Reise Know-How Reiseführer Marokko. Erika Därr
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Gemüsehändler in der Altstadt (Medina)
In den Hauptgassen herrscht Markttreiben – in den nach Branchen sortierten Souks, den Geschäfts- und Handwerksvierteln, kaufen die Einheimischen alles für den täglichen Gebrauch: von Lebensmitteln, Dschellabas und Schuhen bis zur Teekanne. In der im Vergleich zu Marrakesch und Fès recht kleinen Medina von Tanger findet man sich dank der zweisprachigen Schilder in den Gassen ganz gut zurecht. Die ummauerte Kasbah ist das älteste Viertel der Stadt und gehört zur Medina.
Rue as Siaghin
Das Stadttor Bab el Fahs am nordöstlichen Ende des Grand Socco führt auf die Rue as Siaghin, über die man in die Medina gelangt. Die gepflasterte Gasse verbindet den Grand Socco außerhalb der Stadtmauern mit dem Petit Socco im Inneren der Altstadt.
Besonders abends herrscht hier Hochbetrieb: Familien flanieren die Gasse rauf und runter, trinken Tee oder kaufen in den vielen Läden Kleider, Uhren und allerlei Krimskrams ein. Touristen finden in der Rue as Siaghin Wechselstuben und Souvenirshops. Die geschäftige Hauptgasse der Medina geht bis auf römische Zeiten zurück – der Decumanus Maximus (die Hauptorientierungsachse) verlief von Westen nach Osten quer durch die römische Stadt Tingis, wie Tanger früher hieß. Der heutige Petit Socco befindet sich genau an der Stelle, wo sich damals das Forum befand. Die Bezeichnung „Siaghin“ geht auf die Silberschmieden zurück, die früher in der Gasse angesiedelt waren. Entlang der gesamten Rue as Siaghin reihen sich Häuser aus der Kolonialzeit mit schmiedeeisernen Balkonen und großen Fenstern aneinander – völlig untypisch für marokkanische Altstädte, in denen sich die fensterlosen Häuser sonst nach innen zum Hof orientieren.
Etwa auf halber Höhe zwischen Grand und Petit Socco befindet sich die Iglesia de la Purísima mit weißrosafarbenem Anstrich (51, Rue as Siaghin). Der spanische Franziskanermönch José Lerchundi ließ die „Kirche der Unbefleckten Empfängnis“ 1880 errichten. Das katholische Gotteshaus mitsamt Glockenturm ist das einzige seiner Art inmitten einer marokkanischen Altstadt. Heute leben Schwestern vom Orden der Mutter Teresa („Missionarinnen der Nächstenliebe“) hier, die sich besonders für alleinstehende Mütter und Straßenkinder in Tanger engagieren. Tanger ist seit 1956 Sitz des Erzbistums, das heute nur noch rund 2500 Gläubige zählt.
Petit Socco
Der Petit Socco (arab. Souk Dahkel) markiert das Herz der Medina – er war früher der zentrale Marktplatz. In Tangers Zeit als Internationale Zone befanden sich hier die wichtigsten Banken, das legendäre Hotel Fuentes und das spanische Telegrafenamt. Bis in die 1930er Jahre bildete der Petit Socco das Zentrum von Handel und Stadtleben in Tanger. Später verlagerte sich der Stadtkern in die neuen Viertel außerhalb der Stadtmauern.
Seit Anfang des 20. Jh. ist der „Kleine Platz“, wie er übersetzt heißt, für seine traditionellen Cafés bekannt, in denen sich zur Blütezeit Tangers die illustre internationale Gesellschaft aus Diplomaten, Künstlern, Autoren, Schmugglern und Drogendealern traf. Heute sitzen hier Marokkaner auf den Terrassen, schlürfen thé à la menthe, rauchen und plaudern. Eines der Lokale ist das Café Tingis (vgl. „Essen und Trinken“), das im Erdgeschoss eines weißgelb gestrichenen Kolonialgebäudes mit europäischer Architektur untergebracht ist. Im Café Centrale bleiben meist auch allein reisende Frauen ungestört.
