Katharina Schratt. Georg Markus
den ersten Auftritten Katharina Schratts feierte ein beliebter Darsteller seinen Abgang: Ludwig Dessoir verabschiedete sich vom Berliner Publikum. Als er, Jahrzehnte zuvor, zum ersten Mal auf derselben Bühne gestanden war, wo jetzt die Schratt debütierte, hatte er soeben seinen wirklichen Namen Dessauer durch das wohlklingende »Dessoir« ersetzt. Was sich offensichtlich nicht sofort bis zum Theaterdiener herumgesprochen hatte, denn als der Mime diesen fragte, wie man zur Herrentoilette käme, antwortete das Faktotum des Hauses: »Das kann ich Ihnen sagen, Herr Dessauer, Sie gehen jetzt …«
»Ich heiße Dessoir«, unterbrach ihn der eitle Schauspieler unwirsch. »Und jetzt sagen Sie mir endlich, wie ich hinkomme!«
»Jawohl, Herr Dessoir, das Pissauer ist gleich dort hinten rechts.«
Schon wenige Wochen nach ihrem Debüt am Hoftheater zu Berlin wurde Katharina Schratt zu einem Gastspiel in den romantischen Badeort Ems an der Lahn verpflichtet, was insofern eine besondere Ehre darstellte, als hier alljährlich Kaiser Wilhelm I. seinen Sommerurlaub verbrachte. Was Bad Ischl für Franz Joseph, war Ems für Kaiser Wilhelm.
Und Wilhelm I. war dann auch der erste Kaiser, den die Schratt zu betören wußte. Der deutsche Korrespondent eines Wiener Blattes vermeldete nämlich im Juni 1872: »Besonders Kaiser Wilhelm hat auch an Fräulein Schratt – um uns nobel auszudrücken – ›einen Narren gespeist‹ und sowohl die Vorstellungen Sie hat ihr Herz entdeckt als Erziehungsresultate und Jugendliebe mit seiner Gegenwart beehrt.« Eine andere Zeitung berichtete: »Der Kaiser fehlte bei keiner Aufführung und schien stets beste Laune mitzubringen.«
Im selben Sommer gastierte sie auch noch am Badener Stadttheater, wo sie als »Heimgekehrte« gefeiert wurde. Die Lokalblätter begrüßten die erst 19jährige mit wahren Hymnen, sogar eigens für sie verfaßte Gedichte wurden aus Anlaß ihres Einzugs in Druck gegeben und an der Theaterkasse verteilt: »Sei uns begrüßt im Thal, dem trauten, Wo Deine Wiege stand umrauscht … «
Die nächste Spielsaison brachte der Schratt neue Aufgaben. Das Berliner Fremden- und Anzeigenblatt meldete: »Während Frl. Schratt bisher nur in den naiven Rollen beschäftigt war, zeigte ihr Käthchen von Heilbronn, daß ihr Talent durchaus nicht in enge Schranken gebannt sei, gerade das sentimentale und jugendlich tragische Feld dürfte dasjenige sein, auf dem der Künstlerin die reichsten Lorbeeren erblühen werden.« Der Kritiker brachte noch einen Seitenhieb an: »Etwas lauter könnte Frl. Schratt zuweilen sprechen, das ist aber nur ein kleiner Fehler, leicht abzulegen.«
Bearbeitet wurde diese Käthchen-Inszenierung von Heinrich Laube, dem Direktor des Wiener Stadttheaters. Er war bei der Premiere selbst anwesend und machte der Schratt während seines Berlin-Aufenthalts ein neuerliches Angebot, zu ihm nach Wien zu kommen.
So erfolgreich das deutsche Engagement für die Schratt gewesen war, es endete doch mit einem Eklat: Um das – jetzt bessere – Angebot Laubes annehmen zu können, reiste sie einfach aus Berlin ab. Katharina Schratt wurde vertragsbrüchig. Es folgte ein langwieriger Prozeß, der sich durch mehrere Instanzen zog. Nach Jahren erst wurde sie endlich vom Wiener Hof- und Gerichts-Advokaten Dr. Max Neuda verständigt, daß sie »von jeder Pönalstrafe befreit« wurde. Die Gerichtskosten, die sie zum Teil bezahlen mußte, waren allerdings beträchtlich. Doch nun war sie an Laubes Stadttheater in Wien.
DER SKANDAL MIT DER MASKE
Wiener Stadttheater und Petersburger Zwischenspiel
Wien, im Frühjahr 1873. In der Rotunde findet die Weltausstellung statt. Kaiser Franz Joseph trifft bei der Eröffnung mit dem russischen Zaren, Kaiser Wilhelm von Deutschland und König Viktor Emanuel von Italien zusammen. Eine Woche später findet die glorreiche Gründerzeit mit dem historischen Börsenkrach ihr jähes Ende. Industrielle, Kaufleute und Bankiers hatten sich zu wilden Spekulationen hinreißen lassen und damit Schiffbruch erlitten. Zahlreiche Pleiten sind die Folge.
