Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Sie an. Ich sage dann gleich Bescheid, wann Sie einrücken können in die Klinik.«
Franz Glimmer runzelte die Stirn. »Pressiert es denn gar so?« fragte er.
»Ich wäre dafür«, sagte Dr. Norden.
»Na, wenn Sie es sagen, ergebe ich mich in mein Schicksal. Sie wissen ja auch ganz genau, wie lange man ein Auto beanspruchen kann.«
»Nur ist ein Menschenleben wertvoller, und Sie sind für Ihre Familie sehr wertvoll.«
»Und wenn es schiefgeht?« fragte Franz Glimmer stockend.
Das darf nicht sein, dachte Dr. Norden. »Der Patient kann viel dazu beitragen, daß es gutgeht«, sagte er. »Ich kann Ihnen jedenfalls sagen, daß schon sehr viele nach einer solchen Operation sehr alt geworden sind.«
»Hand aufs Herz, stimmt das auch?«
»Ich sage die Wahrheit.«
Franz Glimmer ging, und Frau Neuner kam. Sie war ein neurotischer Fall. Sie bildete sich viele Krankheiten ein, aber diese Einbildung war schon so ausgeprägt, daß sie in organische Beschwerden ausartete. Sie war fünfzig und trauerte der entschwundenen Jugend nach.
Dr. Norden kannte ihre ganze Lebensgeschichte. Auch aus dem geduldigen Zuhören konnte man seine Diagnose stellen, das hatte er von seinem Vater gelernt.
Ihr Mann betrog sie, ihr einziger Sohn war rauschgiftsüchtig. Es war zu verstehen, daß diese Frau langsam aber sicher in sich zerbröckelte. Sie litt unter den Wechseljahren, und es fehlte ihr an Lebensmut, mit den Anforderungen, die an sie gestellt wurden, fertig zu werden.
Geduldig hörte er sich ihre Klagen an. Daß ihr Sohn jetzt in einer Entziehungsanstalt war, hatte sie Dr. Norden zu verdanken.
»Ich habe mich schon erkundigt«, sagte er ihr. »Rainer macht Fortschritte, und wenn er herauskommt, packen Sie Ihre Sachen und gehen ein paar Wochen mit ihm ins Sanatorium. Zeigen Sie Ihrem Mann doch mal die Zähne, Frau Neuner. Rainer braucht Ihre Hilfe.«
»Sie haben für alles Verständnis, aber wer bringt das sonst schon auf«, sagte sie schluchzend.
»Dr. Cornelius bestimmt, und die Roseninsel soll doch gerade für die zu einer Insel der Hoffnung werden, denen das Schicksal so übel mitgespielt hat wie Ihnen.«
»Mein Mann hat den Jungen doch schon abgeschrieben«, sagte sie leise.
»Dann müssen Sie ihm eben mal klarmachen, daß er nicht ganz schuldlos an Rainers Einstellung zum Leben ist. Und wenn er Einwände erhebt, schicken Sie ihn mal zu mir.«
»Jedesmal, wenn ich von Ihnen weggehe, habe ich wieder ein bißchen Mut«, sagte Frau Neuner.
Der dritte Patient kam nicht, und darüber machte sich Dr. Norden Gedanken.
Dr. Neubert war Witwer, pensionierter Schulrat. Er lebte allein in seinem Häuschen, das nicht weit entfernt von Dr. Nordens Praxis lag.
Er rief bei ihm an, als aber keine Antwort kam, folgte er einer inneren Stimme und fuhr zu dem Haus in der stillen Villenstraße. Es wurde ihm nicht geöffnet. Er ging um das Haus herum. Die Terrassentür stand einen Spalt offen.
Dr. Norden vernahm ein Stöhnen, und als er in das Zimmer trat, sah er den alten Herrn am Boden liegen. Er verlor keine Sekunde, ging zum Telefon und rief den Sanitätswagen, dann das Kreiskrankenhaus an.
»Zum Donnerwetter, es ist ein Notfall«, fauchte er den Gesprächspartner an.
Dann kniete er neben dem Kranken nieder. Daß es ein Schlaganfall war, sah er sofort.
»Dr. Neubert, hören Sie mich«, rief er laut.
Ein undefinierbares Murmeln kam über die bläulichen Lippen.
»Ich bin es, Daniel Norden«, sagte er.
Ein Augenlid hob sich etwas, und es sah fast so aus, als gleite ein flüchtiges Lächeln über das zerknitterte Gesicht.
Dann hörte Daniel die Sirene des Krankenwagens und eilte hinaus. Aber als man Dr. Neubert auf die Bahre gehoben hatte und hinaustrug, wußte er, daß dieser alte Herr nicht mehr in sein Haus zurückkehren würde.
