Die Eroberung von Plassans. Emile Zola

Die Eroberung von Plassans - Emile Zola


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das Erdgeschoß mit einigen flüchtigen Schritten besichtigt, ohne ihren Korb wegzustellen.

      Sie war bis zur Küchentüre gekommen, hatte einen Blick hineingeworfen, war dann zur Freitreppe gelangt, von wo sie gleichsam den Garten in Besitz nahm. Aber am meisten interessierte sie das Speisezimmer und der gedeckte Tisch, auf dem die dampfende Suppe stand.

      Ihr Sohn sagte nochmals:

      Hörst du, Mutter? Wir müssen ins Gasthaus gehen.

      Sie sah ihn an, ohne eine Antwort zu geben. Aber ihre Gesichtszüge zeigten deutlich, daß sie nicht gesonnen sei, dieses Haus zu verlassen, in dem sie schon alle Winkel kannte. Sie zuckte mit den Achseln, während ihre Augen von der Küche in den Garten und von dem Garten in den Speisesaal schweiften.

      Jetzt wurde Mouret unruhig, denn es entging ihm nicht, daß weder die Mutter noch der Sohn gesonnen sei, vom Platze zu weichen.

      Unglücklicherweise, sagte er, haben wir keine Betten. Auf dem Dachboden steht zwar ein Gurtbett, mit dem sich die Frau bis morgen begnügen könnte, aber ich wüßte wirklich nicht, wohin ich den Herrn Abbé legen sollte.

      Jetzt öffnete Frau Faujas den Mund und erwiderte mit heiserer Stimme:

      Mein Sohn legt sich auf das Gurtbett ... Ich begnüge mich mit einer Matratze auf der Erde in einem Winkel.

      Der Abbé nickte zustimmend mit dem Kopfe. Mouret wollte widersprechen und suchte nach einem anderen Auskunftsmittel, aber vor den zufriedenen Blicken seiner neuen Mieter schwieg er und wechselte nur mit seiner Frau einen Blick des Erstaunens.

      Morgen früh, sagte er in seinem spöttischen Tone, können Sie sich dann einrichten, wie Sie wollen. Rosa schafft das Obst weg und macht die Betten. Wenn Sie unterdessen auf der Terrasse warten wollen ... Kinder, zwei Stühle, schnell!

      Die Kinder waren die ganze Zeit seit der Ankunft des Abbés ruhig an dem Tische sitzen geblieben. Der Priester wollte sie nicht bemerken, aber Frau Faujas hatte ihnen einen stechenden Blick zugeworfen, als wolle sie mit einem Schlage diese jungen Köpfe durchdringen. Als die Kinder die Worte ihres Vaters vernahmen, sprangen sie alle auf und trugen Stühle hinaus.

      Die alte Frau setzte sich nicht. Als Mouret sich umdrehte, bemerkte er sie vor einem halb offenen Fenster des Salons stehen und ihre Besichtigung fortsetzen ruhig und behaglich wie eine Person, die eine verkäufliche Besitzung besichtigt. In dem Augenblicke, als Rosa den Handkoffer aufhob, trat sie wieder in das Vorderhaus und sagte:

      Ich helfe Ihnen.

      Mit diesen Worten ging sie hinter der Dienerin die Treppe hinauf.

      Der Priester ließ sie ruhig gewähren; er lächelte den drei Kindern zu, die vor ihm standen. Sein Gesicht konnte, wenn er wollte, trotz der Härte und den rohen Zügen um den Mund ungemein mild erscheinen.

      Ist dies Ihre ganze Familie? fragte er Martha, die näher getreten war.

      Ja, mein Herr, erwiderte sie, vor dem scharfen Blicke des Mannes sich befangen fühlend.

      Die beiden Söhne werden bald Männer sein, fuhr er fort ... Haben Sie Ihre Studien schon beendet, fragte er Serge.

      Mouret antwortete selbst:

      Er ist schon fertig, obwohl er der Jüngere ist. Wenn ich sage »fertig«, so will ich damit sagen, daß er die Reifeprüfung hinter sich hat; jetzt besucht er das Kollegium wieder, um ein Jahr Philosophie zu hören. Er ist der Gescheite in der Familie ... Der andere, der Ältere, der große Tölpel da, taugt nicht viel. Er ist schon zweimal bei der Prüfung durchgefallen; ein Nichtsnutz, der nur immer an tolle Streiche denkt.

      Octave hörte diese Vorwürfe lächelnd an, während Serge bei seiner Belobung den Kopf senkte. Faujas schien sie noch einen Augenblick still zu prüfen, dann trat er auf Desirée zu und sein Gesicht nahm wieder einen zärtlichen Ausdruck an.

