DAS VERGESSENE TAL. William Meikle
aller dummen Ideen gewesen.
***
Oben in der Hütte zeigte sich, wie recht er gehabt hatte, denn anstatt zuerst einen Kaffee zu trinken, nahmen die beiden Männer auf zwei der Holzklötze am Ofen Platz und streiften hastig mit spitzen Fingern ihre Schuhe ab. Der kleinere, dickere der beiden, der sich als Mike vorgestellt hatte, hielt wenig später seine linke Socke in der Hand, die mit Blut getränkt war, das aus einer aufgeplatzten Blase an der Ferse quoll.
Eine Blase, von der Größe eines Spatzen-Eis, zierte die Außenseite des rechten großen Zehs des anderen, der Erik hieß. Auch diese würde garantiert bald ihren Inhalt freigeben.
Gus warf ihnen mitleidslos eine Packung Heftpflaster zu. »Verarzten Sie sich so gut, wie Sie können, denn wir haben noch eine lange Strecke vor uns, wenn wir zu unserem Ziel wollen. Das hier war der lockere Teil, morgen lernten Sie die richtigen Berge kennen.«
Die beiden Stadtmenschen stöhnten im Chor auf, verkniffen sich aber sämtliche Beschwerden, während sie ihre Füße zupflasterten.
Danny drückte jedem von ihnen einen Becher Kaffee in die Hand. Die Frau schenkte ihm zum Dank ein schmales Lächeln, dann begutachtete sie kritisch die Pritschen an den Wänden.
»Nicht viel Privatsphäre, fürchte ich«, sagte Danny entschuldigend. »Wird ein wenig rau heute Nacht.«
»Kein Problem«, erwiderte sie. »Ich bin nicht empfindlich.«
Sie lächelte Danny erneut zu, dieses Mal etwas breiter. Als sie zum Ofen ging, um sich selbst einen Kaffee einzugießen, begann er langsam zu glauben, dass sich dieser Auftrag zum Babysitten durchaus positiv entwickeln könnte.
Jess
Jess nahm ihren Kaffeebecher mit auf die Veranda, um dort das Panorama genießen zu können. Doch Noble lungerte bereits draußen herum.
»Wie weit ist es noch?«, fragte sie ihn.
»Noch gut zehn Meilen, schätze ich. Unser Bergführer hat behauptet, dass es zwei Tage dauern wird. Also werden wir morgen um diese Zeit wahrscheinlich irgendwo dort oben zelten müssen.«
»Hast du ihn schon über unser genaues Ziel aufgeklärt?«
»Nicht im Detail. Nur, dass wir das Tal der träumenden Indianer besichtigen möchten.«
»Und was hat er dazu gesagt?«
»Er hat gelacht und erwidert, dass es dieses nur im Märchen gäbe.«
»Er könnte recht haben.«
»Dem würde ich zustimmen, wenn wir nicht diesen Reisebericht und die genaue Ortsangabe darin hätten.«
»Letztere beruht aber auch eher auf Mikes Vermutungen.«
»Du kennst Mike doch. Seine Vermutungen sind immer so nah an der Wirklichkeit, dass kein Blatt Papier mehr dazwischen passt. Es ist dort oben. Ich habe es im Urin.«
»Ich hoffe es, denn wenn wir ohne Ergebnisse heimkommen, wird dir Hitchins wegen der Kostenabrechnung die Eier abschneiden.«
»Es ist dort oben«, wiederholte Noble flüsternd.
***
So lautete Nobles Mantra schon seit Wochen … seit Mike mit dem Reisebericht aufgetaucht war und ihnen erklärt hatte, worum es sich dabei seiner Meinung nach handelte. Jess hatte diesen speziellen Tag noch vollkommen klar im Gedächtnis, an dem gewaltige Hoffnungen und Träume geboren worden waren und mit ihnen auch das Unternehmen, das die vier zu dieser abgeschiedenen Berghütte gelockt hatte.
