Die Eroberung von Plassans. Emile Zola

Die Eroberung von Plassans - Emile Zola


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      Sie werden es gleich hören ... Gestern abend habe ich länger als eine Stunde mit Frau Faujas gesprochen.

      Mouret zitterte vor Freude. Er setzte sich auf einen zerrissenen Strohsessel inmitten der Wischlappen und der Küchenabfälle nieder.

      Also schnell! Heraus damit!

      Ich stand gestern, begann Rosa, in der Türe und wünschte dem Dienstmädchen des Herrn Rastoil einen guten Abend, als Frau Faujas die Treppe mit einem Kübel schmutzigen Wassers herunterkam. Sonst geht sie gleich wieder hinauf, ohne sich umzusehen; diesmal blieb sie aber einen Augenblick stehen und sah mich an. Ich entnahm daraus, daß sie mit mir reden wollte, und sagte ihr, daß es schönes Wetter sei und daher ein guter Wein wachsen werde ... Sie antwortete mir »Ja, ja,« wie eine Frau, der dies ganz gleichgültig ist, weil sie keinen Weinberg besitzt. Aber sie setzte den Kübel auf die Erde, blieb stehen und lehnte sich neben mir an die Wand ...

      Nun, was hat sie dir denn erzählt? fragte Mouret voll Ungeduld.

      Ich war nicht so dumm, sie auszufragen ... Ich brachte das Gespräch auf das, was sie angeht. Der Pfarrer zu Saint-Saturnin, der liebe Herr Compan, ging eben vorüber. So erzählte ich ihr, wie er lebe, daß er sehr krank sei, daß er es nicht lange mehr aushalten werde, und wie schwer er zu ersetzen sei. Sie war jetzt ganz Ohr und fragte mich sogar, was dem Herrn Compan fehle. Dann kam ich von einem zum anderen, sprach von unserem Bischof Rousselot und erzählte ihr, was für ein trefflicher Mann er ist. Sie wußte nicht, wie alt er sei; ich sagte, daß er sechzig Jahre vorüber, ebenfalls weichen Gemütes sei und sich an der Nase führen lasse; man rede auch viel von Herrn Fenil, dem Großvikar, der in der bischöflichen Residenz tue was er wolle ... Das war Wasser auf ihre Mühle; die Alte wäre bis Sonnenaufgang vor der Türe stehen geblieben.

      Mouret machte eine Gebärde der Verzweiflung.

      Ganz recht! Jetzt hast du mir nur erzählt, was du gesprochen hast ... Was hat denn aber sie gesagt?

      So warten Sie doch! erwiderte Rosa ruhig; lassen Sie mich weiter erzählen, ich komme schon zu Ende. Um sie auch zum Plaudern zu bringen, erzählte ich ihr schließlich von uns. Ich sagte, daß Sie François Mouret heißen und Kaufmann in Marseille gewesen seien, der in fünfzehn Jahren durch einen Handel in Wein, Öl und Mandeln sich ein Vermögen zu erwerben gewußt habe. Dann erzählte ich, daß Sie hier in Plassans Ihre Rente verzehren, weil die gnädige Frau hier Verwandte habe; dann fand ich sogar eine passende Gelegenheit, ihr mitzuteilen, daß die gnädige Frau Ihre leibliche Base sei, daß Sie vierzig Jahre und die gnädige Frau siebenunddreißig Jahre alt seien. Weiter, daß Sie eine sehr zufriedene Ehe führen, nie auf der Promenade Sauvaire gesehen werden, kurz, ich erzählte Ihr ganzes Leben ... was sie ungemein interessierte. Sie antwortete mir immer: »Ja, ja,« ohne Eile zu haben. Als ich nun innehielt, da nickte sie mit dem Kopfe, als wolle sie sagen: »Ich höre ja zu, erzählen Sie nur weiter!« So plauderten wir denn – immer an die Mauer gelehnt – bis tief in die Nacht hinein wie gute Freundinnen.

      Mouret erhob sich zornig.

      Wie? rief er aus, das ist alles? ... Sie hat Sie eine Stunde reden lassen und Ihnen nichts gesagt?

      Sie sagte mir, als es ganz finster war: »Es wird kühl.« Damit hob sie den Wasserkübel auf und ging wieder in ihre Wohnung hinauf.

      Wie Sie dumm sind! Die Alte versteht es, sie würde zehn solche verkaufen, wie Sie sind. Nein! Wie müssen die jetzt lachen! Sie wissen nun alles von uns, was sie wissen wollten ... Rosa, Sie sind sehr dumm!

      Die alte Köchin geriet darüber in Aufregung und ließ ihren Zorn an den Töpfen und Schüsseln aus, die sie hin und her stieß.

