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einen halben Schritt zurück, wiegte sich herausfordernd mit vorgeschobenem Unterleib auf den Zehenspitzen und entgegnete spöttisch: »Aber selbstverständlich wiederhole ich die Bezeichnung für den Kerl. Sie werden doch nicht glauben, daß ich vor einem Untier Angst habe…«

      Die Ohrfeige, die ihn traf, war nicht schwächer, als die, die der Sheriff vor Minuten hier im Crystal Palace ausgeteilt hatte.

      Jonny Ringo lehnte mit beiden Ellbogen auf der Theke. Heiß brannte der Schlag auf seiner linken Wange.

      In seinen gelblichen Augen glomm es gefährlich auf.

      Und dieser Jonny Ringo war gefährlich!

      Der Marshal wußte es genau. Mehr als ein halbes Dutzend Mal war er mit diesem Verbrecher zusammengeraten. Ringo trug nicht wenig Schuld an dem blutigen Gefecht damals im O.K.-Corral. Er war einer der Drahtzieher im Hintergrund, nicht aber einer jener Männer, die dann zum Kampf in den düsteren Wagenabstellplatz zogen.

      So war er eigentlich immer ein Mann, der seine Fäden im Verborgenen spann. Ein Bursche, der es ähnlich wie der berüchtigte Pete Spence meisterhaft verstand, andere für sich das Eisen aus dem Feuer reißen zu lassen.

      Auch Wyatts Bruder Morgan hatte ihn damals, als Morgan Marshal von Santa Fé war, einmal wegen schweren Spielbetruges vor Gericht gebracht, wo er dann zu fünf Monaten Haft verurteilt worden war.

      Ringo hatte sich dieser Strafe durch die Flucht entzogen und war nie wieder nach New Mexico zurückgekehrt, wo der Strafbefehl drei Jahre auf ihn wartete und erst jetzt in diesen Monaten verjährt sein mußte.

      Wyatt wußte, daß dieser Gentleman-Verbrecher, der sich so hochelegant kleidete, so fein gab und von den anderen abstechen wollte, mehr auf dem Gewissen hatte, als irgend jemand ahnte. Auch jetzt war er ganz sicher nicht zufällig und absichtslos mit seinen neuen Helfern – einer zusammengewürfelten Bande von Wegelagerern, Posträubern und Mördern – hierher nach Tombstone gekommen. Ringo wußte, daß es in der Stadt gärte, und davon gedachte dieser Bandit zu profitieren. Wenn andere kämpfen, dann stand er nicht etwa eindeutig auf einer bestimmten Seite, sondern suchte nur seinen Gewinn, gleich wo er ihn fand.

      Der Marshal hatte den Crystal Palace verlassen und blickte die dunkle Thirdstreet hinauf.

      Höchstwahrscheinlich suchte Luke Short die Flanagans.

      Sie waren die schlimmsten der Banditen, die im Jail gesteckt hatten. Wyatt kannte die Flanagans seit Jahren. Das gefährlichste Mitglied der Familie war der älteste Sohn Jack, der Sheriff Custom niedergeschossen hatte, der zweitälteste Hal, schien ruhiger zu sein, aber Wyatt vermutete, daß er dem älteren Bruder in nichts nachstand. Ed, der nächste, war ebenfalls ein undurchsichtiger Bursche, aber vielleicht nicht ganz so gefährlich wie die beiden älteren.

      Mike und Cole, die Twins, kannte Wyatt nur flüchtig, sie waren damals, als er den Kampf mit den Clantons hier in Tombstones Straßen ausgetragen hatte, nicht in der Stadt gewesen.

      Jesse und Joseph, die beiden nachfolgenden Brüder, waren bei Schießereien ums Leben gekommen. Dann war da noch Lourie, das einzige Mädchen in der Familie.

      Eine gefährliche Familie, die Flanagans. Damals spielten sie nur eine zweite Rolle, da sie gegen die Clantons unbedeutend wirkten. Aber jetzt schoben sie sich mehr und mehr in den Vordergrund.

      Es stand für den Marshal fest, daß die Befreiung der Gefangenen vor allem Hal und Ed gegolten hatte. Denn die Flanagans hatten sehr viele Verwandte und Freunde in der Stadt und auch in deren Umgebung.

      Hielten sich die Ausgebrochenen noch in der Stadt auf? Früher trieben sie sich gern in Wongs China Bar herum.

