Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon

Mami Staffel 8 – Familienroman - Lisa Simon


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Wie erwartungsvoll, ja gläubig ihn die braunen Augen ansahen.

      »Nee. Doch, warte mal«, ein Finger wurde gegen die Stupsnase gedrückt, als ließe es sich so besser denken. »Irgendwer hat mal was davon erzählt. Aber ich hab’s vergessen. Erzähl du es mir.« Die Kleine lächelte ihn treuherzig an, ließ sich einfach auf den Sand fallen, hockte da im Schneidersitz und sah zu ihm auf. Nicht eine Spur Scheu oder Zurückhaltung legte die Kleine an den Tag, sie sprach mit ihm, als wären sie längst vertraut.

      »Ebbe und Flut nennt man auch Gezeiten, oder Tiden«, erklärte er dem Kind und merkte gar nicht, daß er mit dem Mädchen sprach, als wäre es erwachsen. »Infolge der Anziehungskraft von Mond und Sonne, verursacht durch rhythmische Schwankungen des Meeresspiegels, der Atmosphäre und der festen Erdoberfläche mit einer Periode von 12 bis 13 Sonnenstunden. Die Gezeiten werden in den Pegeln beobachtet…«

      »Ich verstehe nur Bahnhof«, unterbrach ihn Lea. Sie hatte die Kinderstirn gekraust und schüttelte ein über das andere Mal den Kopf. »Ich bin bestimmt nicht schwer von Begriff, aber das kapier ich nicht. Nicht mal die Hälfte.«

      Er stutzte und lachte dann reuevoll.

      »Du hast recht. Wie solltest du das auch verstehen? Du bist hier an der Nordssee, hier sind Ebbe und Flut sehr stark. Bei Ebbe geht das Wasser zurück, bei Flut kommt es. Es ist nie ratsam, bei Ebbe ins Wasser zu gehen«, glaubte er noch mahnend sagen zu müssen. »Und was haben der Mond und die Sonne damit zu tun? Das kapier ich nicht. Mond und Sonne sind doch am Himmel und das Meer ist auf der Erde.«

      »Das eben ist die Anziehungskraft des Mondes. Bei der Bildung der Gezeiten überwiegt die Anziehungskraft des Mondes. Das ersieht man aus der regelmäßigen Wiederkehr der Gezeiten innerhalb von 24 Stunden und 50 Minuten. Der Einfluß der Sonne macht sich vorwiegend in dem Gezeitenhub bemerkbar.«

      »Hör auf«, die Kleine hielt sich kopfschüttelnd die Ohren zu. »Ich kapiere es einfach nicht. Aber wenn du es sagst, wird es schon stimmen. Das beste ist, ich frag Susanne heute abend. Wenn Susanne was erklärt, kann es sogar unser Stöpsel verstehen, und der ist erst drei Jahre alt. Du machst ein Gesicht, als wenn du sauer bist. Das darfst du nicht. Vielleicht hast du keine Kinder, dann kannst du natürlich auch nicht so sprechen, daß man es kapiert. Wenn man nur mit Erwachsenen zusammen ist, spricht man ganz anders, das ist ja klar.«

      Es war zu drollig, wie die Kleine versuchte, ihn zu trösten. »Wichtig ist ja eigentlich nur, daß das Wasser wiederkommt, wenn es wegläuft.«

      Mit gekraustem Näschen starrte das Kind auf das Meer. Die Wellen hatten lustige kleine Schaumkrönchen, sie trugen ein Brett heran. Immer wenn Lea glaubte, jetzt würde es an den Strand gespült, nahmen sie es wieder mit sich.

      »Die Wellen spielen mit dem Brett wie eine Katze mit einer Maus«, rief das Kind und schüttelte die blonden Haare, die naß und strähnig das Gesicht umtanzten. »Bei dem Wasser sieht das lustig aus, wenn eine Katze das macht, finde ich es grauselig.«

      »Ich auch«, nickte der Mann und studierte das Kind, als wollte er es zeichnen. Bisher war er selten mit Kindern zusammen gekommen. Er fand sie laut und lästig, unberechenbar, und man ging ihnen besser aus dem Weg. Aber dieses Kind interessierte ihn einfach. Wahrscheinlich war es in einem kritischen Moment in sein Leben gehüpft.

      »Jetzt ist also Flut, weil das Wasser kommt«, überlegte Lea und bohrte die nacken Zehen in den steinigen Sand. »Jetzt kann ich also keine Würmer finden. Da muß ich warten, bis Ebbe ist.«

      »Du hast es ja doch verstanden«, freute Jo sich und lachte auf das Kind hinunter. Lea grinste, zog den Mund auseinander, daß er noch eine weitere Zahnlücke sehen konnte.

      »Toll. Na, die werden gleich staunen, wenn ich den anderen einen Vortrag halte. Mensch, denen werden die Augen aus dem Kopf fallen.«

      Jo kam sehr unsanft in die Wirklichkeit zurück.

