Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
als Bert Blohm zu Hause angekommen war.
»Willst du mir nicht guten Tag sagen, Toby?«, fragte Bert.
»Tag«, stieß der Junge hervor.
»Warum hast du geweint?«, fragte Bert.
»Mami war hier, und Großmama sagt, dass es nicht wahr ist.«
»Er redet Unsinn«, sagte Adelheid Blohm mit schriller Stimme. »Er widerspricht mir überhaupt dauernd. Er ist so richtig im Trotzalter.«
»Sage gar nichts«, erklärte Toby, die Hände auf dem Rücken verschränkend. »Aber Mami war doch da. Habe ihre Stimme gehört, aber Großmama hat mich eingesperrt.«
»Ich weiß nicht, von wem der Junge das hat, aber er ist entsetzlich ungezogen«, sagte Adelheid Blohm. »Es wird Zeit, dass du wieder zu Hause bist und deine Autorität geltend machst.«
Bert sah seine Mutter an. »Die hast du doch wohl mehr als ich, Mutter«, sagte er. »Komm jetzt, Toby. Wir spielen ein bisschen.«
»Er muss essen und dann ins Bett«, sagte Adelheid Blohm streng.
»Um vier Uhr?«, fragte Bert.
»Er hat nachmittags nicht geschlafen.«
»Ich warte, dass Mami wiederkommt«, sagte Toby.
»Darauf warte ich auch«, erklärte Bert. Und wieder sah er seine Mutter an. Sie drehte sich abrupt um und rauschte aus dem Zimmer. Die Tür fiel hart ins Schloss.
»Sie ist wütend«, sagte Toby. »Sie ist immer wütend, wenn ich von Mami rede. Ich mag Großmama überhaupt nicht mehr.«
Bert war wie gelähmt. »Das darfst du nicht sagen«, stieß er hervor.
»Ich darf gar nichts sagen. Habe meinen Mund zu halten. Sagt sie immer, Kinder haben nichts zu sagen. Ich möchte kein Kind mehr sein. Ich will groß sein und Geld haben und meine Mami suchen.«
»Und mich hast du auch nicht mehr lieb, Toby?«, fragte Bert.
»Du machst doch, was Großmama sagt! Außerdem bist du nie zu Hause. Erst recht nicht, wenn Mami kommt und Großmama böse zu ihr redet.«
»Stimmt das? Lügst du auch nicht?«, Berts Stimme zitterte.
»Mami hat gesagt, man darf nicht lügen. Großmama lügt aber, und sie ist kein Kind. Sie ist groß. Ich mache nur, was meine Mami gesagt hat. Meine Mami habe ich lieb, und wenn Großmama sagt, dass sie tot ist und nicht wiederkommt, ist es gemein.«
Vier Jahre war er und redete, dass Bert der Atem stockte. Was ging in diesem Kinderköpfchen nur vor sich?
»Zuerst sagt sie, dass Mami krank ist, und nun sagt sie, dass sie tot ist und dass sie schuld ist, dass mein Schwesterlein auch tot ist. Ich hatte gar kein Schwesterlein, und ich mag euch alle nicht mehr. Ich will zu meiner Mami.«
Für Bert stürzte eine Welt zusammen. War es wohl auch nur eine Scheinwelt, die er um sich aufgebaut hatte, oder die um ihn aufgebaut worden war, aber jetzt lag sie in Trümmern. Sein Sohn stand vor ihm, klein, schmal, mit übergroßen Augen, in denen er nichts als Anklage las.
»Und Mami war doch hier, und nun rede ich überhaupt nichts mehr«, sagte Toby.
»Dann beschäftige dich jetzt«, sagte Bert. »Ich spreche mit Großmama.«
Toby presste die Lippen aufeinander, aber nie im Leben würde Bert diesen Blick vergessen, der auf ihm ruhte und in dem er sogar Verachtung zu lesen glaubte. Und vielleicht war es dieser Blick, der ihn verwandelte, der ihm den Mut gab, den er nun brauchte, als er seiner Mutter gegenübertrat.
»Birgit war also hier«, begann er ohne Umschweife. »Vor drei Tagen hat sie das Sanatorium verlassen, diesen teuflischen Bau, in dem ein Mensch zugrunde gehen muss.«
»Der Aufenthalt kostet dreitausend Mark im Monat«, sagte Adelheid Blohm herrisch.
»Den muss Birgit also auch noch selbst bezahlen, denn du hast doch das Geld nicht dafür«, sagte Bert zornig.
