Kleopatra. Alfred Schirokauer
Breit umfaßt ihn das heftige italische Frühlingslicht, verzaubert ihn zu einem glitzernden Pfeil. Er saust über die Aemilische Brücke – hoch geht der graue Tiber, vom Lenzwasser geschwellt – über die Steinplatten des Forums prasselt der Wagen – sie braucht die Peitsche – alles steht, alles starrt. Eine Frau, die kutschiert! – Eine Frau, die in Rom kutschiert! So kutschiert!! Diese Frau!! Es ist diesen gewichtigen Männern in den langwallenden Togen, als rasselten die erzumschienten Räder dieses fremdartigen Zweisitzers über ihre altgeheiligten Sitten und Rechte hinmähend fort.
Schon hat der kühle Schatten des Häusergewirrs des Velabrums das Gefährt verschluckt. Hoch auf spritzt der Straßenkot der letzten Frühlingsregen, spritzt über die Fußgänger hin, die sich in Angst und Erschrecken und Zorn zu beiden Seiten des schmalen Pfades an die Häuser pressen.
»Verflucht nochmal! Die hat's eilig!« schnaubt einer und reibt sich den Dreck vom Gesicht. »Wer ist denn das Luder?«
»Die Ägypterin.«
»Wer – die?!« Er pfeift durch die schwarzen Zähne. »Sapperment, der hat Schwein, der alte Kahlkopf, der Cäsar!« Er wischt sich genießerisch über die dicken Lippen.
Flüche, unflätige Rufe wettern hinter ihr her. Sie hört nichts. Der Widerhall der Räder zwischen den Häuserfronten ist zu stark, ihr spornender Eifer zu ungestüm. Schon ist sie in der verrufenen Subura.
Ein Kind vor den Hufen! Weibergekreisch. Im Bruchteil einer Sekunde prellen die Hengste auf die Hinterhand, knicken zurück, stehen mit zitternden Beinen, keuchenden Flanken. Ein Zungenlaut. Weiter. Um eine Ecke schwingt der Wagen, auf der Kante der rechten Felgen. Steht.
Die Zügel fliegen dem Numider zu. Sie ist heraus, eine kleine schlanke, sportlich gegürtelte Gestalt. Ist in dem verrotteten, zerfallenen Hause verschwunden.
Innen ist es wirtlicher. Die Hexe Canidia könnte im feinsten Viertel Roms wohnen. Sie scharrt das Gold zusammen. Aber sie weiß, Unheimlichkeit gehört zum Handwerk. Im Atrium, ihrem Wartezimmer, harren die Damen. Alle kommen sie zu dieser Zauberin mit ihrem Liebesleid und ihrem erotischen Kummer. Jede hat ihren Hausfreund, der Sperenzchen macht, untreu werden, zu ihrer besten Freundin hinüberwechseln will. Canidia kennt jeden Liebeszaubertrank, kennt jedes geheime Mittelchen, Sehnsucht und Lust zu wecken. Und kennt jedes sacht schleichende Gift der Rache der Verschmähten. Es ist keine sehr fröhliche Gemeinde, die sich hier versammelt. Nur die häßlichen, nur die älteren Damen, Frauen im gefährlichen Alter, harren hier auf den Eintritt ins Allerunheiligste der Hexe und ihrer Zauberkraft. Jugend und Schönheit bedarf ihrer nicht. Jugend und Schönheit sind selbst Zaubermittel.
Als Kleopatra in das Atrium einbricht – alles an ihr ist Verve und Schwung und stürmende Energie – allein ohne Gefolge, jede der andern Damen hat ihr Geleit, wendet sich jeder Kopf ihr zu. Da ist sie, diese Schande und Schmach Roms! Cäsar, der große Cäsar, Cäsar, der viele dieser erlauchten Damen intim, sehr intim kennt – welche Frau konnte ihm widerstehen, als er noch in den feudalsten Schlafzimmern pirschte ? – Cäsar hat diese Fremde, diese Ägypterin, aus Afrika mitgebracht – sie wohnt in seiner Villa drüben jenseits des Tiber – eine goldene Bildsäule von ihr hat er im Tempel der Venus Genetrix aufgestellt, befohlen, dieses Laster, seine Geliebte, als Göttin anzubeten!
Alle starren auf die kleine anmutige Gestalt in dem blaßlila Kleide, das eng und seidig an ihren geschmeidigen Gliedern niederrieselt. Unter der Brust ist es amazonenhaft gestrafft. Einige Zaghafte erheben sich – verneigen sich. Wer kann wissen? Cäsar ist allmächtig, und sie ist eine Göttin – Cäsar gebietet es. Andere, Kühnere, Stolzere, wenden sich rasch ab – übersehen die Königin des Nils.
Kleopatra grüßt liebenswürdig die Grüßenden, übersieht die empört Abgewandten. Ihr Gesicht ist sanft gerötet von der raschen Fahrt im Frühlingswinde. Eine Übereifrige bietet ihr den Sessel an. Sie dankt höflich.
