H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells
von dem armen Ogilvy.
Nach dem Frühstück entschloss ich mich, statt zu arbeiten, einen Gang zur Weide zu machen. Unter der Eisenbahnbrücke traf ich eine Gruppe von Soldaten — Pioniere, wie ich glaube, Leute mit kleinen runden Mützen, schmutzigen offenen roten Jacken, die ihre blauen Hemden sehen ließen, in dunklen Hosen und Stiefeln, die bis zur Wade reichten. Sie sagten mir, dass niemand über den Kanal dürfe; und als ich meinen Blick die Straße entlang auf die Brücke richtete, sah ich dort einen Mann des Cardigan-Regiments Wache stehen. Mit diesen Soldaten sprach ich eine Zeit lang; ich erzählte ihnen von meiner Begegnung mit den Marsleuten am vorigen Abend. Keiner von ihnen hatte die Marsleute gesehen, und sie machten sich nur ganz unklare Vorstellungen von ihnen. So kam es, dass sie mich mit Fragen bestürmten. Sie erzählten mir, dass sie nicht wussten, wer das Eingreifen der Truppen veranlasst hätte; sie vermuteten, dass bei der berittenen Garde eine Auseinandersetzung stattgefunden habe. Der gewöhnliche Pionier ist bei Weitem gebildeter als der gemeine Soldat, und sie besprachen die sonderbaren Bedingungen des voraussichtlichen Kampfes mit ziemlich viel Scharfsinn. Ich schilderte ihnen den Hitzestrahl, und sie fingen nun an, sich untereinander darüber auszusprechen.
»Sich unter Bedeckung herankriechen und dann auf sie losstürzen, sage ich«, meinte einer.
»Hör’ auf!«,sagte ein anderer, »wozu taugt denn eine Bedeckung bei dieser Hitze? Höchstens zu Spänen, um dich besser zu braten. Aber was wir zu tun haben, ist so nahe heranrücken, als das Terrain es erlaubt und dann einen Graben ziehen.«
»Kuckuck mit deinen Gräben! Du brauchst immer Gräben. Du hättest sollen als Kaninchen zur Welt kommen, Snippy.«
»Haben sie also wirklich keinen Nacken?«, fragte mich plötzlich ein dritter, ein kleiner, dunkler, nachdenklicher Mann, der eine Pfeife rauchte.
Ich wiederholte meine Beschreibung.
»Oktopusse«, sagte er, »das ist’s, was ich sie nenne, da spricht man von Menschenfischern — diesmal heißt es Fische bekämpfen!«
»Es ist kein Mord, solche Bestien umzubringen«, sagte der erste Sprecher.
»Warum diese verfluchten Kerle nicht zusammenschießen und ein Ende mit ihnen machen?«, meinte der kleine Dunkelhaarige. »Ihr könnt nicht wissen, was sie noch anstellen.«
»Wo sind dann deine Bomben?«, höhnte der erste. »Dazu ist nicht mehr Zeit. Macht einen Überfall – das ist mein Plan – und macht ihn sofort.«
In dieser Weise besprachen sie den Fall. Nach einer Weile verließ ich sie und ging zum Bahnhof, um mir so viel Morgenblätter als möglich zu verschaffen.
Doch will ich den Leser mit einer Beschreibung des langen Morgens und des noch längeren Nachmittags nicht ermüden. Es gelang mir nicht, auch nur einen Blick auf die Weide zu werfen, denn selbst die Kirchtürme von Horsell und Chobham waren in den Händen der militärischen Behörden. Die Soldaten, an die ich mich wendete, wussten nicht das Geringste. Die Offiziere waren ebenso geheimnisvoll wie geschäftig. Die Leute in der Stadt fühlten sich, wie ich sah, vollkommen sicher bei der Anwesenheit des Militärs. Damals erst hörte ich von Marshall, dem Tabakhändler, dass sein Sohn sich unter den Toten auf der Weide befand. Die Soldaten hatten die Bewohner der Vorstädte von Horsell genötigt, ihre Häuser zu schließen und zu verlassen.
