Schlangentanz. Patrick Marnham

Schlangentanz - Patrick Marnham


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ein Marineoffizier und Militärtheoretiker, gegen den Vorschlag eines Verbots von »Stickgasen« den Einwand, dass er »den Erfindungsgeist der amerikanischen Bürger« nicht einzuschränken wünsche. Der britische Abgeordnete wiederum lehnte das Verbot von Dum-Dum-Geschossen (einer britischen Erfindung) mit der Begründung ab, es sei die einzig wirksame Methode, die Wilden daran zu hindern, auch verwundet weiter anzugreifen. Dennoch wurden die militärischen Möglichkeiten in diesen beiden Punkten beschnitten. Es war, als lege ein martialisches olympisches Komitee unmittelbar vor Beginn der Wettkämpfe die Regeln fest.

      Am 4. August 1914 erklärten die Großmächte diese Spiele für eröffnet. Elf Tage später feierten die Vereinigten Staaten, eine noch im Frieden lebende Nation, die Einweihung des Panamakanals. Und so strömten die stillen Wasserwege, die Conrads Erzähler Marlow beschrieben hatte, beidseits des Atlantiks dahin. Noch im Jahr 1915 bestieg ein englischer Geologe, der von der Union Minière du Haut Katanga zum Kupferschürfen eingestellt worden war, in einem Wald südlich des kongolesischen Kuba einen Hügel namens Shinkolobwe und erkannte, dass er auf einem sehr großen Uranvorkommen stand.

TEIL ZWEI

      KAPITEL VIER

      Das Land des Überflusses

      »Das Wort ›Demokratie‹ in einem Satz wie ›… Demokratie einführen …‹ bedeutet meistens ›Pipeline‹.«

      BEMERKUNG EINES EHEMALIGEN MITGLIEDS DER US-KÜSTENWACHE (2013)

      »Willkommen im Land des Überflusses. Unser Motto lautet: ›Werde fett, wenn du kannst!‹« Dem Kellner im Hotel ist die Bestürzung aufgefallen, mit der wir auf unsere überladenen Teller starren. »Sahne und Zucker stehen auf dem Tisch, Sir.« Es ist aber keine Sahne, sondern dünne Milch, die in die Tiefen des Kaffees hinabsinkt, fast widerwillig, als würde sie ertrinken. Sie taucht auch nicht wieder auf. Man muss immer mehr hineinschütten, bis der Kaffee endlich etwas heller wird. Wir sind in New Mexico; die Filmcrew sondiert das Terrain.

      Am Sonnenhafen gibt es auch eine ausgezeichnete Autovermietung. Nachdem man den üblichen Papierkram erledigt hat, betritt man einen schattigen Parkplatz, auf dem Hunderte fast fabrikneuer Autos mit den Schlüsseln im Zündschloss nach Größe gruppiert herumstehen. Man macht seine Preisgruppe ausfindig. »Suchen Sie sich irgendein Auto zwischen den Nummern 72 bis 90 aus.« Irgendein Auto? Es gibt rote, weiße, metallic-glänzende. Alle Türen stehen offen, alle Schlüssel stecken. Man fühlt sich wie ein Kind im Spielzeugladen – für welches soll man sich denn entscheiden? Etwas später überkommt einen das Bedürfnis, sich heulend auf den Boden zu schmeißen und mit allen vieren den Asphalt zu bearbeiten. Der Filmemacher steigt in ein grünes Auto und schaltet das Radio ein. »Biiig 98,5 mit Barbara!« Eine Männerstimme. »Jaaa, gleich kommt Barbara. Setz schon mal deine Radiobrille auf … Biiiig 98,5 … Oldies den ganzen Tag und immer zur vollen Stunde die Beatles.« Zu alledem die Sonne und die Wüste und der Himmel, und dabei hatten wir die Autovermietung noch nicht einmal verlassen. Willkommen im Land des Überangebots. Willkommen im Land des Überflusses.

      An jenem Morgen fand in Albuquerque ein Ballonfestival statt; wo man auch hinsah, überall stiegen diese großen, bunten, harmlosen Objekte in die Höhe, um zur Feier eines weiteren wunderbar milden Tages am internationalen Sonnenhafen im Himmel zu schaukeln. Wie sie einander dort oben langsam umkreisten und ohne erkennbares Ziel umherschweiften, erinnerten sie mich an die Laputaner bei Swift, die auf einer am Himmel schwebenden Insel leben und in tiefes Nachdenken versunken oder mit obskuren Berechnungen beschäftigt sind. Im Stadtführer waren sechsundzwanzig Museen und Parks aufgelistet, von denen mich besonders das Computerchip-Museum und das Internationale Klapperschlangenmuseum reizten. Doch stattdessen nahm ich die Interstate 25, um mir eine noch exotischere Ausstellung anzusehen, nämlich die des Nationalen Atom-Museums1 am Rande der Luftwaffenbasis Kirtland.

