heißt ›ausgeschlossen‹, dass etwas praktisch nicht zu schaffen ist.«

      Simone beugte sich über die Bombe und besah die Kugeln noch genauer. »Eigentlich, Mr. President, bedeutet das Wort nicht, dass etwas nicht zu schaffen ist. Es drückt lediglich aus, mit welchen Schwierigkeiten der Versuch einhergeht.«

      »Ray, können Sie das verdammte Ding entschärfen oder nicht?«

      »Ausgeschlossen hin oder her, Mr. President, und obwohl es eine Herausforderung darstellen mag, ist alles mach- und erreichbar. Ich werde eine Möglichkeit finden, diese Bombe zu entschärfen.«

      »Wie lange dauert das?«

      »Darauf kann ich Ihnen keine genaue Antwort geben, Mr. President.«

      »Ray, es ist ein absolutes Muss.«

      »Das verstehe ich, aber so etwas hat niemand von uns je zuvor gesehen. Wenn ich mir den technischen Standard der Russen vor Augen halte, schäme ich mich dafür, dass wir dieses Wunder nicht selbst entwickelt haben.«

      »Sie reden daher, als seien sie fasziniert von dem Teufelsding.«

      Simone war in der Tat aus wissenschaftlichem Interesse in den Sprengkörper vernarrt.

      »Es ist eine Bombe, Ray. Finden Sie heraus, wie sie tickt, und machen Sie sie unschädlich.«

      »Ich tue, was ich kann«, versprach er.

      »Aber schnell. Möglicherweise machen noch weitere auf amerikanischem Boden die Runde.«

      »Wie gesagt, Mr. President, ich tue, was ich kann. Eine Waffe wie diese muss mit äußerster Vorsicht behandelt werden.«

      »Ray, wir haben nicht viel Zeit.«

      »Mr. President, falls wir einen Fehler machen – auch wenn wir uns nur geringfügig verrechnen –, verwandelt sich Area 4 über mehrere Jahrtausende hinweg in eine tote Landschaft, und jegliche Kenntnisse welcher Art auch immer, die Sie gewinnen wollen, bleiben verborgen. Unter den gegebenen Umständen haben wir keine andere Wahl.«

      Daraufhin herrschte kurz Stille, bevor Burroughs fortfuhr: »Ihr Personal soll sich rund um die Uhr dahinterklemmen.«

      »Werde ich anordnen.«

      »Und nach etwas, Ray.«

      »Ja, Mr. President?«

      »Denken Sie daran, dass die Zeit läuft. Wenn eine Bombe im Land explodiert, wird nichts eine Rolle spielen, was Sie herausfinden. Dann ist es zu spät.«

      »Alles klar.«

      Dann klickte es durch die Lautsprecher, deutlich vernehmbar und endgültig wie das Umlegen eines Hebels, gleich anschließend ertönten Störgeräusche und schließlich nichts mehr.

      Die Zeit lief.

      Kapitel 10

      Washington, D.C. | 13:45 Uhr

      Marine One, so hieß der Transporthubschrauber des Präsidenten, der für Kurzstrecken und Landungen auf engem Raum zum Einsatz kam. Das aktuelle Modell war eine VH-71 Kestrel, das Neuste vom Neusten in Sachen Fluggeräte. Sie brachte es auf bis zu fünfzehntausend Fuß Höhe, eine Höchstgeschwindigkeit von einhundertzweiundneunzig Meilen pro Stunde und Strecken von maximal achthundertdreiundsechzig Meilen.

      Die Innenausstattung beschränkte sich aufs Wesentliche: gepolsterte Sitzbänke an den Wänden und ein Telefon mit Faxgerät zur Kommunikation. Obwohl das Antriebssystem das stete Knattern der Rotoren dämpfte, um zu lautem Fluglärm vorzubeugen, musste Burroughs lauter sprechen, um sich seinem Team mitzuteilen.

      In der Kabine saßen außer ihm Sicherheitssachbearbeiter Alan Thornton, Justizminister Dean Hamilton und CIA-Analytiker Doug Craner. Diese Mannschaft brütete über kürzlich aus Quellen in unterschiedlichen Ländern erhaltenen Informationen, während die Rotorblätter auf Startgeschwindigkeit beschleunigten.

      Sobald Marine One abhob und Kurs auf Raven Rock nahm, überflog der Präsident die neusten Fakten, bis er sich einen umfassenden Überblick verschafft hatte. Im Rundfenster wurde die Hauptstadt immer kleiner, wobei der Turm des Washington Monument bis auf die Größe einer Stecknadel zusammenschrumpfte und dann gänzlich verschwand.

      Seit dem Zwischenfall an der Grenze von Arizona nach Mexiko herrschte ein rasanter Informationsfluss,


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