Da gleitet der Vorhang von einer Tür. Die Hexe geleitet eine Kundin heraus. Sieht die Königin. Humpelt diensteifrig auf sie zu. Entführt sie.
Zornig, sensationslüstern, neugierig, flirrt es auf unter dem sonnenoffenen Dache. Man munkelt heftig durcheinander. »Wieso sie zuerst? Außer der Reihe? Ich warte seit zwei Stunden.« »Die arme Calpurnia!« »Arm? Gerade du hattest doch allen Grund, sie einst um Cäsar zu beneiden!« »Aber offen vor aller Welt seine Maitresse in seinem Hause zu unterhalten! Das ist doch ein starkes Stück für die offizielle Frau!« »Ich weiß nicht, was die Leute von ihrer Schönheit fabeln. Die Nase ist doch viel zu lang.« »Ich bitte dich, eine Negerin!« »Eine Negerin? Lächerlich. Sie ist Griechin vom reinsten Geblüt.« »Die – Griechin!«
Eine winkt ihrer Sklavin. Läßt sich Tafel und Griffel reichen. Notiert sorgsam Schnitt, Faltenwurf und Farbe des Kleides, das Kleopatra trägt. Andere sehen es, lächeln verächtlich und wissend. Und merken sich alles ohne Niederschrift. Die Königin gibt die Mode an in Rom.
In ihrem halbdämmrigen, absichtlich schaudervollen Sprechzimmer treibt Canidia ihren Hokuspokus. Läßt Dämpfe aufsteigen, wohlduftende Essenzen verqualmen und widerlichen Gestank aufätzen. Ihre Gehilfinnen Sagana, Veja, Folia jagen hin und her. Ab und zu schreien die Weiber rhythmisch auf.
»Künde mir die nächste Zukunft!« hat Kleopatra befohlen.
Canidia mixt in Mörsern, murmelt, seufzt, ächzt, als ringe sie sich unter Qualen die Prophezeiung ab. Die Königin kennt diesen Mumpitz. Auch in der Heimat ist sie Göttin. Wird sie als Isis verehrt. Hat hinter die Kulissen von Opferdienst und Mysterien geblickt. Weiß selbst nicht, ob sie an das Geheimnis glaubt oder nicht. Es ist in ihr, wie in den meisten Frauen, Menschen. Sie glauben nicht an ihren Aberglauben und frönen ihm doch. Sie ist nicht hier, um Entscheidendes zu hören. Nur um die Zeit zu betrügen, ihre Unrast zu betäuben. Sie hält es nicht aus in der einsamen Villa draußen auf dem Janikulum. Eine Laune, eine Verzweiflung hat sie aus den engen vier Wänden hergepeitscht.
Jetzt liegt Canidia flach vor ihr auf dem Bauche.
Aus hohler Brust keucht sie hervor: »Königin einer Welt wirst du sein – ehe zweimal die Sonne sinkt und – –«
Da packt Kleopatra der Ekel. Vor der Hexe und vor sich und ihrer Erniedrigung. Was soll ihrem skeptischen hellen Verstande dieser Mummenschanz! Sie greift in den Seidenbeutel am Gurte ihres Kleides. Schleudert dem Weibe ihren Goldbeutel an den Kopf. Ist draußen. Die Sonne, das grelle Stahlblau des Himmels, das aus dem offenen Viereck in der Decke des Atriums über sie herfällt, blendet sie. Doch rasch und hoheitsvoll, Königin, geht sie durch die Sitzreihen der Damen. Erwidert ehrerbietigen Gruß.
Draußen hat sich um den exotischen Wagen das Gesindel der Subura angestaut. Schmierige Kinder staunen aus runden kohlschwarzen Augen. Der Numider kann der Herrin nicht Bahn brechen. Er muß die Hengste halten, die unruhig den Sand der Straße scharren. Schaumspritzer zerrinnen auf ihren heftig atmenden Flanken. Kleopatra bricht sich selbst Bahn. Das Volk weicht zurück. Um ihre kleine Figur weht etwas Bezwingendes, Achtunggebietendes, Unwiderstehliches. Sie springt hinauf, ehe der Numider helfend zugreifen kann. Faßt die Zügel.
»Platz da!« warnt der Begleiter.
Die Kinder stieben zurück.
Sie bewegt kaum die Zügel, kaum die Lippen. Die Renner beugen sich in dem Gelenk der Hinterbeine – setzen mit starkem Sprunge an. Die Gassen läuten das Gerassel der Stahlräder wider.
Heraus aus der Subura. Schon winken sonnenüberglänzt Tempel und Basiliken des Forums. Ein Senator in roten Schuhen, den Purpursaum am Kleide, springt zurück vor den Hufen der Tiere. Der Schreck entlockt ihm einen unbeherrschten Zornesruf: »Verfluchtes Weibsstück!«
Sie streckt ihm gassenbübisch die kleine spitze Zunge heraus.