Dr. Daniel Staffel 5 – Arztroman. Marie Francoise
sie besorgt.
»Nichts von Bedeutung«, wehrte er ab. »Ein leichter Schwindelanfall. Sicher vom Streß in der Universität. Das haben im Moment mehrere von meinen Freunden. Es wird schon wieder vergehen.«
»Vielleicht solltest du zum Arzt gehen«, riet Ines, während sie ihn noch immer festhielt.
Im nächsten Moment riß Katsumata sie in seine Arme, beugte sich über sie und küßte sie voller Leidenschaft.
»Katsumata, nein«, murmelte
Ines, doch ihr Widerstand war nicht sehr stark. Zu groß war die Versuchung, sich noch ein letztes Mal von Katsumatas Glut mitreißen zu lassen, und der Nervenkitzel war um so größer, weil es diesmal im Haus seiner Eltern geschah. Doch auf einmal ging in Katsumata eine Veränderung vor. Er wich zurück, und
Ines sah, wie er wieder taumelte, dann begann er plötzlich zu keuchen, und der Schweiß brach ihm aus. Von einer Minute auf die andere begann sein ganzer Körper wie im Fieber zu glühen.
»O mein Gott!« stieß Ines erschrocken hervor. »Was ist mit dir?«
»Geh!« stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Es ist nichts! In einer halben Stunde ist alles vorbei.«
Ines zögerte. Sie hatte das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen.
»Soll ich nicht lieber einen Arzt holen, Katsumata?«
Heftig schüttelte er den Kopf. »Nicht nötig. Geh jetzt.«
Ines wandte sich zu der Papierschiebetür und öffnete sie, doch bevor sie den Raum verließ, blickte sie noch einmal zurück. Katsumata hatte sich auf einer der Tatami-Matten, mit denen das ganze Haus ausgelegt war, zusammengerollt. Sein ganzer Körper bebte wie im Schüttelfrost, und Ines fragte sich, ob es wirklich richtig sei, den jungen Mann in diesem Zustand allein zu lassen. Aber er hatte es ja ausdrücklich so gewollt.
Leise ging sie hinaus und schob die Tür hinter sich zu. Das ganze Haus wirkte leer – wie ausgestorben, und Ines hegte den Verdacht, daß man abwarten wollte, bis sie das Haus verlassen hatte.
»Na schön, das können sie haben«, murmelte sie und begann ihre Koffer zu packen. Sie war gerade damit fertig, als Katsumata zu ihr trat. Er lächelte sie an, und dabei hätte niemand vermuten können, daß er noch eine halbe Stunde zuvor von einem heftigen Fieberanfall geschüttelt worden war.
»Was war das, Katsumata?« wollte Ines beklommen wissen.
Er zuckte die Schultern. »Nichts von Bedeutung. Die Anforderungen an der Universität sind sehr hoch. Zur Zeit leiden viele von uns an solchen Fieberattacken, aber es geht immer schnell vorbei.«
»Es ist beängstigend«, meinte
Ines, dann berührte sie sein Gesicht, das noch immer ein wenig heiß war. »Versprich mir, daß du zu einem Arzt gehst.«
Katsumata lächelte wieder. »Es ist sicher unnötig, aber wenn es dich beruhig, gebe ich dir dieses Versprechen. Gleich morgen früh lasse ich mich untersuchen.«
Ines ergriff ihre Koffer. »Leb wohl, Katsumata.«
Er beugte sich zu ihr und küßte sie sanft. »Sayonara.«
Mit langsamen Schritten verließ sie das Haus, dann blickte sie noch einmal zurück. Katsumata stand an der Tür und sah ihr nach. Sie wußten beide, daß sie sich nie wieder begegnen würden, und diese Gewißheit ließ eine leise Wehmut in Ines’ Herz ziehen. Auf eine bestimmte Weise hatte sie Katsumata eben doch geliebt – wenn diese Liebe auch nicht für ein ganzes Leben gereicht hätte.
*
Die Heimreise wurde für Ines zu einer wahren Tortur. Der lange Flug, die schier endlosen Wartezeiten an den Flughäfen und die Zeitumstellung machten ihr arg zu schaffen. Dazu kamen die Kopfschmerzen, die sie jetzt plötzlich plagten und die immer unerträglicher wurden.
