Star Trek - The Next Generation: Vorhandenes Licht. Dayton Ward
das Talent, die Initiative und der vortreffliche Instinkt ihrer Freundin schon ein paarmal wesentlich dazu beigetragen, Raumschiff und Besatzung aus gefährlichen Situationen herauszuholen. Dabei hatte Elfiki wie nebenbei Leben gerettet.
»Wir haben uns jede einzelne Codezeile angeschaut«, sagte Elfiki. »Alle gespeicherten Dateien. Wir haben jeden Datentransfer zurückverfolgt, und ich meine jeden, einschließlich den der Datenbänke aus der Enterprise-D. Du weißt schon, die aus dem Annex-Archiv in Aldrin City auf Luna. Aber was Data, Lal und die anderen in den Hochsicherheitsarchiven Memory Alpha und Memory Prime getan haben, war sehr effektiv: Wir haben nirgendwo auch nur eine Spur von Uräus gefunden. Man sollte meinen, ich würde jetzt besser schlafen, aber von wegen! Ich werde wahrscheinlich wochenlang von endlosen Codezeilen träumen …«
Elfiki musste sich aussprechen, und Chen ließ ihre Freundin reden. Captain Picards Befehl, die Uräus-Software restlos vom Schiffscomputer zu entfernen, war eine große Herausforderung: Das Programm war so konzipiert, dass es wie wuchernder Efeu alles umschlang. Immerhin konnten Elfiki, Commander La Forge und ihre jeweiligen Teams sich auf die detaillierten Berichte Datas stützen, der die KI besiegt hatte. Er und seine Androidentochter Lal hatten mithilfe des ehemaligen Sternenflottenarztes Julian Bashir und Sarina Douglas’, die Sektion 31 abtrünnig geworden waren, ein Heilmittel gegen die Seuche Uräus gefunden.
»Wir sind allein hier draußen«, sagte Chen, »deshalb müssen wir ganz sichergehen, dass nicht in irgendeiner Computerdatei eine Falle versteckt ist. Wenn wir unserer Ausrüstung nicht vertrauen können … Immerhin hält sie uns am Leben.«
Elfiki starrte in ihr Glas und seufzte schwer. »Ja. Wir haben bloß das Schiff … Und einander.«
Aha, dachte Chen. Jetzt kommen wir zur Sache.
»Wir hatten noch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen«, fuhr Elfiki nach einer kurzen Pause fort. »Weil wir so beschäftigt waren … Oder vielleicht haben wir uns auch bloß in unserer Arbeit vergraben.« Sie warf einen raschen Blick durch die Messe. »Guck dich mal um! Es ist, als wäre man auf einem Begräbnis.«
Ihre Freundin hatte es also auch gemerkt. Die Stimmung war gedrückt. Die Anwesenden taten ihr Bestes, um den Eindruck zu erwecken, alles sei beim Alten – mit mäßigem Erfolg. Wahrscheinlich gab es niemanden an Bord, der die Nachrichten nicht verfolgt hatte. Sektion 31, das Uräus-Programm und die geheimen Freveltaten, die seit zwei Jahrhunderten ungestraft durchgeführt wurden … Die Enthüllungsjournalistin Ozla Graniv hatte dafür gesorgt, dass jeder davon erfuhr. Allerdings gab ihre Reportage keine Antworten auf jene Fragen, die die Besatzung der Enterprise quälten.
»Man erfährt nicht jeden Tag, dass der eigene Captain dabei geholfen hat, einen Föderationspräsidenten seines Amtes zu entheben, der dann von einer Geheimorganisation ermordet wurde«, sagte Elfiki. »So was hinterlässt einen bleibenden Eindruck.«
»Wir wissen doch alle, dass er mit Zifes Ermordung nichts zu tun hatte«, sagte Chen.
Elfiki nickte. »Natürlich. Aber wir haben geglaubt, Zife sei freiwillig zurückgetreten, aus persönlichen Gründen. Du musst zugeben, es ist schon ein bisschen … verstörend zu erfahren, dass unser Captain in seinen Sturz involviert war. Klar, wenn man das große Ganze betrachtet, war es wohl die richtige Entscheidung. Aber ich hätte sie nicht treffen wollen. Und hätte mich jemand gebeten, bei der Sache zu helfen … Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte. Ich rede mir ein, ich würde in so einem Fall aus den richtigen Gründen das Richtige tun.« Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Entschuldige, Trys. Ich komme nicht besonders gut mit der Sache zurecht.«
»Das macht doch nichts.«
Die Neuigkeit, dass Captain Picard in die Min-Zife-Affäre verwickelt war, hatte sich mit Warpgeschwindigkeit verbreitet. Zuerst war die Besatzung schockiert gewesen und hatte es nicht glauben wollen. Dann hatten sich Ärger, Unsicherheit und das starke Gefühl, verraten worden zu sein, breitgemacht. Was sollte jetzt werden? Chen war unfreiwillig Zeugin mehrerer gedämpfter Gespräche geworden, in denen Crewmitglieder ihre Zweifel austauschten: War der Mann, zu dem sie aufsahen, von dem sie Führung erwarteten, ihres Vertrauens überhaupt würdig? Allerdings schienen die Offiziere, die ihrem Captain den Rücken stärkten, deutlich in der Überzahl zu sein. Sie erinnerten neuere Kameraden daran, was Picard alles getan und erreicht hatte, an die Jahrzehnte, die er nach bestem Wissen und Gewissen der Sternenflotte gedient hatte. Ob der Captain etwas von der Zerrissenheit ahnte, unter der seine Mannschaft litt, wusste Chen nicht. Wäre es ihm ein Trost zu wissen, dass es Leute gab, die versuchten, die ganze elende Geschichte in die richtige Perspektive zu rücken?
