Wyatt Earp Paket 3 – Western. William Mark D.
dieses Land geritten war, hatte ihn innerlich gewandelt, wenngleich er sich die Wandlung nicht eingestehen wollte.
Am linken Ende des Daches hing ein yardbreites Blechschild, auf das mit weißen ungelenken Buchstaben der Name Clanton gepinselt worden war.
Bill, der jüngste der Brüder, der bei dem Kampf im O.K.-Corral ums Leben gekommen war, hatte es vor vielen Jahren als Junge einmal gemalt, und Ike, der heutige Besitzer der Ranch, hatte es aus einer Art sentimentalen Liebe zu dem Bruder am Haus gelassen.
Mehr als fünfzehn Yard war dieses nur etwa handbreite Schild von dem Georgier entfernt.
Holliday blickte es an und meinte:
»Irgendwie hat mich das schon immer gestört.«
Die Cowboys blickten ihn an, als stimme plötzlich etwas nicht bei ihm.
»Was?« wollte Kid mit schiefgelegtem Kopf wissen.
»Das Schild.«
»Das Schild…?«
»Ja. Es müßte Löcher haben.«
»Löcher…?«
»Ein paar Luftlöcher. Jeder Buchstabe müßte einen haben.«
Die Banditen wechselten einen kurzen Blick miteinander, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.
Dieser Mann mußte verrückt sein!
»Die Burschen müssen doch atmen können. Ich dachte mir das so.«
Die Revolver ziehen, vorstoßen und losfeuern war eins!
Die Schüsse fielen so schnell aufeinander, daß sie sich wie ein einziger Knall mit mehrfachem Echo anhörten.
Das Schild oben an der Hauskante zitterte, und die grauen Pulverwolken, die ihm jetzt entgegenzogen, verschleierten es für Sekunden.
Dann, als der Gunsmoke abgezogen war, hing es wieder ruhig da.
Die Cowboys starrten zu ihm hinauf. Es war nicht zu glauben: In jedem Buchstaben gähnte ein daumengroßes Loch, durch das der violettrote Abendhimmel schimmerte.
Es schien unfaßbar zu sein und doch war es ganz einwandfrei so: da oben hing das Schild, und in jedem der weißen Buchstaben klaffte ein daumengroßes Kugelloch.
Das war ungeheuerlich!
Sowohl Hawkins als auch Brest, Parker und der lange Migola hatten schon so manches Stück erlebt, aber so etwas noch nicht!
Dieser Stadtfrack war ja tatsächlich ein Meisterschütze ohnegleichen.
Was heißt: Meisterschütze, er war ein Phantom!
Wo hatte man denn je einen Mann gesehen, der auf eine solche Distanz ein so kleines Ziel haargenau treffen konnte.
Und daß es Zufall gewesen sein sollte, daß jeder Buchstabe getroffen worden war, das vermochten auch diese Männer nicht zu glauben. Das tollste jedoch war die Geschwindigkeit, mit der der Mann seine Colts gezogen und abgefeuert hatte. Schon allein das war ein Kunststück ohnegleichen. Und dann auch noch so genau zu treffen!
Dieser Mann war tatsächlich ein Show-Schießer allerersten Ranges.
Das war den vier Cowboys klar, so einfältig sie auch sonst sein mochten.
Sie brauchten eine ganze Weile, bis sie das verdaut hatten.
Indessen hatte der Spieler mit der ihm eigenen Geschicklichkeit die verschossenen Patronen nachgeladen.
Niemand achtete darauf.
Zwischen Brest und dem langen Migola stand neben dem Brunnen eine alte Indianerlanze von vier Yard Länge.
Doc Holliday hatte seine Revolver wieder in den Halftern, als er mit der Linken auf den Pfahl deutete und sagte: »Und dieses Apachenholz stört mich auch schon eine ganze Weile. Es ist viel zu lang. Findet ihr nicht auch, Boys?«
Und ehe sie sich versahen, hatte er seine Revolver wieder in den Händen. Hart und peitschend fiel das Holliday-Stakkato über den Hof der Clanton Ranch.