»Ich komme nach«, sagte er zu den Sanitätern. Dann verschloß er die Terrassentür, nahm den Hausschlüssel vom Schlüsselbrett und schloß auch diese Tür hinter sich zu. Er ging noch einmal um das kleine, rosenumrankte Haus herum und schaute nach, ob auch alle Fenster geschlossen seien.
Er war oft in diesem Haus gewesen, manchmal auch nur, um eine Stunde mit diesem klugen, alten Mann zu verplaudern, der mit seinem Vater eng befreundet gewesen war.
Muß es nicht schrecklich sein, am Ende seines Lebens so allein zu sein, ging es ihm durch den Sinn. Dr. Neubert hatte seine Frau und seine beiden Kinder überlebt. Er hatte den Tod dann als einen Freund betrachtet, der ihm willkommen war. Dr. Norden wünschte ihm, daß dieser Tod nun gnädig mit ihm sein würde. Das war alles, was er diesem gütigen Menschen noch wünschen konnte. Es wurde ihm dann vom Chefarzt des Krankenhauses auch bestätigt. Dr. Norden versprach, am Abend noch einmal vorbeizukommen.
Weil er jetzt an Dr. Neubert denken mußte, der sich so sehr gewünscht hatte, die Insel der Hoffnung noch kennenzulernen, hätte er fast vergessen, bei den Glimmers vorbeizufahren.
Schon auf dem Weg zur City fiel es ihm dann doch noch ein und er kehrte um.
Uschi Glimmer stand im blauen
Jeansanzug an der Tanksäule. Ihr karottenrotes Haar leuchtete weithin. Ihr jungenhaftes, sommersprossiges Gesicht hatte heute nicht den fröhlichen Ausdruck, den er gewohnt war.
»Gut, daß Sie kommen, Herr Doktor«, sagte sie überstürzt. »Papa geht es wieder ganz schlecht.«
»Hat er noch nichts gesagt?« fragte Dr. Norden.
»Was denn?« fragte Uschi.
»Daß er in die Klinik muß, Uschi. Es bleibt nichts übrig als eine Operation.«
»O Gott«, sagte sie bebend.
»Macht ihm Mut«, sagte Dr. Norden. »Ihr zwei, der Maxi und du, werdet es doch schaffen.«
Sie nickte und unterdrückte die aufsteigenden Tränen.
»Sagen Sie es der Mama, Herr Doktor?« fragte sie.
»Deswegen bin ich gekommen. Kopf hoch, Mädchen, es wird schon wieder.«
Hilde Glimmer war eine hübsche rundliche Frau. Sie sah immer wie aus dem Ei gepelit aus. Jetzt war auch ihr Gesicht sorgenvoll.
Aber sie war tapfer, als er es ihr sagte. »Ich habe mir schon so was gedacht, Herr Doktor«, murmelte sie. »Als der Franz gesagt hat, daß Sie mit mir reden würden, habe ich es mir gedacht. Wenn er nur wieder gesund wird. In drei Monaten haben wir Silberhochzeit. Fünfundzwanzig Jahre glücklich verheiratet. Er war zweiundzwanzig und ich neunzehn, und jeder hat gesagt, daß das nicht gutgeht. Und kein böses Wort hat es in unserer Ehe gegeben. Er ist der beste Mann auf der Welt.«
»Ja, das glaube ich Ihnen gern, Frau Glimmer«, sagte Daniel Norden. »Ich gebe ihm eine Spritze, und nachher spreche ich gleich persönlich mit Professor Manzold. Richten Sie schon alles her. Solche Operation muß vorbereitet werden. Ich denke, daß er heute noch geholt werden kann.«
»Holen dürfen sie ihn nicht«, sagte Hilde Glimmer entsetzt. »Dann dreht er durch. Der Maxi kann ihn fahren. Nur nicht mit dem Krankenwagen, dann gibt er sich gleich auf.«
Das sagte ihm Franz Glimmer auch. Er ließ sich widerstandslos die Spritze geben, und das sagte schon viel.
Als Dr. Norden zu seinem Wagen ging, kam Max aus der Werkstätte. Er wischte sich die Hände an der Hose ab. Er war ein hübscher Bursche, dreiundzwanzig und seinem Vater sehr ähnlich.
»Danke, daß Sie den Papa überredet haben, Herr Doktor«, sagte er. »Wir werden ihm schon keine Schande machen. Mein Freund Eugen hilft mir. Er geht ja auf das Technikum, um Ingenieur zu werden, aber Uschi zuliebe macht er sich auch mal die Hände