      Wissen Sie, gnädiger Herr, erklärte sie, wenn Sie nur in die Küche gekommen sind, um mir Grobheiten zu sagen, hätten Sie draußen bleiben können. Sie können gehen ... Ich habe dies alles nur getan, um Ihnen eine Freude zu machen. Wenn uns die gnädige Frau hier beisammen fände, würde sie mit mir zanken und das mit Recht, denn es schickt sich nicht ... Übrigens konnte ich doch dieser Frau nicht die Worte aus dem Munde reißen. Ich habe mich dabei benommen wie sich jede andere benehmen würde. Ich habe geplaudert und Ihr Leben beschrieben. Um so schlimmer für Sie, wenn sie nicht auch das ihrige beschrieb. Fragen Sie sie selbst, wenn Ihnen soviel daran liegt. Vielleicht sind Sie nicht so dumm wie ich ...

      Da die Alte immer lauter wurde, hielt es Mouret für geraten, die Küche zu verlassen, damit nicht noch seine Frau dazu komme. Aber Rosa trat hinaus und rief ihm nach:

      Sie sollen wissen, daß ich mich um nichts mehr kümmere. Geben Sie einem anderen Ihre häßlichen Aufträge.

      Mouret war geschlagen. Seine Niederlage ließ einigen Unmut in ihm zurück. Aus Rache gefiel er sich in der Behauptung, daß seine Mieter sehr unbedeutende Leute seien.

      Allmählich verbreitete er unter seinen Bekannten seine Ansicht, die zuletzt die ganze Stadt glaubte. Der Abbé Faujas wurde als mittelloser Priester angesehen, der ohne jeden Ehrgeiz sei und ganz außerhalb der Ränke des Kirchspiels stehe; man dachte, er schäme sich seiner Armut, gebe sich mit den unbedeutendsten Verrichtungen in der Pfarrkirche zufrieden und halte sich so weit wie möglich im Dunkel, wo es ihm besonders gefalle. Nur wollte man gern wissen, warum er von Besançon nach Plassans gekommen sei. Es waren die verschiedensten Geschichten im Umlaufe, doch waren es nur Mutmaßungen. Selbst Mouret, der seine Partei ebenso zur Unterhaltung beobachtete, wie er zum Vergnügen Karten oder Billard spielte, begann schließlich zu vergessen, daß ein Priester bei ihm wohne, bis doch ein neues Ereignis seine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte.

      Als Mouret eines Nachmittags nach Hause ging, sah er den Abbé Faujas vor sich in der Balande-Straße. Er mäßigte daher seine Schritte, um ihn genau zu beobachten; denn es war das erstemal, daß er ihn am hellen Tage sah. Der Abbé hatte noch immer seinen alten Talar an; langsam ging er die steile, leere Straße mit ihren kahlen Häusern und geschlossenen Fenstervorhängen hinan; trotz des heftigen Windes trug er seinen Dreispitz in der Hand. Mouret ging jetzt auf den Fußspitzen, damit er von dem Priester nicht gehört werde. Als sie sich aber dem Hause des Herrn Rastoil näherten, kamen eben einige Personen vom Präfekturplatze, traten dort ein, und der Abbe machte einen kleinen Umweg, um mit ihnen nicht zusammenzutreffen. Als sich die Türe hinter ihnen geschlossen hatte, blieb der Abbé plötzlich stehen und drehte sich nach seinem Hausherrn um.

      Es freut mich, mit Ihnen zusammenzutreffen, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit. Ich hätte mir sonst erlaubt, Sie heute abend zu belästigen ... Der letzte Regen hat in dem Plafond meines Zimmers einen Fleck hervorgebracht, den ich Ihnen gern zeigen möchte.

      Mouret erwiderte verlegen, daß er ganz zu seinen Diensten stehe. Da sie zusammen ins Haus traten, fragte er den Priester, welche Stunde ihm angenehm sei, um die Decke besichtigen zu können.

      Wenn es Ihnen nicht lästig ist, bitte ich gleich mit mir hinaufzukommen.

      Mouret stieg erregt die Treppe hinauf, während Rosa ihm von der Küchentüre aus mit großen Augen nachsah.

      Viertes Kapitel.

      Als Mouret im zweiten Stocke ankam, war er verlegener als ein Student, der zum ersten Male das Zimmer einer Frau betritt. Die unerwartete Erfüllung eines langgehegten Wunsches und die Hoffnung, etwas ganz Außerordentliches zu sehen, raubte ihm fast den Atem. Unterdessen steckte der Abbé den Schlüssel in das Schloß, und die Türe öffnete sich so geräuschlos, als drehe sie sich in samtenen Angeln. Der Priester bat den Hausherrn durch eine Gebärde einzutreten.

      Die Leinwandvorhänge an den beiden Fenstern waren so dicht, daß das Zimmer wie in das Zwielicht einer Klosterzelle gehüllt war. Das Zimmer war sehr groß und hoch mit einer reinlichen, aber verblaßten Papiertapete beklebt. Mouret ging rasch hinein und schritt auf den spiegelblanken Fliesen weiter, deren Kälte er unter den Sohlen zu fühlen glaubte.


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