Sehr ermüdet kehrte ich etwa um zwei Uhr zum Gabelfrühstück nach Hause zurück, denn, wie schon erwähnt, war der Tag erdrückend heiß; um mich etwas zu erfrischen, nahm ich nachmittags ein kaltes Bad. Um halb fünf ungefähr, ging ich zum Bahnhof, um mir ein Abendblatt zu kaufen, denn die Morgenblätter hatten nur sehr unzulängliche Berichte von der Ermordung Stents, Hendersons, Ogilvys und der anderen enthalten. Auch sonst stand wenig darin, das ich nicht schon wusste. Die Marsleute ließen nicht einen Zolles Breite von sich sehen. Sie schienen in ihrer Grube sehr geschäftig zu sein; man vernahm ein unausgesetztes Hämmern und sah fast ununterbrochen Rauchsäulen aufsteigen. Sie waren augenscheinlich beschäftigt, sich für einen Kampf in Bereitschaft zu setzen. »Erneuerte Versuche wurden gemacht, eine Verständigung zu erzielen, doch ohne Erfolg«, das war eine stereotype Wendung der Blätter. Ein Pionier erzählte mir, dass der Annäherungsversuch durch einen Mann geschah, der in einer Grube stehend, an einer langen Stange eine Fahne schwenkte. Die Marsleute schenkten solchen Maßregeln eine eben so große Beachtung, wie wir etwa dem Brüllen einer Kuh.
Ich muss gestehen, dass mich der Anblick aller dieser Ausrüstungen und Vorbereitungen aufs Äußerste erregte. Meine Einbildungskraft wurde kriegerisch und besiegte die Eindringlinge auf dutzenderlei hervorragende Weise. Ein Rest meiner Schulknabenträume von Schlacht und Heldentum wachte wieder in mir auf. Diesmal aber schien es mir kein ehrlicher Kampf zu sein. So hilflos erschienen jene mir in ihrer Grube.
Um drei Uhr etwa hörte man von Chertsey oder Addlestone her in abgemessenen Zwischenräumen die ersten Kanonenschüsse. Ich erfuhr, dass da zuerst das glimmende Fichtengehölz, in das der zweite Zylinder eingefallen war, beschossen wurde; man hoffte, das Rohr zu zerstören, bevor es sich öffnete. Indessen dauerte es bis ungefähr fünf Uhr, ehe ein Feldgeschütz Chobham erreichte, um gegen die erste Abteilung der Marsleute gerichtet zu werden.
Um sechs Uhr abends, als ich mit meiner Frau im Gartenhaus beim Tee saß und eifrig den Kampf besprach, der uns bevorstand, hörte ich gedämpften Donner von der Weide her dröhnen, und unmittelbar darauf ein überaus heftiges Geschützfeuer. In blitzartiger Folge hörte ich ein furchtbares prasselndes Krachen, das den Boden erschütterte. Auf den Rasenplatz hinausstürzend, sah ich, wie die Wipfel der Bäume bei der orientalischen Schule in rauchenden roten Flammen standen und der Turm der kleinen Kirche daneben einstürzte. Die Kuppel der Moschee war verschwunden, und der Dachstuhl der Schule sah aus, als hätte ihn ein Hunderttonner beschossen. Einer unserer Schornsteine zerbarst, wie von einer Bombe getroffen; er sauste herab, seine Hauptmasse kam über die Dachziegel herabgepoltert und bildete einen Haufen roter Trümmer auf dem Blumenbeet vor dem Fenster meines Studierzimmers.
Ich und meine Frau blieben wie betäubt stehen. Dann wurde es mir klar, dass der Kamm des Maybury-Hügels im Bereich des Hitzestrahls der Marsleute sein müsse, jetzt, da das Schulgebäude aus dem Wege geräumt war.
Da fasste ich meine Frau am Arm und ohne weitere Überlegung stürzte ich mit ihr auf die Straße hinaus. Dann holte ich das Dienstmädchen, und versprach ihr, selbst den Koffer, nach dem sie jammerte, herabzubringen.