Gleich hinter dem Petit Socco links, an der Einmündung zur Rue de la Marine, befindet sich das Gebäude der Alten Bank von Marokko (Antiguo Banco de Marruecos) mit seinen großen Mashrabiya-Fenstern (Gitterfenster aus gedrechseltem Holz) und einem typisch maurischen Portal. Auch das einst luxuriöse Hotel Fuentes – in dem Charles Camille Saint-Saëns (1835–1921) den „Danse Macabre“ komponierte – existiert noch. Es befindet sich auf der Südseite des Petit Socco, gegenüber dem Café Centrale. Die heute sehr einfache Pension ist aber nicht zu empfehlen.
Old American Legation Museum
Die American Legation war das erste amerikanische Staatsmonument außerhalb der USA. Heute ist in den sehenswerten Gebäuden der Amerikanischen Gesandtschaft ein Museum untergebracht, das Tangers Zeit als Internationale Zone und die Geschichte der amerikanisch-marokkanischen Beziehungen dokumentiert.
Marokko war 1777 das erste Land, das offiziell die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika anerkannte. Sultan Moulay Slimane (um 1760–1822) schenkte das prächtige Hofhaus auf der Ostseite der Gasse im Jahr 1821 dem damaligen amerikanischen Präsidenten James Monroe als Zeichen der amerikanisch-marokkanischen Freundschaft. Das Gebäude auf der Westseite wurde 70 Jahre später angebaut. Bis zur marokkanischen Unabhängigkeit 1956, als die ausländischen Vertretungen in die neue Hauptstadt Rabat zogen, war hier die Amerikanische Gesandschaft untergebracht. Heute dient das Tangier American Legation Institute for Moroccan Studies als Museum, Kulturzentrum und Bibliothek.
Die Tour durch das Museum startet im Obergeschoss auf der Westseite der Rue d’Amérique. In originalgetreu mit Antiquitäten eingerichteten Salons sind historische Skizzen, Ölgemälde und alte Dokumente ausgestellt. Hier herrscht das ehrwürdige Ambiente einer Kolonialvilla.
Ganz anders sieht es aus, wenn man über den Balkon in das ältere Gebäude auf der anderen Gassenseite wechselt. Die Räume gruppieren sich um einen duftenden Hofgarten mit Springbrunnen. Im Inneren kann man typische Elemente maurischer Palastarchitektur bewundern: Mosaike, Stuck, Zedernholzdecken und gedrechselte Fenstergitter. Zwei Vitrinen zeigen einen Teil der Zinnsoldatensammlung, die früher im Musée Forbes (heute Palast Dar el Mendoubia) untergebracht war. Zwei Zimmer im Erdgeschoss widmen sich dem US-amerikanischen Schriftsteller Paul Bowles (1910–1999), der in Tanger lebte.
Zurück im Erdgeschoss des ersten Gebäudeteils geht es durch die Bibliothek, in der es englischsprachige Literatur über Tanger zu kaufen gibt. Außerdem findet man hier einen Austellungssaal mit marokkanischer Kunst des 20. h.
Am Ausgang wartet eine Spendenbox auf den Besucher – so kann man zum Erhalt dieses Denkmals der amerikanisch-marokkanischen Freundschaft beitragen.
Große Moschee (Jamaa Kebira)
Marschiert man vom Petit Socco weiter geradeaus die Rue de la Marine hinunter, so fällt nach weniger als 100 m das prächtige Eingangsportal der Großen Moschee auf der rechten Seite ins Auge. Das rechteckige Minarett schmücken die für islamische Heiligtümer typischen grünen Kacheln. Sultan Moulay Ismail (um 1645–1727) ließ die Moschee im 17. Jh. errichten, später wurde sie mehrfach erweitert und renoviert.
Die Gasse endet wenige Meter weiter vor den Treppenstufen zur Bastion Borj al Hajoui neben dem Stadttor Bab Marsa. In der kleinen Festung stehen zwei massive, aufs Meer gerichtete Kanonen aus dem 19. Jh. Von der erhöhten Plattform blickt man auf Fischer- und Jachthafen. Geht man an der Großen