Kleopatra. Alfred Schirokauer

Kleopatra - Alfred Schirokauer


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die Sinne aufflammen in Schmerz.

      Was haben diese Menschen? Warum sprechen sie nicht? Es kann doch nur Gutes –

      »Herrin, laß nicht mich entgelten –«

      Hinter ihrer Stirn ist es weich, wolkig. Eine Ahnung. Irrsinn! Im Senat haben sie den Antrag gestellt. – Was haben diese Menschen? Da noch mehr – das Gesinde – der Hofstaat – was wollen die alle hier? – Was bedeutet dieser Auflauf? Täuscht sie sich oder sehen die wirklich alle so bestürzt – zerflattert aus?

      »Was ist?« stößt sie trotz aller Härte unsicher hervor.

      Der Bote starrt auf seinen verletzten Arm. Ein blutblauer Fleck hat sich dort gebildet. Sie pufft den Mann mit der geballten Faust in die Brust. »Willst du endlich reden?«

      Er taumelt auf. »Herrin – Cäsar –«

      Er bricht ab.

      »Was ist mit Cäsar?« Cäsar ist jetzt doch König. Warum stockt der Mann schon wieder, Todesgrauen weiß in den Pupillen? Warum blickt er zerquält, Hilfe suchend auf die andern? Was stehen sie alle und senken schreckhaft den Blick –?

      »Was ist mit Cäsar?« Ihre Stimme klingt ihr fremd und nie gehört.

      »Cäsar ist – ermordet!«

      Sie hat das Gefühl, daß sie stürze. Klaftertief, von einem hohen Turm zur Erde nieder. Gleich wird sie auf den Boden aufschlagen – furchtbar, zerreißend, zerschmetternd. Sie wartet auf den Aufschlag auf die Erde. Fühlt das Vorübersausen der Luft an den Schläfen – in den Ohren – wartet auf den Aufprall – weiter nichts – weiter weiß sie noch nichts.

      Der Aufprall kommt nicht. Sie sinkt, sinkt in rasender Eile – immer tiefer – tiefer. Sie weiß nicht, daß sie steht und schwankt – hin und her – nach vorn und zurück schwankt auf den Sohlen der Schuhe.

      Dann hört das brausende Hinabstürzen plötzlich auf. In dem Hirn wird eine Öffnung. Eine Helle klafft herein. Was hat er gesagt? Aus den Tiefen des Bewußtseins klimmt es schwarz empor. Da hat doch Einer etwas gesagt. Wer? Sie hebt den Blick. Die Augen sind umflort, die unteren Lider schwimmen in Blut.

      »Was hast – du – gesagt?« fragt sie, jedes Wort regnet nieder, schwer, einzeln wie dicke Gewittertropfen auf ein Kupferdach.

      »Cäsar ist im Senat ermordet worden«, flüstert der Läufer. Er weiß, gleich wird ihr Jähzorn ausbersten und ihn vernichten.

      »Noch einmal!«

      »Cäsar ist im Senat ermordet worden.«

      Sie blickt den Mann starr an. Ihre grünen Augensterne, die in einer blauen Iris stehen, sind wie die Augen einer Schlange, die zum Angriff vorstoßen will.

      Langsam umklammert das Gehirn die Kunde. Langsam, schwerfällig begreift das fein ziselierte flinke Gehirn. Dann öffnen sich die Lippen. Es dauert noch, ehe ein Laut hervorbricht. Dann gellt diese wunderbare Altstimme, die ein Menschenruhm ist von Alexandrien bis Rom über alle Lande des Mittelmeeres hin, zerrissen, zerfetzt zum Himmel empor.

      »Nein – nein – du lügst – du Hund. Du lügst!«

      Der Läufer beugt das schwarze Haupt unter sein Geschick.

      »Du lügst! Das ist nicht wahr! Das kann nicht wahr sein!!«

      Es schrillt hinaus in die weiten Gärten, die rings die Villa umhegen. Sie weiß längst, daß es wahr ist. Ein Krampf, ein Wahn, der nach ihr tastet, eine widerstrebende Wut will es nicht wahr haben. Da taumelt sie. Mardion, der Eunuch, greift zu. Bewahrt sie vor dem Fall. Charmion schiebt ihr den Rand eines Sessels in die Kniekehlen. Sie bricht rücklings nieder. Fällt hinein, steif, ungelenk, ohne Beugung der Hüfte. Liegt ausgestreckt. Charmion, die sorgsame, selbst vernichtete, weht das Gefolge aus dem Raum. Nur den Boten hält sie zurück. Eiras bringt Essenzen, Belebungsmittel, reibt der Herrin die Schläfen, die Stirn, das Herz.

