Die Eroberung von Plassans. Emile Zola
das ist gewiß; aber wenn man ein armer Teufel ist, muß man sich nicht gar so verdächtig benehmen.
Ich wollte dir auch sagen, erwiderte Martha, als sie ihren Mann wieder beruhigt sah, daß die alte Frau mich fragte, ob wir ihr nicht das Gurtbett überlassen möchten. Ich habe ihr daraufhin gesagt, daß wir es nicht brauchen und daß sie es behalten könne, solange sie wolle.
Das war ganz gut; man muß sie sich verpflichten ... Ich habe dir schon gesagt: mich ärgert es am meisten an diesen Priestern, daß man nie weiß, was sie denken und was sie tun. Indes gibt es auch sehr ehrenwerte Leute unter ihnen.
Das Geld schien ihn ganz getröstet zu haben, denn er scherzte und machte sich über Serge lustig, der eben wieder in dem Buche »Missionen in China« las. Während des Essens schien er an die Leute im zweiten Stock nicht mehr zu denken. Als aber Octave erzählte, daß er den Abbé Faujas habe aus der Bischofresidenz kommen sehen, da konnte sich Mouret nicht mehr halten und nahm beim Nachtisch das gestrige Gespräch wieder auf. Aber er schämte sich doch ein wenig. Unter seiner Schwerfälligkeit eines ehemaligen Kaufmannes barg sich ein feiner Verstand; er hatte einen nüchternen Sinn und ein richtiges Urteil, das ihn oft bei allen Klatschereien der Stadt das passende Wort finden ließ.
Schließlich ist es nicht gut, die Nase in die Angelegenheiten anderer zu stecken, sagte er, als er schlafen ging ... Der Abbé kann machen, was er will. Es ist überhaupt langweilig, immer von diesen Leuten zu sprechen. Ich wasche meine Hände in Unschuld.
Acht Tage gingen dahin. Mouret hatte seine gewohnte Beschäftigung wieder aufgenommen. Er schlenderte im Hause herum, sprach mit den Kindern, ging nachmittags zum Zeitvertreib Geschäften nach, von denen er nie sprach, aß und schlief wie ein Mann, für den das Leben eine glatte Bahn ist, ohne Erschütterungen und ohne Überraschungen. In das Haus schien die alte Ruhe wieder eingezogen zu sein. Martha saß an ihrem gewöhnlichen Platze auf der Terrasse vor dem Nähtischchen; Desiree spielte neben ihr; die beiden Knaben brachten zu denselben Stunden dasselbe geräuschvolle Leben ins Haus; Rosa brummte jeden an, während der Garten und das Speisezimmer in Frieden lagen.
Du sieht, sagte Mouret zu seiner Frau, daß du im Irrtum warst, als du glaubtest, die neue Partei werde uns stören. Wir haben eigentlich jetzt eine größere Ruhe als früher, denn das Haus ist kleiner und daher noch friedlicher.
Manchmal sah er zu den Fenstern des zweiten Stockes hinauf, vor denen vom zweiten Tage an Vorhänge von grobem Kattun angebracht waren, deren Falten sich nie rührten. Ihr Aussehen war so keusch, steif und kühl wie das Linnenzeug einer Sakristei. Hinter ihnen schien das Schweigen und die Ruhe des Klosterlebens zu herrschen. Nur zeitweilig waren die Fenster halb offen und ließen durch die weißen Vorhänge den Schatten der hohen Decken erkennen. Aber vergebens lauerte Mouret, nie konnte er die Hand bemerken, die das Fenster öffnete und schloß; er hörte nicht einmal das Knarren der Fensterflügel. Kein menschlicher Laut kam aus dieser Wohnung. Im Verlaufe von acht Tagen hatte Mouret noch nicht ein einziges Mal den Abbé wiedergesehen, so daß dieser Mensch, der neben ihm wohnte, und dessen Schatten er nicht einmal bemerkte, ihm schließlich eine nervöse Unruhe einflößte. Trotz seiner Bemühungen, gleichgültig zu bleiben, fing er doch wieder an zu fragen, und begann eine förmliche Untersuchung.
Du bekommst ihn also nicht zu Gesicht? erkundigte er sich bei seiner Frau.
Ich glaube, daß ich ihn gestern sah, als er heimkehrte. Aber ich weiß es nicht genau ... Da seine Mutter immer schwarz gekleidet geht, kann auch sie es gewesen sein.
Auf seine weiteren Fragen erzählte sie ihm alles, was sie wußte:
Rosa behauptet, daß er jeden Tag ausgeht und sehr lange außen bleibt ... Die Mutter ist regelmäßig wie eine Uhr. Täglich kommt sie um sieben Uhr herunter, um ihre Einkäufe zu machen. Ihren Handkorb hat sie immer geschlossen und bringt in ihm alles, was sie braucht: Kohlen, Brot, Wein und andere Lebensmittel; denn man sieht nie, daß jemand ihnen etwas herbrächte ... Übrigens sind sie die Höflichkeit selbst. Rosa sagte, daß sie immer grüßen, sooft sie ihr begegnen. Aber zumeist hört Rosa sie gar nicht die Treppe herunterkommen.