      Mir fiel ein, dass bei meinem vorangegangenen Besuch eine ziemlich klapprige B-29 Superfortress vor dem Museum gestanden hatte. Es handelte sich um das Flugzeug, von dem die Bombe abgeworfen worden war. Auf dem Gelände fanden sich ein paar Informationstafeln. Demnach war die B-29 als »Waffe zur Verteidigung der Hemisphäre« im Februar 1940 vom Kriegsministerium in Auftrag gegeben worden. Sie war eine militärische Wunderwaffe, die Bomben mit einem Gewicht von 7260 Kilo bei einer Geschwindigkeit von 640 Stundenkilometern 4350 Kilometer weit tragen konnte. Diese Anforderungen beruhten auf den Informationen, die »der erbitterte Luftkrieg über Großbritannien und dem europäischen Festland« lieferte. Der erste Prototyp der B-29 startete am 21. September 1942 vom Boeing Field in Seattle. Fünf Monate später starben der leitende Testpilot und seine zehn Mann umfassende Crew bei einem Probeflug mit der B-29 Nr. 2. »Der tragische Unfall wurde durch ein Feuer im Triebwerk ausgelöst, ein Problem, das die B-29 immer wieder heimsuchen sollte.« Die Verwendung des Wortes »heimsuchen« verblüffte mich. Hunderttausende sind durch diese Flugzeuge getötet worden, hauptsächlich Zivilisten. Und die Crews wurden von der Angst vor Triebwerksbränden »heimgesucht«. Während ich dies las, flatterte eine Taube, die auf der gläsernen Nase des Flugzeugs gesessen hatte, über die Antriebswelle von Nr. 3 und hüpfte dann ins Triebwerk. Die Bombenklappen des Flugzeugs waren geöffnet, sodass man in den Schacht hinaufblicken konnte, aus dem »dieser technische Schnickschnack«2 über Nagasaki abgeworfen worden war.

      Besonders frappierend an dem Museum ist der vorherrschend überschwängliche Ton. Die B-29 ist zu einem festen Bestandteil des nationalen Heldenmythos geworden. Wenn Senator Joe McCarthy militärisch noch etwas glaubwürdiger wirken wollte, flocht er ein, dass er als Heckschütze in einer B-293 für ein 20-Millimeter-Geschütz verantwortlich gewesen sei. Bis zu 470 dieser Flugzeuge wurden bei Angriffen in Bombengeschwadern eingesetzt; in einer einzigen Nacht kamen bei einem dieser Angriffe 80000 Menschen durch hochbrisanten Sprengstoff ums Leben. Der Tonfall des Museums ist einem seiner Exponate entlehnt, nämlich der Titelstory der New York Daily News vom 7. August 1945: »atombombe zwingt japsen in die knie – Haut rein wie 2000 vollbeladene B-29. ›Weitere unterwegs‹, warnt Truman.« Im Gästebuch steht: »Bomben sind klasse. Warum werfen wir nicht noch ein paar ab?« Ein Teil des Museum ist dem »Aufstieg und Fall des Kommunismus« gewidmet, ein anderer, größerer der »Rechtfertigung der Bombe«: »1940 standen die Deutschen kurz davor, ihren ersten subkritischen Uranreaktor zu bauen … 1941 waren sie dabei, den Wettlauf um die Atombombe zu gewinnen. Sie hatten eine Schwerwasserfabrik, hochwertiges Uran … und die größte chemotechnische Industrie der Welt.« Im Museum sind viele Bomben ausgestellt, unter anderem die Hüllen von Little Boy und Fat Man, die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Jüngere Besucher, etwa im Alter der Enkel von Dr. Seltsam, versuchen manchmal hinaufzuklettern.

      Bei einem meiner Besuche führte mich ein lockerer Luftwaffenveteran, der zur Zeit der Kubakrise 1962 in Deutschland stationiert war, durch die Ausstellung. Am Ende des Rundgangs riskierte er eine überraschende


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