      Kleopatra richtet sich auf. Ihr Gesicht ist gelb und verfallen. Doch sie hat sich in der Hand. Sie winkt dem Boten, ganz matt, kaum merklich.

      »Wer hat – Cäsar ermordet?«

      Der Mann muß sich tief zu ihren Lippen hinabbeugen. Ihre Frage ist ein Hauch.

      »Marcus Brutus, Gajus Cassius – Decimus Brutus, viele – alle.«

      Sie neigt wieder den Kopf, die Hände auf die Armlehne des Sessels gerammt, den Oberkörper vorgebeugt, das Gesicht nach unten. Ihr Nacken steht wachsweiß gegen das schwarze Haar.

      Ohne sich aufzurichten, stöhnt sie hervor, es ist wie würgendes Erbrechen:

      »Auch – Decimus – Brutus?«

      »Ja, Herrin.«

      Da sackt sie zusammen. Das Gesicht schlägt auf die Oberschenkel nieder. Der Mund preßt sich auf die Knie, ein Aufheulen pfeift zwischen Mund und Knien wimmernd hervor. Im Augenblick weiß ihr unbeirrbarer Verstand alles. Sie haben ihn in die Senatssitzung gelockt, ihm vorgegaukelt, sie wollten ihn zum König erheben, – um ihn zu ermorden. Sie sieht alles, sie weiß alles. Ihr Gehirn rast weiter. Sie züngelt auf wie eine verheerende Flamme. Der Bote, die Mädchen sehen sie entsetzt. Sie lodert durch die Veranda. Von ihrem Munde schäumen Worte.

      Nein, nein. »Ermordet« – »List« – »Verrat« – das sind Worte – Worte nur – Laute. Worte können das Weltgeschehen nicht ändern – nicht aufhalten – können nicht Reiche stürzen. Das ist nicht wahr – das kann keine Wirklichkeit sein, die zählt, die gilt! Sie läuft ziellos umher, kommt zurück, wirft sich wieder in den Sessel. Der Kopf fällt wieder haltlos tief herab. Laute, zerpreßte Schreie gurgeln hervor. Dann wird sie still, ganz still. Ihr Scheitel zittert.

      Andere Boten. Nachrichten prasseln auf sie nieder. Sie winkt nur mit einem Finger Gewährung. Keiner weiß, ob sie hört, begreift.

      »Dreiundzwanzig Dolchstiche – er liegt am Fuße der Säule des Pompejus – alles flieht – schließt die Häuser – die Straßen sind von Entsetzen verödet.«

      Sie versteht alles, hält das verwüstete Haupt dem Hagelschauer der Nachrichten hin. Der schimmernde schwarze Scheitel zittert.

      V.

      Dann schnellt die Ewig-Ruhelose wieder empor. Die Mädchen, die selbst zu erschüttert, zu verloren sind, Trost zu finden für sie, weichen ängstlich zurück. So fremd, so furchtbar ist sie.

      »Ich will – hin.«

      Da platzt ein neuer Bote herein. Sie haben die Leiche in sein Stadthaus getragen.

      Kleopatra lehnt gegen die Wand des Peristyls. Sie will Haltung bewahren. Sie muß. Noch ist sie Königin. Im Hause Calpurnias ist er! Der gehört er nun. Sie ist nur die Geliebte.

      Sie wankt ins Haus. Charmion will sie stützen. Mit hängenden Händen winkt sie ab. Ihre blauen Lippen flüstern: »Geht – geht alle.«

      Dann sitzt sie mutterseelenallein, wie jeder im furchtbarsten letzten Weh allein ist, an dem Tische, vor dem Stuhle, auf dem er gestern – vor kaum sechzehn Stunden gesessen hat, leibhaft, lebendig, wohl krank und siech, aber voll Odem, voll Plänen, voll Zukunft. Voll Leben! Sie starrt auf den leeren beredten Stuhl. Sie will den


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