Völlig erschöpft kam sie schließlich zu Hause an und ließ sich auf ihr Bett fallen. Minuten später war sie fest eingeschlafen. Als sie erwachte, war es draußen dunkel. Sie wollte aufstehen, weil sie so entsetzlich durstig war, doch der hämmernde Schmerz in ihrem Kopf hinderte sie daran, sich auch nur zu bewegen. Wieder schloß sie die Augen, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Das Pochen in ihrem Kopf und das Brennen in ihrer Kehle hielt sie wach.
Als der Morgen graute, ließen die Schmerzen endlich nach und verschwanden schließlich ganz. Ein wenig mühsam erhob sie sich, ging langsam in die Küche hinüber und ließ Wasser in ein Glas laufen, dann trank sie durstig drei Gläser hintereinander leer.
»Ines.«
Die überrascht klingende Stimme ließ sie herumfahren. Dann lächelte sie den jungen Mann vor sich an.
»Hallo, Manfred. Überraschung gelungen?« fragte sie.
Manfred Klein nickte. »Das kann man wohl sagen. Ich wollte hier in der Wohnung eigentlich nur nach dem Rechten sehen.« Jetzt lächelte auch er und nahm seine Freundin zärtlich in die Arme. »Schön, daß du wieder da bist.«
Ines lehnte sich an ihn. »Ich bin auch froh, wieder zu Hause zu sein, obwohl Japan ein sehr interessantes Land ist.«
»Dann hat dich also die Sehnsucht nach Steinhausen wieder heimgetrieben«, vermutete Manfred, und sie hörte die leise Enttäuschung aus seiner Stimme heraus. Er hatte nämlich gehofft, Ines wäre seinetwegen schon nach vier Monaten zurückgekehrt.
»Nicht ganz«, entgegnete sie. »Es hat eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen meinem Gastgeber und mir gegeben.« Sie zögerte einen Moment und überlegte, ob sie Manfred die Wahrheit gestehen solle, entschied sich dann aber dagegen. Sie wollte ihn mit der Affäre, die sie mit Katsumata gehabt hatte, nicht verletzen. Daß es weit mehr als nur eine kleine Affäre gewesen war, wollte sie noch nicht wahrhaben.
»Und nach mir hattest du gar keine Sehnsucht?« fragte Manfred, und Ines hörte die Hoffnung aus seiner Stimme heraus.
»Doch«, antwortete sie, obwohl es eigentlich nicht der Wahrheit entsprach. Die vier Monate in Japan hatten ihr gezeigt, daß ihre Liebe zu Manfred tatsächlich abgekühlt war. Während der ganzen Zeit hatte sie nur sehr selten an ihn gedacht, und wenn, dann waren ihre Gedanken nicht von Sehnsucht geprägt gewesen.
Manfred spürte, daß Ines nicht die Wahrheit gesagt hatte und daß seine Beziehung zu ihr nun wirklich kurz vor dem Ende stand, doch er war nicht bereit, dies zu akzeptieren.
»Ich liebe dich«, raunte er der jungen Frau ins Ohr, dann küßte er sie.
Ines spürte seine Leidenschaft, doch sie wich vor ihm zurück.
»Nein, Manfred, nicht jetzt«, bat sie. »Ich bin schrecklich müde von der Reise.«
Liebevoll sah er sie an. »Dann schlaf dich aus, Ines. Ich komme heute abend wieder. Wir könnten essen gehen und anschließend…« Er lächelte. »Na, uns wird schon was einfallen, nicht wahr?«
Ines nickte nur. Sie hätte am liebsten jetzt gleich Schluß gemacht, doch das konnte sie Manfred nicht antun. Er hatte sich während ihrer Abwesenheit um die Wohnung gekümmert, und sie spürte, wie sehr er hoffte, daß sich ihre Beziehung wieder bessern würde.
Auf ein paar Monate mehr oder weniger kommt es nicht an, dachte Ines. Er wird bald merken, daß auch von ihm aus keine Liebe mehr da ist, sondern nur noch ein Festklammern an gewissen Gewohnheiten.
*
In der Praxis von Dr. Daniel war mal wieder die Hölle los. Die Patientinnen gaben sich buchstäblich die Türklinke in die Hand, und die junge Empfangsdame Gabi Meindl war einem Nervenzusammenbruch nahe.
»In einer halben Stunde will der Chef seine Briefe und Rechnungen unterschreiben, und ich habe noch keine einzige Rechnung fertig, weil ich nur damit beschäftigt bin, die diversen angemeldeten und unangemeldeten Damen hereinzulassen, Karteikarten herzurichten und endlose Telefongespräche zu führen«, beklagte sie sich bei der Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau.
Sarina seufzte. »Heute ist es wirklich schlimm. Aber daß