Bettina Fahrenbach Staffel 3 – Liebesroman. Michaela Dornberg
war traurig, aber eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten war, genauso wie sie nicht hatten verhindern können, daß dem alten Bauernhof der Garaus gemacht worden war. Obschon von der Substanz noch sehr gut erhalten und auch insgesamt ein schöner Hof, war er gnadenlos abgerissen worden, um durch fast langweilige Einfamilienhäuser ersetzt zu werden.
Durch dieses ›Neu-Fahrenbach‹, wie sie es nannten, hatte sich vieles verändert, und es waren Fremde hergezogen, die teils nett waren, die teilweise aber einfach nicht in das Dorfgefüge paßten. Aber auch das veränderte sich, und Bettina hatte Angst, daß andere Bauern auch verkaufen würden, angelockt vom Geld. Das konnte niemand verhindern. Waren sie beim Verkauf des Huber-Hofes noch der Meinung gewesen, den hätte jemand aus dem Dorf kaufen können, Markus beispielsweise, um sein Sägewerk zu erweitern und einer der Bauern, der gern einen Hof für seinen Sohn gekauft hätte, war es Wunschdenken. Sie konnten nicht alles aufkaufen. Außerdem hatte sie selbst genug Land. Das einzig Gute war wohl, daß sie so viel Grundbesitz hatte, um verhindern zu können, daß Fahrenbach so zugebaut wurde wie Bad Helmbach. Und das größte Glück war ja wohl, daß ihr der See gehörte. Der ganze große See. Auch wenn der Grund ringsum Bauland geworden war, würde sie den Verlockungen des Geldes nicht erliegen. Der Fahrenbach-See war seit mehr als fünf Generationen im Familienbesitz, und den würde niemand zubauen. Er sollte in seiner Ursprünglichkeit erhalten bleiben.
Dafür würde sie sorgen. Und die Fahrenbacher waren heilfroh, daß sie so dachte, schließlich hatten sie ein wunderbares Naherholungsgebiet direkt vor der Haustür und konnten sich an der Natur, an teils seltenen Pflanzen und Tieren, freuen.
Bettina stellte ihr Fahrrad ab, dann betrat sie den Laden von Frau Lindner, der sich direkt am Marktplatz befand, in unmittelbarer Nähe von Martins Praxis, die nun verwaist war und genau gegenüber vom Gasthof ›Zur Linde‹.
Es waren keine Kunden im Laden, der Bettina auch ziemlich leergeräumt erschien.
»Guten Tag, Frau Lindner.«
»Guten Tag, Bettina. Schön, dich zu sehen.«
Wenn Bettina früher in den Ferien in Fahrenbach gewesen war, hatte sie den Laden geliebt. Zum einen gab es wunderbare Zuckerstangen, wie sonst nirgendwo, zum anderen hatte Frau Lindner eine Ecke mit tollen Kinder- und Jugendbüchern. Das war schon so lange her, aber die Erinnerung war geblieben.
Die Gläser, in denen Frau Lindner die bunten Zuckerstangen aufbewahrt hatte, waren längst leer oder zweckentfremdet. Und auch Bücher konnte man schon lange nicht mehr in dem Laden kaufen, allenfalls Zeitungen und Illustrierte, und die auch nicht besonders gut sortiert.
Bettina schlenderte zu dem alten Holzregal, in dem die Schreib- und Büromaterialien untergebracht waren. Von den Schreibblocks, die sie suchte, gab es gerade noch einen.
Bettina nahm ihn aus dem Regal, drehte sich um und wedelte damit herum.
»Haben Sie davon noch welche am Lager, Frau Lindner?« erkundigte sie sich.
Die schüttelte den Kopf. »Nein, Bettina, leider nicht. Es gibt nur noch das, was im Regal liegt.«
»Aber Sie bekommen die Blocks doch wieder herein, nicht wahr?«
Wieder ein Kopfschütteln.
Das verstand Bettina nicht.
»Ach, geben Sie den Artikel auf? Das wäre aber wirklich sehr schade.«
»Ich gebe nicht nur den Artikel auf, Bettina. Nein, ich mache den ganzen Laden zu.«
Aus weit aufgerissenen Augen schaute Bettina ihr Gegenüber an. Sie glaubte, sich verhört zu haben. Das konnte doch nicht wahr sein. Dieser Laden von Frau Lindner gehörte zu Fahrenbach wie der Gasthof und die kleine Kapelle auf einem der Hügel. Diesen Laden hatte es schon ewig gegeben, bestimmt seit zwei, drei Generationen, und immer war er von Lindner betrieben worden.
»Frau Lindner, das… das glaube ich einfach nicht.«
Bettina war erschüttert.
