Melancholie. László F. Földenyi

Melancholie - László F. Földenyi


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aber wurde sie in ihrer wahren Form erst viel später, im Mittelalter ausformuliert. Die vier Temperamente – das cholerische, sanguinische, das phlegmatische und das melancholische – reichen in ihrer Grundlage selbstverständlich in die Antike zurück, und ihre Tiefe wird von der für die Antike bezeichnenden kosmischen Anschauung durchzogen. Die über die vier Säfte handelnde Lehre ist empirisch (Alkmaion, Hippokrates), aber noch nicht eindeutig an die Temperamente gebunden. Jeder Saft hat nämlich seine eigene Jahreszeit, was zum Beispiel bedeutet, dass derjenige, der am Überschwang der schwarzen Galle leidet, wenn der Herbst hereinbricht, völlig symptomfrei ist, doch zur Zeit der anderen drei Jahreszeiten erkrankt. Entsprechendes gilt für diejenigen, die am Überschwang des Blutes leiden, die sind nämlich im Frühjahr gesund (gelbe Galle – Sommer; Schleim – Winter). Diese Theorie hat zur Konsequenz, dass ein Saft sowohl Krankheit als auch eine bestimmte Konstitution – aber keinen normalen Seinszustand bedeuten kann: Derjenige, der das ganze Jahr über gesund ist und daher an keinem Überschwang des einen oder anderen Saftes leidet, das heißt nicht krank ist, der hat kein Temperament. Aber ist er ohne Temperament eigentlich ein Mensch? Im Grunde der empirischen Humoraltheorie ist aber auch eine andersgeartete Anschauung gegenwärtig, die an die Zahl Vier anknüpft. Die Auszeichnung der heiligen Zahl der Pythagoräer, der Zahl Vier, ist an den Namen Empedokles gebunden. Er benennt zuerst die vier Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Luft) der Welt und macht die Zahl Vier zum Grundprinzip des Kosmos. Dieses wirkt bestimmend auf alles und so auch auf den Menschen, auf seinen Körper und seine Seele gleichermaßen. Empedokles ist es, der zuerst über die vier Arten der seelischen Zustände (habitus) spricht, die seiner Meinung nach eine Folge der Vermengung dieser vier Elemente ist. Zwei Schulen erscheinen vor uns: die auf der Basis der Humoraltheorie ruhende empirische Schule (Hippokrates), die von der physikalischen Realität des Körpers und der Konstitution ausgehend mit dem Begriff (κρᾶσις) zur kosmischen Anschauung gelangt, sowie die Schule kosmischer Anschauung (Empedokles), die von der Untersuchung des Kosmos und des Universums ausgehend zur Wirklichkeit des menschlichen Körpers gelangt. Die beiden Schulen unterscheiden sich in ihren Methoden, stimmen aber darin überein, dass sie den Menschen mit seiner Seele und seinem Körper als Teil des Kosmos sehen, und die Heilung halten sie für untrennbar von jenem Vorgang, der den kranken Menschen in Einklang mit dem Universum bringt. So gelangen die vier empirisch nachweisbaren Säfte zu kosmischer Bedeutung, die den Kosmos auszeichnende, immaterielle Zahl Vier aber zu körperlicher Wahrheit – die naheliegende Verbindung dieser zwei Anschauungen erfolgt dann in der Abhandlung Über die Natur und den Menschen, deren Verfasser wahrscheinlich Hippokrates, vielleicht auch dessen Schwiegersohn Polybos war.


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