Wie von Geisterhand zerbrochen, splitterte das Holz Stück für Stück auseinander. Es geschah so unerhört schnell, daß es den Cowboys den Atem verschlug. In gleichgroßen Abständen hatten die Kugeln des Spielers die Latte zersägt, bis sie nur noch etwa die Hälfte ihrer vorherigen Höhe besaß.
Es war alles so rasend schnell gegangen, daß die Cowboys gerade noch ihre Köpfe hatten herumwerfen können, als Holliday die Revolver hochfliegen ließ.
Jetzt starrten sie entgeistert auf die Latte.
Der Spieler lud indessen seine Revolver nach.
Es war keineswegs Leichtsinn, daß er mit zwei Revolvern schoß. Wenn es auch eine Tatsache war, daß man mit zwei Waffen niemals so sicher schießen konnte wie mit einer einzigen. Wyatt Earp hatte etliche Jahre nach der Jahrhundertwende einmal einem Journalisten darüber Auskunft gegeben. Er sagte damals: »Wer mit zwei Revolvern schießt, der braucht die Show und er muß ein exzellenter Schütze sein. Sicherer aber schießt man immer mit einem Revolver. Weil man sich niemals auf beide Hände gleichstark konzentrieren kann.«
Doc Holliday hatte die beiden Waffen jedoch aus zwei Gründen benutzt. Hätte er nämlich nur einen Revolver für das Schießkunststück verwendet, so wären fünf Schüsse schon gefährlich gewesen, denn dann hätte er ja nur noch eine Kugel in der Trommel gehabt und sich gegen einen eventuellen Angriff der Cowboys nicht mehr schnell genug wehren können, ohne den zweiten Colt zu ziehen. Der zweite Grund des Spielers war tatsächlich der Eindruck, den er hervorzurufen hatte. Ein sogenannter Zweihandmann wirkte unbedingt eindrucksvoller.
Und diesen Eindruck konnte er jetzt von den Gesichtern der Männer ablesen, die sich ihm wieder zukehrten.
Der rote Brest wandte sich um, ging auf den Brunnen zu, hob die fünf abgeschossenen Lattenstücke auf und hielt sie nebeneinander.
Sie waren fast auf den Zentimeter gleich groß.
»Goddam!« stieß er durch die Zähne und schleuderte die Lattenstücke von sich. »Das ist doch Zauberei!«
Es war eine volle Minute still auf dem weiten Hof der Clanton Ranch.
Doc Holliday stand ruhig auf der Treppe und hatte die Arme über der Brust verschränkt. Der letzte Strahl der sinkenden Sonne warf einen rotgoldenen Schimmer über seine Gestalt.
Die vier Cowboys verharrten wie angewachsen auf der Stelle und starrten den Fremden an, der sie so in Bann geschlagen hatte.
Aber allein der flachsblonde Hawkins machte sich tiefere Gedanken über den Stranger.
Wer war dieser Mann, der eine so unerhörte Fertigkeit im Umgang mit Revolvern besaß. Der so rasend schnell ziehen, die Schüsse so hageldicht hintereinander fallen lassen und vor allem: sein Ziel mit so höllischer Genauigkeit treffen konnte!
Das konnte doch nicht irgendwer sein! Irgendein Unbekannter! Niemals! Dafür hätte Kid seinen alten Hut verwettet.
So viel stand jedenfalls für den Clanton Cowboy fest.
Da waren zwischen dem Wohnhaus und dem langen Geräteschuppen hastige Schritte zu hören.
Zwei Männer kamen auf den Hof gelaufen. Sie waren mittelgroß, hatten schwarzes Haar und dunkle Gesichter, die einander wie ein Ei dem anderen glichen.
Holliday kannte auch diese beiden Männer nicht. Sie trugen Cowboytracht wie die anderen, blickten ihre Kameraden verwundert an und warfen dann einen Blick auf den Fremden, der auf der Verandatreppe stand.
»He, was ist denn hier los?«
Holliday hob seinen rechten Stiefel und deutete auf den Absatz.
»Nichts Besonderes, Boys. Einer von den Jungs wollte mir zeigen, daß eine Kugel härter als Absatzleder ist.«
Die beiden kamen rasch heran und bauten sich direkt vor der Treppe auf.
»Wer ist das?«