»Doch, doch, Bettina, es stimmt. Eines Tages hätte ich ohnehin zumachen müssen. Ich hab’ ja keinen Nachfolger. Freilich hätte ich mir schon noch ein paar Jahre Zeit damit gelassen, meine Mutter stand ja sogar noch mit achtzig im Geschäft und hat die Kunden bedient.« Sie seufzte. »Gegen den Supermarkt da oben kann ich nicht konkurrieren. Das Geschäft bringt nichts mehr. Wenn das hier kein Eigentum wäre, hätte ich längst schon schließen müssen. Seit die da sind, zahle ich drauf. Deswegen – wie sagt man so schön? – lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.«
Bettina schluckte. Das, was sie da gerade erfahren hatte, tat so richtig weh.
»Und was wollen Sie machen, Frau Lindner? Sie haben ja ihr ganzes Leben im Laden gestanden, von morgens bis abends. Einfach nichts zu tun, das kann ich mir bei Ihnen nicht vorstellen.«
»Ich eigentlich auch nicht. Aber es wird sich schon was finden. Linde bekommt ja ihre Kinder, vielleicht kann ich ihr ein bißchen helfen. Die Ärmste muß ja jetzt auch sehen, wie sie allein zurechtkommt. Weißt du, Bettina, Lindes Schicksal ist viel schwerer zu tragen. Sie hat einen herben Verlust erlitten. Ich darf überhaupt nicht darüber nachdenken. Es verging kein Tag, an dem Martin nicht zu mir in den Laden kam, um hallo zu sagen. Seit er ein kleiner Junge war, hat er das so gemacht, und nun ist er tot. Weißt du, was Linde mit der Praxis machen wird? Vermieten?«
»Tut mir leid, Frau Lindner, das weiß ich nicht. Ich denke, es hat auch noch Zeit. Ich nehme dann diesen Block hier.«
Bettina zahlte und ging. Sie hatte keine Lust, über Lindes Angelegenheiten zu sprechen. So nett Frau Lindner auch war, sie war eine kleine Plaudertasche. Das lag vermutlich an ihrem Beruf. Kunden erwarteten Neuigkeiten, und Läden wie dieser waren die reinste Informationsbörse.
Bettina hatte sich niemals an Klatsch und Tratsch beteiligt und war bisher gut damit gefahren, und so sollte es auch bleiben.
Sie beschloß, ihr Fahrrad stehen zu lassen und ging quer über den Platz zum Gasthof.
Linde saß am Stammtisch, über Abrechnungen gebeugt.
»He, wenn das keine Überraschung ist!« Sofort ließ sie ihren Kugelschreiber fallen und schob ihre Papiere beiseite.
Bettina umarmte ihre Freundin, dann ließ sie sich auf die Bank vor dem Kamin fallen, ihr Lieblingsplatz seit Kinderzeiten.
»Ich war gerade bei Frau Lindner. Wußtest du, daß sie ihren Laden schließt?«
»Ja, sie hat es mir erzählt. Ist das nicht traurig? Schon wieder geht etwas vorüber.«
»Hoffentlich vermietet sie den Laden nicht an den Betreiber eines DVD-Verleihs oder so etwas Ähnliches.«
»Sie will überhaupt nicht vermieten und überlegt, ob sie ihr Haus verkaufen soll. Aber da haben Markus und ich uns schon angemeldet, und sie hat versprochen, uns auf jeden Fall vorzuziehen, falls sie wirklich verkauft.«
»Ist schon traurig, daß die Leute hier kein Traditionsbewußtsein mehr haben, und statt Frau Lindner zu unterstützen, lieber in den Supermarkt raufrennen.«
»Wir müssen uns damit abfinden, daß die beschaulichen Zeiten hier vorbei sind. Sie leben auch hier nach dem Motto: Jeder ist sich selbst der Nächste. Früher war alles anders, die Alten sterben weg oder geben auf, die Jungen haben andere Pläne. Wir können den Ausverkauf hier nicht mehr verhindern, anfänglich glaubte ich noch daran. Ich weiß auch von verschiedenen meiner Stammgäste, daß sie sich jetzt da oben bei dem Italiener tummeln, c’est la vie! So ist das Leben eben.«
»Aber du hast doch noch genug zu tun, Linde, und du und Markus, ihr seid Fahrenbacher mit Leib und Seele.«
»Es gibt schon noch mehr Leute hier, die sich eher ein Loch ins Knie schießen lassen würden, als Fahrenbach oder ihren Besitz hier aufzugeben, und ich habe auch keine Umsatzeinbußen, ganz im Gegenteil, ich habe ein sattes Plus gemacht, auch durch die Vereinbarungen, die ich mit Busunternehmern habe, die mir ihre Fahrgäste regelmäßig herkarren. Nein, darum geht es nicht. Es verändert sich, es kommt auch durch die neuen Bewohner da oben, die bringen