»Wie redest du mit mir?«, fuhr ihn seine Mutter an. »Hast du jeden Respekt vor mir verloren?«
»Erwartest du nur Respekt? Ich erwarte jetzt eine ehrliche Antwort von dir. Birgit hat das Sanatorium verlassen. Sie hat ihren Anwalt eingeschaltet. Man bescheinigt ihr, dass ihr Geist nicht umnachtet ist, wie du es mir einzureden versuchtest. Ja, der Chefarzt ist bereit, dir die Schuld zu geben, dass Birgit überhaupt nach Breitenfeld gebracht worden ist. Nimm dazu doch bitte Stellung, Mutter.«
»Das ist ungeheuerlich«, ächzte sie. »Du wagst es, so mit mir zu reden. Du, mein einziger Sohn.«
»Ich will wissen ob Birgit hier war und wo sie jetzt ist. Und ich werde sofort die Polizei anrufen und eine Vermisstenmeldung aufgeben, wenn du mir keine ausreichende Erklärung gibst.«
»Mein Herz«, ächzte Adelheid Blohm, »oh, mein Herz.« Stöhnend presste sie ihre Hand gegen die Brust.
»Du hast ein sehr gesundes Herz, Mutter. Lenke jetzt bitte nicht ab. Auch wenn du dich nicht wohlfühlst, will ich eine Antwort!«
»Was kann ich dafür, wenn sie gleich wieder weggelaufen ist«, murmelte Adelheid Blohm. »Ich habe ihr gesagt, dass du nicht daheim bist, und gleich war sie wieder weg. Irre hat sie mich angesehen, ganz irre.«
»Sie ist weg, ohne Toby sehen zu wollen? Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Du hast es ihr verweigert. Du hast Toby eingesperrt. Er hat es mir gesagt.« Seine Stimme klang hart.
»Es ist ihr Sohn. Er lügt. Sie ist schuld, dass das Baby gestorben ist. Bert, komm doch zur Vernunft. Sie ist wahnsinnig. Der Tod ihrer Eltern hat ihren Geist getrübt. Ich wollte doch nur nicht, dass du es dein Leben lang büßen musst.«
Bert war eiskalt, sein Körper und seine Seele schienen zu gefrieren, doch sein Verstand arbeitete.
»Birgit war so wahnsinnig, dir hunderttausend Mark zu geben, damit du die Hypothek ablösen konntest«, sagte er. »Eine Hypothek, die nur noch fünfzigtausend Mark betrug. Was hast du mit dem übrigen Geld gemacht?«
»Sie hat mir keine hunderttausend Mark gegeben«, begehrte Adelheid Blohm auf. »Das ist gelogen.«
»Ich war auf der Bank. Birgit hat mir nichts gesagt. Als ich von Breitenstein kam, bin ich zur Bank gefahren. Es hat mich etwas dorthin getrieben. Ich wollte wissen, ob sie Geld von ihrem Konto abgehoben hat, auf dem ja nicht mehr viel war, nachdem sie alles in dieses kostspielige Haus hineingebuttert hat. Ich habe allerhand erfahren, worum ich mich bisher leider zu wenig gekümmert habe. Aber ich habe nicht geahnt, dass du so infam bist, Birgit noch übel nachzureden. Vielleicht ist sie jetzt tot, aber wenn es so ist, dann werde ich ihren Tod rächen! Ich gehe jetzt mit Toby fort und werde Birgit suchen. Und wenn ich sie nicht finde oder tot finde, wirst du mich nicht mehr wiedersehen. Ich glaube Toby wirklich mehr als dir.«
»Du bringst mich um. Deine Worte bringen mich um. Womit habe ich das verdient? Habe ich nicht immer für dich gesorgt und gedacht? Warum ist denn deine Tochter gestorben, Bert? Denk doch auch einmal daran.«
»Weil Toby Birgit mit den Röteln angesteckt hatte, und weil du meiner Frau eingeflüstert hast, dass es alles nur Gerede sei, dass es dem Baby schaden könnte. Ich sehe jetzt alles klar. Mein Gott, was muss Birgit durchgemacht haben mit mir, einem Schwächling, der blind und taub war. Jetzt ist Schluss!«, brüllte er. »Jetzt glaube ich fast, dass wir wahnsinnig sind, du und ich. Aber mein Kind, Birgits Kind, bringe ich in Sicherheit, bevor noch mehr geschieht.«
»Ich sterbe, ich sterbe«, ächzte Adelheid Blohm. »Bert, ich bin deine Mutter.«
»Du wirst es überleben«, sagte Bert, »ich nicht, wenn Birgit den Tod gesucht hat. Aber unser Kind bekommst du nicht. Ich nehme Toby mit.«
Er nahm Toby mit, und er war seltsam ruhig, als er am Steuer seines Wagens saß.
»Du hast vielleicht geschimpft«, sagte Toby staunend. »Da wird sich die Großmama aber gewundert haben. Jetzt habe ich dich wieder lieb, Papi. Gell, wir suchen Mami