Man musste Picard zugutehalten, dass er mit jedem persönlich über die Angelegenheit gesprochen hatte, der den Wunsch danach geäußert hatte. Chen hatte sein Angebot wahrgenommen. Picard hatte müde ausgesehen. Wie sicher schon vielen anderen vor ihr hatte er ihr gestanden, dass er nicht stolz darauf war, was er getan hatte. Zifes Rücktritt zu erzwingen, hatte damals wie die beste verschiedener schlechter Alternativen gewirkt. Jede andere Marschroute hätte vermutlich die Spannungen zwischen der Föderation und dem Klingonischen Reich verstärkt, zu einer Zeit, als die Föderation sich das nicht leisten konnte. In Picards Augen gab es keine juristische Rechtfertigung dafür, einen gewählten Föderationspräsidenten ohne jedes Verfahren abzusetzen – und erst recht keine moralische Rechtfertigung für das, was hinterher geschehen war.
»Vielleicht hättest du auch mit ihm sprechen sollen, Dina«, sagte sie leise. »Dann wüsstest du, wie sehr er sich schämt. So habe ich ihn noch nie gesehen … So angreifbar. Er hat gesagt, er musste sich nach der Sache immer und immer wieder selbst davon überzeugen, dass der Schritt notwendig gewesen sei. Dass es zahllose Leben gerettet habe, Zife aus dem Amt zu drängen. Er hat gesagt, er habe jeden Tag aufs Neue versucht, irgendwie wiedergutzumachen, was er getan hat.«
»Glaubst du, er hat es jemandem erzählt?«, fragte Elfiki. »Er ist ein zurückhaltender Mensch, das ist keine Frage, aber auch er hat ja ein paar enge Freunde. Hat er Doktor Crusher ins Vertrauen gezogen? Oder Admiral Riker? Irgendjemanden?«
Chen schüttelte den Kopf. »Er sagt Nein. Und mal ehrlich, das ist nicht die Art von Geschichte, die man gerne erzählt.« Picard hatte gesagt, bevor Granivs Reportage erschienen sei, hätten nur diejenigen, die an der Sache beteiligt gewesen waren, Bescheid gewusst (und wie viel sie gewusst hatten, hätte von der Rolle abgehangen, die sie gespielt hatten). Natürlich war die Verschwörung um einiges größer gewesen, als Picard damals geglaubt hatte, so viel war Chen klar. Immerhin war Sektion 31 involviert gewesen.
»Seien wir ehrlich«, sagte sie, »so schrecklich es auch sein mag, was Zife zugestoßen ist …Wenn ich bloß darüber nachdenke, was Sektion 31 alles auf dem Kerbholz haben soll, fällt’s mir schwer, Picard nicht sofort in Schutz zu nehmen.«
»Das stimmt schon«, murmelte Elfiki. »Wir haben alle gedacht, wir würden nach unserem eigenen freien Willen leben … Aber stattdessen hat uns auf die eine oder andere Weise ein Computerprogramm kontrolliert.« Als Chen etwas erwidern wollte, hob sie rasch die Hände. »Ich weiß, ich weiß. Ist eine grobe Vereinfachung, aber denk mal drüber nach. Wie viel von dem, was wir gemacht haben – über Jahrhunderte hinweg –, haben wir bloß gemacht, weil uns dieses … dieses Ding wie Marionetten an Fäden herumgeschwenkt hat?«
»Daran glaube ich nicht.« Chen stürzte beinahe ihren ganzen Drink auf einmal hinunter. Oh, sie konnte nicht leugnen, dass Uräus die Föderationsbürger auf vielen verschiedenen Ebenen beeinflusst hatte! Trotzdem würde sie sich auf keinen Fall einreden, die KI sei allmächtig gewesen.
Sie mochte ein ausgeklügeltes System aus prädiktiven Algorithmen benutzt haben, die auf der Grundlage von Statistiken, Wahrscheinlichkeiten und Mustererkennung Vorhersagen treffen konnten. Sie mochte infolge dieser Vorhersagen Situationen und Umstände manipuliert haben, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dennoch konnte Chen nicht glauben, dass jede vollbrachte Leistung, jeder verbuchte Erfolg in den letzten zweihundert Jahren das Resultat seelenloser Vorausplanung war. Uräus’ Einfluss negierte weder die Gedanken und Gefühle noch die moralischen Entscheidungen zahlloser Lebewesen aus Fleisch und Blut. Das war es, was die Bürger der Föderation ausmachte. Chen würde es ihnen nicht absprechen.
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