      »Du wohnst in dem Ferienhaus oben am Weg?«

      »Klar, da wohnen wir seit heute. Ich und meine Geschwister und Susanne.«

      Sein Interesse für das Kind hatte einen argen Dämpfer bekommen. »Nennst du deine Mutter Susanne? Sie ist doch deine Mutter, oder seid ihr ohne Mutter hier?«

      Das Kind zögerte nur einen Augenblick.

      »Nee, nee. Wir sagen Susanne zu ihr. Du glaubst doch nicht, daß Kinder allein ein Ferienhaus mieten könnten. Nee, das geht nicht. Wenn du willst, kannst du ja mitkommen. Wir sind fünf und mit Susanne sechs. Das Haus ist nur klein, aber wir finden es super. Wir werden bestimmt viel Spaß haben, das kannst du mir glauben. Susanne hat versprochen, daß wir abends grillen, und der Bauer hat uns erlaubt, ein Feuer in dem Gärtchen zu machen, das werden wir tun und dann singen wir und Susanne spielt auf ihrer Laute. O Mensch, ich könnte platzen, so freu ich mich. Und du, wohnst du im Dorf? Das Dorf ist ja ganz hübsch, aber es ist viel zu weit vom Wasser entfernt, da könnten wir ja nie allein zum Meer hinkommen.«

      Warum fiel es ihm denn so lächerlich schwer, auf diese normale Fragen zu antworten? Er brauchte doch keine Angst zu haben, daß die Kinder zu ihm kamen, der Bauer würde schon dafür sorgen, daß man Abstand hielt und ihn nicht belästigte.

      »Ich wohne nicht im Dorf. Da ist es mir viel zu eng und viel zu laut. Ich wohne eurem Häuschen direkt gegenüber.«

      Weiter kam er nicht. Die Kinderaugen strahlten ihn an. Goldene Pünktchen glitzerten darin.

      »Wirklich? Das ist ja super. Wir haben das Haus gesehen, es sieht genauso drollig aus wie unser Haus. Nur hast du grüne Fensterläden und wir blaue. O Mann, das ist wirklich Spitze. Dann können wir uns ja immerzu besuchen, und wenn Susanne was extra Gutes gekocht hat, dann winken wir dich einfach rüber. Ich kann laut schreien, du hörst das bestimmt.«

      Darauf legte er nun wirklich nicht den geringsten Wert.

      »Weißt du, Lea, ich habe wenig Zeit«, erklärte er behutsam. Das Kind hatte eine Art, ihn anzublicken! »Ich schreibe an einem Buch, und da brauche ich sehr viel Ruhe.«

      Die Kinderaugen staunten ihn ehrfürchtig an. »Wird es ein dickes Buch? Mensch, das ist ja, das ist ja wahnsinnig. Ein richtiges Buch! Dann bist du wohl ein Dichter? Aber Dichter sind doch auch Menschen und müssen essen und sich mal ausruhen.«

      »Natürlich. Aber in erster Linie brauchen sie Ruhe. Und ich esse, wenn ich Hunger habe, und halte mich nicht an eine Zeit.«

      »Aber das ist sehr ungesund«, mahnte ihn das Kind. »Vielleicht rauchst du sogar.« Die braunen Augen musterten ihn altklug.

      »Nur Pfeife. Aber meistens kaue ich auf dem kalten Pfeifenstiel herum.«

      *

      »Lea, wo bleibst du denn? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«

      Sofort sprang das Kind auf die Füße und rief schuldbewußt: »Sei nicht sauer, Susanne. Ich hab einfach die Zeit vergessen.«

      Jonathan drehte den Kopf, und vor Staunen vergaß er, den Mund zu schließen. Das sollte eine Mutter von fünf Kindern sein? Unmöglich. Dieses Wesen war gertenschlank, hochgewachsen und wirkte mit ihren blonden Haaren, die bis zu ihrer Schulter reichten, wie ein junges Mädchen.

      Blaue Augen, so blau wie der Himmel, musterten ihn abwartend. Jonathan erinnerte sich an seine gute Manieren und erhob sich langsam, wie in Zeitlupe.

      »Das ist der Mann, der unserem Haus gegenüber wohnt«, sprudelte Lea hervor, sie lief auf Susanne zu, umklammerte ihre Hand und strahlte sie an. »Ist das nicht toll? Weißt du, daß er ein Dichter ist? Einer, der ein dickes Buch schreibt.«

      Jonathan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, es blitzte in seinen Augen, als er zu Susanne hinübersah. Natürlich war sie nicht die Mutter der fünf Kinder, vermutlich hatte er Lea falsch verstanden.

      »Nolde«, stellte er sich vor und senkte eine Winzigkeit den Kopf.

      »Jetzt muß du auch deinen Namen sagen, Susanne. Nein, das mach’ ich für dich. Sie heißt Susanne Schöne, wie wir auch, weil sie ja unsere Mutter ist.«

      Susanne


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