Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von Buchner

Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman - Friederike von Buchner


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kann niemand helfen, jedenfalls kein Mensch. Nur der Himmel kann den Sturkopf zur Vernunft bringen. Und ich hoffe, des geschieht bald. Aber wundern tut es mich net, es steht ein schwarze Wolke über dem ›Höllentor‹. Das verheißt nix Gutes!«

      »Da ist keine schwarze Wolke über dem ›Höllentor‹.«

      Lotti blickte über das Tal zur anderen Seite. Sie stand auf und ging zum Geländer, als würden die wenigen Meter ihre Sicht verbessern.

      »Tatsächlich! Die Wolke ist verschwunden. Heute Morgen war sie noch zu sehen.«

      Sascha stellte sich neben sie.

      »Des ist doch ein gutes Zeichen!«

      Lotti seufzte tief.

      »Ja, das ist wirklich ein sehr gutes Zeichen. Ich will nicht pessimistisch sein, aber mein Kummer verfliegt net so schnell wie die Wolke.«

      »Willst drüber reden? Es bleibt auch unter uns. Du weißt, dass ich diskret bin.«

      Lotti nickte. Sie schwieg eine Weile. Dann sagte sie leise:

      »Sascha, es geht mir so nah. Es hat mich so getroffen.«

      Lotti strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. Sascha sah, dass ihre Hand zitterte.

      »Ist dir kalt?«, fragte er.

      »Nein! Das Zittern kommt von der Wut! Ich bin so sauer, Sascha. Ich bin so enttäuscht. Es hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Wie kann ein Mensch, der einem so nahe steht, einen so enttäuschen?«

      »Du sprichst von deinem Burschen?«

      Sascha nutzte die Gelegenheit, Lotti auszufragen.

      »Schmarrn! Ich habe doch keinen Burschen.«

      »Oh, dann habe ich ja noch Chancen?« rutschte es Sascha heraus.

      Er errötete dabei. Verlegen schaute er unter sich.

      Lotti nahm Saschas Hand.

      »Sascha, wenn einer eine Chance hat, dann bist du es.«

      »Wirklich?«

      Sascha schlang seinen anderen Arm um Lotti und hielt sie fest. Sie klammerte sich an ihn.

      »Halte mich fest, Sascha! Meine Welt liegt in Scherben!«

      »Ruhig, ganz ruhig, Lotti! Was zerbrochen ist, lässt sich auch wieder kleben.«

      Lotti hob den Kopf und sah ihn an.

      »Du hast schon einmal etwas für mich geklebt. Erinnerst du dich?«

      »Sicher! Du hattest die alte Porzellanpuppe deiner Mutter mit in unseren Unterstand in den Wald gebracht. Auf dem Weg dorthin bist du gestolpert. Du hast dich sehr verletzt. Mit blutenden Knien und einer Beule am Kopf bist du angekommen. Du wolltest die Puppe nicht loslassen. Doch deine Fürsorge war umsonst. Die Puppe hatte am Hinterkopf ein Loch. Ein Teil ihres Schädels unter dem Haar war zerbrochen.«

      »Ja, ich erinnere mich. Du bist zu euch nach Hause gelaufen. Du hast Klebstoff für die Puppe geholt und Verbandszeug für mich.«

      »Ich wollte zuerst deine Schrammen und Wunden versorgen, aber du wolltest, dass wir zuerst die Puppe kleben.«

      »Darüber hatten wir fast einen ernsthaften Streit.«

      »Richtig, Lotti! Weißt du, wie es weiterging?«

      »Sascha, das werde ich nie vergessen. Du sagtest, dass ich wertvoller sei als diese alberne Puppe. Ich wurde wütend und wollte fortlaufen. Du hast mich festgehalten und mir einen Kuss auf die Wange gegeben.«

      »Ja, so war es! Dann bist du geblieben. Ich habe deine Wunden gesäubert und verbunden.«

      »Ja, das hast du – und du hast es sehr gut gemacht. Und anschließend haben wir, das heißt, im Grunde bist du es gewesen, du hast die Puppe geklebt. Ich habe sie nur festgehalten.«

      »Hat deine Mutter die Beschädigung bemerkt?«

      »Nein, ich glaube, sie hat es bis auf den heutigen Tag nicht bemerkt. Die Bruchstelle ist unter den Haaren. Die Puppe hat eine Spitzenhaube auf dem Kopf.«

      »Ich erinnere mich genau. Dann haben wir Hochzeit gespielt. Zwei deiner Puppen waren das Brautpaar. Die Puppe mit dem Porzellankopf und der Spitzenhaube war die Braut.«

      Sascha hielt Lotti immer noch fest.

