Dr. Daniel Staffel 5 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 5 – Arztroman - Marie Francoise


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es hauptsächlich die Firma in Kyoto zu geben, in der er seit vielen Jahren arbeitete.

      »Morgen hast du deinen freien Tag«, erklärte Katsumata, der älteste Sohn der Nakashidas, und bemühte sich dabei, langsam und deutlich zu sprechen. »Ich würde dir gern ein bißchen was von Kyoto zeigen.«

      Ines lächelte. »Das Angebot nehme ich natürlich an. Kyoto ist eine faszinierende Stadt.«

      Davon war sie nach dem Tag, den sie mit Katsumata verbrachte, wirklich überzeugt. Er zeigte ihr den kaiserlichen Palast, führte sie zum Kamo, wo sich das Nachtleben abspielte, und fuhr mit ihr schließlich in den Nordwesten Kyotos nach Kitayama, wo sich die schönsten Zen-Tempelbauten der Stadt befanden.

      Besonders beeindruckt war Ines vom Ryoanji mit seinem Steingarten und dem Goldenen Pavillon.

      »Im 14. Jahrhundert war das die Sommerresidenz eines Ashikaga-Shoguns«, erklärte Katsumata. »Allerdings ist das jetzige Gebäude nur eine exakte Nachbildung des Originals, das durch den Brand von 1955 zerstört worden ist.«

      Bewundernd sah Ines ihn an. »Was du alles weißt.«

      Katsumata lächelte. »Du bist gut. Das hier ist schließlich meine Heimat.«

      »Weißt du auch, weshalb ganz Kyoto nach diesem eigenartigen Gittermuster aufgebaut ist?«

      Diese Frage hatte Ines auch Fujiko einmal gestellt, ihre Antwort jedoch nicht richtig verstanden, weil die Hausherrin in einem Dialekt sprach, mit dem Ines selbst jetzt noch nicht richtig zurechtkam.

      »Du kennst die Tatami-Matten, die in unserem Haus am Boden liegen«, erklärte Katsumata. »Eine solche Matte ist etwa ein mal zwei Meter groß, und mit dieser Größe ist der Grundriß Kyotos eng verknüpft.«

      »Wie bitte?« Ines schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«

      »Die Maße eines jeden Hauses werden nach der Zahl der Tatami-Matten, die darin liegen, genommen. Dadurch wird die Länge und Breite jedes Raumes und somit schließlich der gesamten Wohnung festgelegt. Unser Haus beispielsweise ist acht Meter breit und vierzig Meter lang. Fünf dieser Häuser bilden ein goningumi, und zu einem cho gehören vierzig Häuser. Auf diese Weise können die Maße eines ganzen Bezirks, sogar der gesamten Stadt bis zur Größe einer einzigen Tatami-Matte zurückverfolgt werden.«

      »Meine Güte«, stöhnte Ines, dann schüttelte sie wieder den Kopf. »Tut mir leid, Katsumata, aber das ist mir denn doch zu hoch.«

      Der junge Mann lachte. »Du solltest dein bezauberndes Köpfchen auch gar nicht so anstrengen.«

      Mit kokettem Augenaufschlag sah Ines zu ihm auf. Sie hatte schon ein paarmal gemerkt, daß Katsumata ihr sehr zugetan war, und sie hatte gegen einen kleinen Flirt auch nichts einzuwenden. Katsumata war ein äußerst gutaussehender junger Mann, und der Umstand, daß er Asiate war, reizte Ines ganz besonders. Es dauerte nicht lange, bis sich zwischen Ines und Katsumata eine heimliche Beziehung anbahnte. Heimlich deswegen, weil die Naka-shidas natürlich nichts davon erfahren sollten.

      Gerade das wurde mit der Zeit aber immer schwieriger, vor allem weil sich Katsumatas Verhältnis zu Ines allmählich änderte. Die Blicke, die er ihr zuwarf, waren nun zu begehrlich, als daß sie seiner Mutter hätten entgehen können. Und schließlich bat Hiraga Ines zu einem Gespräch unter vier Augen.

      »Ines, ich möchte, daß du dir eine andere Unterkunft suchst«, erklärte er ohne Umschweife.

      Die junge Frau war völlig perplex. »Ich verstehe nicht…«

      »Doch, ich glaube, du verstehst sehr gut«, fiel Hiraga ihr ins Wort. Unter normalen Umständen hätte er einen Gast niemals unterbrochen, denn dazu war er viel zu höf-ich.