Die müssen eine sonderbare Wirtschaft oben führen, erwiderte Mouret, den das Gehörte nicht befriedigte.
Als eines Abends Octave erzählte, daß er den Abbé in die Kirche Saint-Saturnin habe treten sehen, fragte der Vater, wie er gegangen sei, ob die Vorübergehenden ihm nachgeblickt hätten und was er in der Kirche zu tun gehabt hätte.
Du bist gar zu neugierig! rief der junge Mann lachend ... Schön nahm er sich mit seinem verschossenen, fast roten Talar am hellichten Tage nicht aus. Es entging mir nicht, daß er absichtlich an den Häusern entlang im Schatten ging, damit sein Talar ein bißchen schwarz aussehe ... Er geht sehr schnell, den Kopf hat er immer gesenkt ... Zwei Mädchen fingen an zu lachen, als er über den Platz ging. Er hob den Kopf und sah sie freundlich an; nicht wahr, Serge?
Dieser erzählte, daß er schon einigemal, als er aus dem Kolleg kam, den Abbé von weitem gesehen habe, wie er die Kirche verließ. Er geht durch die Straßen, meinte der junge Mann, ohne mit jemandem zu sprechen, scheint niemanden zu sehen und fühlt gewiß beschämt das höhnische Lächeln, das er allenthalben erregt.
Spricht man denn von ihm in der Stadt? fragte Mouret mit regem Interesse.
Mit mir hat niemand von dem Abbé gesprochen, erwiderte Octave.
O ja, sagte Serge, man spricht von ihm. Der Neffe des Abbé Bourrette erzählte mir, daß er nicht gern in der Kirche gesehen werden, denn man könne die fremden Priester nicht leiden. Dann sieht er auch gar so elend aus ... Wenn man sich an ihn gewöhnt hat, wird man von dem armen Manne nicht mehr sprechen. In der ersten Zeit will man aber doch wissen, welche Bewandtnis es mit ihm habe.
Martha riet dann ihren Söhnen, sich nicht ausfragen zu lassen, wenn man von ihnen etwas Näheres über den Abbé erfahren wolle.
Ach was! Das können sie ruhig sagen, rief Mouret aus. Was wir von ihm wissen, tut ihm nichts.
Von diesem Augenblicke an machte er seine Kinder, ohne etwas Schlechtes zu denken, zu Spionen, die er an die Fersen des Abbé heftete. Octave und Serge mußten ihm alles sagen, was in der Stadt von ihm gesprochen wurde; ja noch mehr, sie erhielten den Auftrag, dem Priester zu folgen, wenn sie im begegneten. Aber diese Quelle war schnell versiegt. Das Gerede, das durch die Ankunft des fremden Priesters veranlaßt wurde, verstummte bald. Die Stadt kümmerte sich um den »armen Mann mit dem schäbigen Talar« nicht mehr und beachtete ihn einfach nicht. Anderseits begab sich der Priester nur in die Kirche und aus ihr nach Hause, wobei er immer durch dieselben Gassen ging. Octave meinte lächelnd, er zähle die Pflastersteine.
Zu Hause suchte Mouret Desirée auf seine Seite zu ziehen, da sie nie ausging. Er führte sie deshalb abends in den Garten, fragte sie aus, was sie den Abend über getan und gesehen habe und suchte immer das Gespräch auf die Partei im zweiten Stock zu bringen.
Höre, sagte er eines Tages zu ihr, morgen wirst du, wenn das Fenster offen steht, deinen Ball in das Zimmer; dann gehst du hinauf und verlangst ihn.
Am folgenden Tage warf das Mädchen tatsächlich den Ball in das Zimmer; aber er wurde von unsichtbarer Hand sofort auf die Terrasse hinabgeworfen, noch ehe das Kind die Treppe erreicht hatte. Mouret, der auf die Anmut des Kindes gerechnet hatte, um die gleich am ersten Tage abgebrochenen Beziehungen wieder aufzunehmen, sah das Spiel verloren; er stieß augenscheinlich auf den klaren Willen des Abbé, sich in seiner Wohnung einzuschließen. Dadurch aber wurde seine Neugierde nur noch gesteigert. Er klatschte in allen Winkeln mit der Köchin zum großen Ärger Marthas, die ihm wegen dieses unwürdigen Betragens Vorwürfe machte. Er wurde darüber böse und suchte alle möglichen Ausflüchte. Er fühlte jedoch sein Unrecht und sprach deshalb von dem Abbé mit Rosa nur im geheimen.
Eines Morgens gab ihm Rosa ein Zeichen, ihr in die Küche zu folgen.
Denken Sie sich, gnädiger Herr, sagte sie, nachdem