      »Es war einer der letzten Tage unbeschwerten Spielens im Unterstand, in unserem Häusel. Du bist dann kaum noch gekommen, und wenn du gekommen bist, dann bist du nicht lange geblieben.«

      »Du hattest mich geküsst. Ich hatte Angst, du könntest es wieder tun.«

      »War es dir so unangenehm?«

      Lotti sah ihm in die Augen.

      »Dass es unangenehm war, daran kann ich mich nicht erinnern. Aber die Gefühle, die es in mir ausgelöst hatte, damit kam ich nicht klar. Heute würde ich sagen, unsere unbeschwerte Kindheit war zu Ende.«

      »Ja, das war sie! Es ist eine schwierige Zeit für alle Kinder, denke ich. Die Zeit ist nicht einfach, in der man noch halb Kind ist auf der einen Seite und auf der anderen Seite schon erwachsen oder man geht diesem Zustand zumindest mit großen Schritten entgegen, Lotti.«

      Sie schaute ihn an.

      »War es sehr schlimm für dich, dass ich mich so rar gemacht habe?«

      »Ja, es war sehr, sehr schlimm für mich. Es war eine neue Erfahrung für mich. Ich hatte gehofft, mit dem Kuss … dich zu gewinnen. Stattdessen hatte ich dich verloren. Ich habe gelernt, dass ein Kuss nicht immer die Wirkung zeigt, den ich mir vorgestellt hatte, dass ein Kuss auch das Gegenteil bewirken konnte. Ich dachte, wenn ein Bursche ein Madl küsst, dann küsst das zurück. So hatte ich es im Film gesehen.«

      Sie sahen sich in die Augen.

      »Sascha, es tut mir leid, dass du damals zu dieser Schlussfolgerung gekommen bist. Hoffentlich … hast du keine bleibenden Schäden für dein Leben genommen, oder? Ich hoffe, dass sich deine nächsten Küsse anders auswirken. Sicherlich hast du inzwischen andere Erfahrungen gemacht.«

      Sascha schaute Lotti tief in die Augen. Was für wunderbare tiefdunkelbraune Augen sie hat, dachte er. Was für wunderbare rehbraune Augen er hat, dachte Lotti, Augen voller Wärme und Liebe.

      »Lotti, du kannst es glauben. Ich habe keine weiteren Erfahrungen gemacht. Nicht, weil sich mir keine Gelegenheiten boten. Ich wollte es nicht.«

      Lotti spürte, wie ihr Herz klopfte. Es hämmerte wild, als sie weiter seiner Stimme lauschte.

      »Ich verglich alle Madln, die ich sah, mit dir. Keine war so wie du, keine konnte dir das Wasser reichen. Keine entfachte solche Gefühle in mir wie du.«

      Lotti schaute ihn an. Sie brauchte einen Augenblick. Sie musste die Worte erst ganz verstehen. Zur Sicherheit fragte sie:

      »Willst du damit sagen, das war damals dein erster und bis zum heutigen Tag dein einziger Kuss, den du einem Madl gegeben hast?«

      Sascha nickte.

      »Das ist über fünfzehn Jahre her!«

      »Ja, das kann hinkommen! Ungewöhnlich, denkst du?«

      »Nein!« Lotti errötete. »Ich verstehe dich gut! Ich habe mich immer gefragt, warum sich die Burschen für alle Madln um mich herum interessieren, nur nicht für mich. Jetzt weiß ich es!«

      »Du hast auch keine weiteren Erfahrungen gemacht?«

      Lotti errötete und schüttelte den Kopf.

      »Ich wollte, das wird mir in diesem Augenblick klar, ich wollte mit keinem anderen Burschen Erfahrungen machen. Wahrscheinlich … sandte ich unbewusste Signale aus. Signale die sagten, stopp, komme mir nicht näher.«

      »So wird es gewesen sein!«

      Sie sahen sich an. Lotti


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