      Darf ich Ihr Freund sein, Fräulein? fragte er.

      Sie gab keine Antwort, sondern verbarg, fast erschreckt, das Gesicht an der Schulter ihrer Mutter. Diese drückte sie noch mehr an sich und legte den Arm um sie.

      Sie müssen sie entschuldigen, sagte die Mutter ernst; sie ist ein Kind geblieben ... Ihr Verstand ist schwach, und wir plagen sie nicht mit dem Lernen. Sie ist jetzt vierzehn Jahre alt, und ihre ganze Freude bilden nur die Tiere.

      Das Mädchen beruhigte sich unter den Liebkosungen der Mutter, sah hinter ihr auf und lächelte; dann sagte sie:

      Ich möchte wohl, daß Sie mein Freund seien ... Nur dürfen Sie den Fliegen nichts zuleide tun.

      Da alle bei diesen Worten lachten, fuhr sie ernst fort:

      Octave tötet immer die Fliegen; das ist schlecht von ihm.

      Der Abbé Faujas hatte sich niedergesetzt und schien sehr müde zu sein. Einen Augenblick gab er sich der warmen Ruhe hin, die auf dieser Terrasse lag, und ließ seine Blicke über den Garten und die Bäume der benachbarten Besitzungen schweifen. Diese tiefe Ruhe in dem stillen Winkel des Städtchens überraschte ihn, und die Schatten des Ernstes legten sich auf sein Antlitz.

      Hier ist es schön, sagte er leise.

      Darauf verfiel er wie geistesabwesend in ein tiefes Schweigen, so daß er erschreckt zusammenfuhr, als Mouret zu ihm sagte:

      Wenn Sie erlauben, mein Herr, gehen wir jetzt zu Tische.

      Auf einen Blick der Frau hin fügte er hinzu:

      Ich bitte das gleiche zu tun und einen Teller Suppe anzunehmen. Auf diese Weise brauchen Sie nicht in das Gasthaus zu gehen. Bitte ... machen Sie keine Umstände.

      Ich danke Ihnen herzlichst, aber wir haben gar keinen Hunger, erwiderte der Abbé ungemein höflich, so daß eine zweite Aufforderung ganz unnütz war.

      Hierauf begaben sich die Mouret wieder in das Speisezimmer, wo sie sich zu Tische setzten. Martha teilte die Suppe aus, man klapperte lustig mit den Löffeln, und die Kinder plauderten. Desirée lachte hell auf, da ihr der Vater eine Geschichte erzählte voller Freude, daß es endlich ans Essen ging. Unterdessen saß der Abbé unbeweglich auf der Terrasse und schien gar nichts zu hören. Als die Sonne unterging, nahm er den Hut ab, weil ihm zu heiß war. Martha, die bei dem Fenster saß, sah seinen großen, dicken Kopf mit kurzen Haaren, die an der Schläfe schon ergrauten. Ein letzter roter Sonnenstrahl beleuchtete diesen rauhen Soldatenschädel, auf dem sich die Tonsur wie die Narbe von einem Keulenschlage ausnahm. Dann verschwand das Sonnenlicht; die Schatten des Abends hüllten den Priester ein, und er war nur mehr ein schwarzes Profil in dem Aschgrau der Dämmerung.

      Martha wollte Rosa nicht rufen und holte deshalb selbst eine Lampe, worauf sie den ersten Gang auftrug. Als sie aus der Küche kam, begegnete sie am Fuße der Treppe einer Frau, die sie zuerst nicht erkannte. Es war Frau Faujas, die jetzt ein weißes Häubchen auf hatte und in ihrem wollenen Kleide, das über der Brust von einem rückwärts zusammengebundenen gelben Tuche bedeckt war, ganz wie eine Magd aussah. Sie keuchte noch von der soeben vollbrachten Arbeit, als sie in ihren plumpen Schuhen über den Korridor dahinschlürfte.

      Sind Sie fertig, Madame? fragte Martha lächelnd. Ja, erwiderte sie, im Handumdrehen war alles gemacht. Dann ging sie die Freitreppe hinunter und rief ihrem Sohne zu:

      Ovide! Liebes Kind! Willst du nicht hinaufgehen? Es ist alles bereit!

      Sie mußte ihren Sohn bei der Schulter berühren, um ihn aus seinen Träumereien zu reißen. Da es kühl wurde und ihn schon fröstelte, folgte er ihr, ohne ein Wort zu sagen. Als er an der Tür des Speisezimmers vorüberging, das in dem Lichte der Lampe erstrahlte und das Geplauder der Kinder ertönte, rief er hinein:

      Gestatten


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