      Wyatt ging durch die schmale Secondstreet zur Chestnutstreet hinunter. Diese Straße war die engste und düsterste Passage der Stadt, da sie Vorbauten hatte wie eine der Hauptstraßen und dadurch stockdunkel und schmal wurde. Bei Nacht war es nicht ratsam, sie zu passieren. An ihrem unteren Ende war die berüchtigte China Bar. Durch die mit rotem und schwarzem Glaspapier beklebten Fensterscheiben fiel ein magisch-unwirkliches Licht auf die Straße.

      Der Marshal betrat den Vorbau und öffnete die Tür.

      Im Gegensatz zu den meisten anderen Kneipen herrschte in der China Bar stets Hochbetrieb. Sämtliche Tische waren dicht besetzt und die Theke war geradezu umlagert. Eine weißblaue Tabakwolke schwebte zwischen den Lampen über den Köpfen der Männer und machte das Atmen in dieser Luft schwer.

      Ein alter Musikkasten hämmerte mehr laut als melodisch den Arizonasong in die Schenke hinein.

      Als der Marshal an der Tür erschien, sah sich niemand um. Er ging auf die Theke zu und warf einen raschen Blick in den großen Spiegel vor dem Flaschenbord, in dem er die Gesichter der Männer, die vor der Theke standen, sehen konnte. Dabei machte er eine unerwartete Entdeckung: einer dieser Männer war der mexikanische Bandit Enrique, mit dem er vor Martini am Lue Lon River zusammengetroffen war, und der sich dann plötzlich in der Stadt gegen ihn gestellt hatte. Enrique war zusammen mit Phin Clanton und den anderen von Wyatt Earp ins Gefängnis des Alkalden von Martini gebracht worden.

      In diesem Augenblick hatte auch Enrique den Missourier gesehen. Aber er drehte sich nicht um.

      Da trat der Marshal hinter ihn und sagte mit halblauter, schneidender Stimme: »Sie können sich ruhig umdrehen, Enrique. Ich sehe einen Banditen lieber von vorn als von hinten.«

      Ganz langsam wandte sich der Outlaw um. Aus verschlagenen Augen blickte er den Marshal an.

      »Was wollen Sie von mir? Ich kenne Sie nicht. Ich heiße auch nicht Enrique.«

      »Schade. Wäre ein schöner Name für einen Banditen gewesen. Mal ganz was anderes.«

      Enrique zog die Brauen zusammen und hatte eine steile, harte Falte auf der Stirn.

      »Belästigen Sie mich nicht, Mister, ich kenne Sie nicht.«

      »Wir wollen die Sache abkürzen, Enrique. Los, kommen Sie mit!«

      Rechts und links von Enrique hatten die Männer jetzt Platz gemacht. Der Bandit wich einen Schritt zur Seite. Seine Augen hatten etwas Raubtierartiges angenommen.

      »Ich habe gesagt, ich kenne Sie nicht. Belästigen Sie mich nicht, Mister.«

      Wyatt richtete sich zu voller Höhe auf.

      »Es ist nicht ausgeschlossen, Bandit, daß du dein Gedächtnis verloren hast. Ich werde es auffrischen. Ich habe dich mit einigen deiner Kameraden am Lue Lon überrascht, als ihr auf einen Boten der Galgenmänner wartetet. Einer von deinen Halunken wollte meinen Hengst stehlen. In Martini habt ihr mich auf offener Straße überfallen. Von deinen Kugeln ist Jackson Kilby getötet worden…«

      »Er wäre sowieso an den Galgen gekommen!« entfuhr es dem Banditen.

      Wyatt zog die linke Braue hoch.

      »Das genügt, Enrique. Vorwärts!«

      Aber der Bandit blieb stehen.

      Wyatt spürte plötzlich, daß irgend etwas in seinem Rücken vorging.

      Unter halbgesenkten Lidern warf er einen forschenden Blick in den großen Thekenspiegel und sah zu seiner nicht geringen Verblüffung, daß der Mann, der hinter ihm stand, niemand anders als Phineas Clanton war.

      Jetzt galt es blitzschnell zu handeln.

      »Damit die Sache auch gleich richtig angepackt wurde«, er machte zwei blitzschnelle Schritte zur Seite und riß seine Revolver hoch. »Kommen Sie auch gleich mit, Phin!« fuhr er fort.

      Der Desperado war von der blitzschnellen Aktion des Marshals überrascht worden. Aus erschrockenen Augen stierte er den Missourier an. Aber dann hatte er sich sofort wieder in der Gewalt.

      »Hallo, Wyatt! Wo man sich nicht überall trifft!«

      »Merkwürdig, nicht wahr?« Der Marshal war davon überzeugt, daß Phin sich nicht allein mit Enrique in der Schenke aufhielt.

      Wyatt durfte jetzt keinen Inch Boden preisgeben. Er mußte unbeirrt und blitzschnell handeln.


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