      »Es ist… weil Katsumata und ich…«, begann Ines, dann stand sie auf. »Ich werde Ihr Haus verlassen, Herr Nakashida, aber ich weiß nicht, ob sich Katsumata davon abhalten lassen wird, sich weiterhin mit mir zu treffen.«

      Auch Hiraga erhob sich. »Er wird seinem Vater gehorchen, verlaß dich darauf.« Mit kurzen, energischen Schritten ging er zu der strenggegliederten Papierschiebetür, doch bevor er sie öffnete, drehte er sich noch einmal zu Ines um. »Du hast eine Woche Zeit, um dir eine andere Unterkunft zu suchen.«

      Ines nickte. »Danke, Herr Naka-shida.«

      Er bedachte sie mit einem letzten Blick, dann verließ er den Raum und kurz darauf auch das Haus. Wie betäubt blieb Ines zurück. Sie hatte zwar schon gehört, daß eine Beziehung, wie sie sie mit Katsumata eingegangen war, in diesem Land einem groben Mißbrauch der Gastfreundschaft gleichkam, allerdings hatte sie gedacht, daß japanische Familien inzwischen etwas moderner eingestellt wären. Doch das war zumindest bei den Nakashidas offensichtlich nicht der Fall.

      »Mein Vater hat mir verboten, dich zu sehen.«

      Ines fuhr erschrocken herum, als hinter ihr so unerwartet Katsumatas Stimme erklang.

      »Ist das, was wir getan haben, denn so schlimm?« wollte sie wissen. »Meine Güte, Katsumata, wir sind doch jung. Was ist dabei, wenn man ein bißchen Spaß zusammen hat?«

      Katsumata schüttelte den Kopf. »Die Liebe ist niemals nur ein Spaß, Ines – für uns jedenfalls nicht. Wenn ich dich nach unserem ersten gemeinsamen Ausflug damals nach Kyoto meinem Vater offiziell als meine Braut vorgestellt hätte, dann wäre alles in Ordnung gewesen.«

      Völlig fassungslos starrte Ines den jungen Mann vor sich an. »Als deine Braut?«

      Katsumata nickte. »Mein Vater ist noch sehr konservativ eingestellt. Eine Beziehung zwischen Mann und Frau ohne die Absicht zu heiraten, das ist für ihn das Verwerflichste, was es gibt. Du mußt aus diesem Grund das Haus verlassen, und ich…« Er senkte den Kopf. »Ich wurde schwer bestraft.«

      Ines hatte das Gefühl, in der Zeit um Jahrzehnte zurückversetzt worden zu sein. Konnte es eine solche Einstellung denn heute überhaupt noch geben?

      »Heißt das, ich war dein erstes Mädchen?« wollte Ines wissen.

      »Nein, natürlich nicht. Ich war ziemlich oft im Pontocho. Das ist eines der Haupt-Geisha-Viertel Kyotos«, fügte er erklärend hinzu.

      »Du hattest nie eine Freundin?« fragte Ines beinahe entsetzt. Wie konnte es so etwas im zwanzigsten Jahrhundert noch geben?

      »Meine erste Freundin muß ich heiraten«, antwortete Katsumata ernst. »Tue ich das nicht, so werde ich aus der Familie verbannt.«

      Ines erschrak. »Hat dein Vater das jetzt etwa getan? Ist das die schwere Strafe, von der du vorhin gesprochen hast?«

      »Nein«, entgegnete Katsumata. »Mein Vater hat noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen, allerdings nur, weil du kein japanisches Mädchen bist.«

      Ines schüttelte den Kopf. »Wie kannst du nur so leben, Katsumata?«

      »Ich wurde so erzogen«, erklärte er schlicht. »Sollte ich aber jemals eigene Kinder haben, dann werde ich offener… freier denken. Eine Liebe muß langsam wachsen. Man kann nicht nach einem Beisammensein wissen, ob man die Frau fürs Leben gefunden hat.« Für einen Augenblick berührte er ihren Arm. »Du wärst es vielleicht gewesen,

      Ines.«

      »Nein, Katsumata. Ich werde nach Deutschland zurückkehren.« Sie sah sich in dem karg eingerichteten Raum um. »Hier könnte ich auf Dauer nicht leben. Für ein paar Monate war es sehr interessant, aber für ein ganzes Leben…« Sie schüttelte den Kopf. »Ich will nicht heiraten, Kinder bekommen und den Haushalt führen – zumindest jetzt noch nicht. Ich habe Japanisch gelernt, um als Dolmetscherin zu arbeiten… ich will auf der Karriereleiter nach oben steigen, so weit es geht. Für ein Hausfrauendasein, wie deine Mutter es führt, ist in meinem Leben kein Platz.«

      Katsumata nickte. »Du wirst dir also keine neue Unterkunft suchen, sondern gleich abreisen?«

      »Ja, wahrscheinlich. In den vier Monaten, die ich jetzt hier war, habe ich viel gelernt.«

      Wieder nickte Katsumata, dann drehte


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