Ein Jahr zuvor hatte Dr. Heinrich Laube die Direktion des neueröffneten Stadttheaters auf der Seilerstätte übernommen. Für die Wiener war das die Sensation gewesen, denn die Person Laubes hatte bereits seit Jahrzehnten für Gesprächsstoff gesorgt. Schon als provokanter Schriftsteller des »Jungen Deutschland« hatte der gebürtige Schlesier solche Aufregung hervorgerufen, daß er in Preußen zu Festungshaft verurteilt wurde. 1848 schloß er sich der Revolution an, später war er, für viele überraschend, Direktor des Wiener Burgtheaters geworden – und zwar einer der erfolgreichsten, die diese Bühne je erlebt hat. Selbst ein bedeutender Autor und Regisseur, pflegte er besonders das klassische Drama und brachte das Hoftheater zu einer neuen Blüte. Laube gilt als Entdecker der Charlotte Wolter und Adolf von Sonnenthals. Auch als Grillparzer-Biograph machte er sich einen Namen.
Aus dem Burgtheater schied er – wie das in Wien so üblich ist – mit einem Skandal: Nachdem man ihm den Dramatiker Friedrich Halm als neuen »Generalintendanten« vor die Nase gesetzt und Laube einige seiner angestammten Rechte genommen hatte, kündigte er und zog beleidigt ab, um zunächst als Kritiker über die »Burg« und deren neuen Direktor Dingelstedt in verschiedenen Zeitungen herzuziehen. 1872 nahm er dann die erste Gelegenheit wahr, ein eigenes Theater zu gründen – das Stadttheater.
Kaum war die Schratt bei Laube, stand auch sie sofort im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Nun war sie auch hier – im Gegensatz zu dem Angebot, das ihr Laube noch ein Jahr zuvor gemacht hatte – im »Ersten Fach« engagiert. Sie hatte sich schon in der Theater-Akademie und in der Berliner Spielzeit durch eifriges Rollenstudium ein nicht unbeträchtliches Repertoire geschaffen. So konnte sie jetzt bei Laube eine Rolle nach der anderen übernehmen, ohne sie erst lernen zu müssen. Sie spielte – wie schon in Berlin – die Titelrolle in Heinrich von Kleists Käthchen von Heilbronn, sie war ebenfalls ein Käthchen in Shakespeares Widerspenstiger Zähmung – in jener Vorstellung, in der sie, wie erwähnt, zum ersten Mal von Kaiser Franz Joseph gesehen wurde – und gefiel dem Publikum in unzähligen Komödien und Schwänken als jugendliche Naive.
Doch sowohl ihr Direktor als auch Katharina Schratt selbst wußten, daß in ihr mehr Talent steckte. Laube sprach es als erster aus: Sie spielt im falschen Fach! Er war es dann auch, der das komische Talent der bisherigen Naiven entdeckte und aus ihr eine Charakterdarstellerin werden ließ. In einem Zeitungsartikel meinte er Jahre später: »Schratt, ein bildhübsches Mädchen, hatte im ›Käthchen von Heilbronn‹ ihr Glück gemacht, mit anderen sentimentalen Rollen aber nicht sonderlich gewirkt. Wie herkömmlich, warf man ihr bereits die Schönheit vor, welcher ihr Talent nicht gleichkomme. Da entdeckte ich, daß reale Aufgaben, naiv-komische, kurz, was die Franzosen ›une ingénue‹* nennen, eine Fülle von Talent in ihr weckten. In diesem Fache wurde sie dann binnen kürzester Zeit eine erste Schauspielerin … Soll sie sentimental spielen, so muß sie den Ton suchen und findet ihn schwer. Heiter, noch besser lustig, ist er von selbst da.«
Die komödiantische Charakterdarstellerin Katharina Schratt wurde sehr bald das Zugpferd des Stadttheaters, ihr Name auf dem Spielplan garantierte volle Häuser. Doch hatte es die völlig subventionslose Bühne trotz aller Erfolge nicht leicht, sich gegen die Konkurrenz des mit fast grenzenlosem Reichtum ausgestatteten Hofburgtheaters durchzusetzen. Zudem waren am »Schwarzen Freitag«, dem großen Börsenkrach, auch etliche der privaten Financiers Laubes in arge Schwierigkeiten geraten. Laube, dessen aufwendige Inszenierungen immer kostspieliger wurden, überwarf sich mit seinen Geldgebern und legte – wieder einmal – die Direktionsgeschäfte nieder. Fräulein Schratt fühlte sich ihrem eigentlichen Entdecker und Förderer gegenüber verpflichtet und kündigte ebenfalls.
Waren die Eltern froh gewesen, ihr Töchterchen vom entfernten Berlin wieder im nahen Wien zu haben, so stürzte sie die Kathi nach ihrem Abgang vom Stadttheater in noch ärgere Verzweiflung. Diesmal nahm sie nämlich ein Engagement an, das sie noch viel weiter von zu Hause forttreiben sollte: Sie ging an das Deutsche Hoftheater der Zarenresidenz Petersburg. Doch währte dieses Engagement nur kurze Zeit. Nachdem sich Laube wieder mit seinen Geldgebern geeinigt hatte, kehrte auch Katharina Schratt nach Wien zurück. Aus ihrer Korrespondenz mit den Eltern geht hervor, daß sie es allerdings »auch ohne Stadttheater-Angebot