»Wir haben es hier mit dem detaillierten Reisebericht einer Gruppe von Minensuchern aus dem achtzehnten Jahrhundert zu tun«, hatte Mike ihnen offenbart, als sie zusammen an einem Tisch im leeren Gemeinschaftsraum der Firma gesessen hatten. Dann hatte er ein zerfleddertes, ledergebundenes Buch in ihre Mitte gelegt. »Ich war unten im Firmenarchiv und habe Nachforschungen über Mineralienfunde in den Rockies angestellt. In der Gegend um Banff, um genau zu sein. Ich habe den Bericht dabei zwischen zwei Schachteln voller Gesteinsproben gefunden. Anscheinend hat sich schon seit Ewigkeiten niemand mehr für diese Proben und Unterlagen interessiert, so verstaubt, wie sie waren.«
»Und wieso bist du deswegen so aufgeregt?«, fragte Noble genervt. »Als wäre es eine verdammte Schatzkarte.«
»Im Prinzip stimmt das sogar. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich auf das eigentlich Wichtige gestoßen bin. Es handelt sich dabei um ein Tagebuch, vollgestopft mit langweiligen Einzelheiten, aber es gelang mir, genug Fakten daraus zu ermitteln, um eine Landkarte zeichnen zu können.«
»Schön für dich«, sagte Noble in einem sarkastischen Tonfall. »Kannst du vielleicht endlich mal auf den Punkt kommen? Ich habe nämlich gleich einen Termin beim Big Boss.«
»Ja, ja, ist schon gut«, murmelte Mike enttäuscht. »Die beschriebene Expedition ist damals gescheitert und es gab nur einen einzigen Überlebenden. Bevor dieser entkommen ist, haben sie allerdings das Gesuchte gefunden … eine leicht abbaubare Goldader in einem Höhental, nordwestlich von Jasper. Falls das wahr ist, was hier steht, werden wir schon bald sehr, sehr reich werden.«
Nobles Unerschütterlichkeit schwand plötzlich, und sie brachten die folgende Stunde nun mit Diskussionen über den Bericht und Mikes Schlussfolgerungen daraus zu. Keiner von ihnen konnte einen Fehler in dessen Ausführungen erkennen und besonders Noble wurde daraufhin von Minute zu Minute enthusiastischer.
Nach dieser schicksalhaften Zusammenkunft debattierten und stritten sie sich wochenlang über die beste Vorgehensweise und fassten schließlich einen Plan. Noble schaffte es, den Trip als Suche nach Uranerz zu tarnen, sodass sie ihn auf Firmenkosten unternehmen konnten. Sollten sie an der von Mike prophezeiten Stelle tatsächlich Gold finden, hatten sie vor, sofort einen Claim abzustecken und ihn auf ihre Namen registrieren zu lassen.
***
Sämtliche Vorstellungen von Glück und Reichtum, denen sie zu Hause nachgehangen hatten, wurden hier draußen in der Natur fast plastisch greifbar.
Als Jess ihren Becher geleert hatte, ging sie in die Hütte zurück, in der der Jüngere ihrer beiden Führer, Danny, gerade am Ofen damit beschäftigt war, zwei Dosen Eintopf in einen Topf zu kippen. Dabei strahlte er sie von einem Ohr zum anderen an.
Ich habe die ganzen Strapazen doch nicht auf mich genommen, um hier oben so einen Fraß zu essen, dachte sie und drehte sich zu Mike um, der dem älteren Bergführer gerade den Reisebericht zeigte.
»Ich habe es Noble schon gesagt und ich sage es jetzt auch Ihnen«, grummelte der breit gebaute Hüne. »Reiseberichte und irgendwelches altes Minensuchergarn, das Sie irgendwo aufgestöbert haben, gehen mir am Allerwertesten vorbei. Das ist doch bloß irgendein Märchen, eine Lagerfeuergeschichte, die jemand erfunden hat, um anderen Leuten einen Schrecken einzujagen. Das ist derselbe Blödsinn wie Bigfoot.«
Mike wedelte aufgeregt mit dem Bericht vor Gus Gesicht herum. »Das dachten wir am Anfang auch, aber das hier ist wirklich authentisch. Das Alter der Tinte und des Papiers stimmen haargenau überein. Außerdem habe ich die Sterbeurkunde des Verfassers in Banff aufgespürt. Es gibt sogar einen kleinen Ausschnitt aus einer zeitgenössischen Lokalzeitung, der über die drei Jäger berichtet hat, die den Verfasser halb tot herumirrend am Fuß der Berge aufgegabelt haben.«
»Na klar doch und vollkommen verrückt war er garantiert noch dazu. Unsere Gipfel hier haben manchmal einen merkwürdigen Einfluss auf die Menschen. Das habe ich schon mit eigenen Augen gesehen. Ich sage es Ihnen also gern noch einmal: Es gibt kein Tal der träumenden Indianer, denn ich kenne jeden Fleck hier oben in- und auswendig.«
Noble fischte Mike den Bericht aus den Händen und zog die Karte heraus, die die vier mithilfe verschiedener Bucheinträge angefertigt hatten. Er deutete auf einen bestimmten Punkt auf der Karte und fragte: »Wir sind doch jetzt hier? Richtig?«
Gus schob den Finger zwei Zentimeter nach links. Als er die Route, die Nobles