Katharina Schratt. Georg Markus

Katharina Schratt - Georg Markus


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belesen. Wenn ihr ein Theaterdirektor über die Sommerferien oder für den Kuraufenthalt in Karlsbad neue Stücke zum Lesen mitgegeben hat, dann hat sie ihm die Rollenbücher im Herbst unberührt wieder auf den Schreibtisch gelegt. Solange ich bei ihr gelebt habe, lagen auf ihrem Nachtkästchen nur rote, schmale Bücher, die sogenannten Engelhorn-Hefte, das waren eigentlich Schundromane. Da sie nachts sehr schwer einschlafen konnte, hat sie oft bis drei Uhr früh in diesen Engelhorn-Heften gelesen. Mich als jungen Menschen hat das zur Verzweiflung gebracht, aber an Literatur, an Schöngeistigem war sie nicht interessiert.«

      Ebenso der Kaiser. Tatsächlich findet sich in den Hunderten von Briefen der reichen Korrespondenz zwischen Franz Joseph und Katharina Schratt keine einzige Zeile, in der ein intellektuelles Thema abgehandelt worden wäre. Es geht fast immer nur um Tratsch. »Überhaupt, wenn Sie mir Theatertratsch schreiben, machen Sie mir eine Freude«, schreibt der Kaiser am 1. November 1888 an die Schratt. »Es ist vielleicht nicht schön und recht von mir, aber wahr …« Anderswo erklärt er, daß er während einer Theatervorstellung mit dem Opernglas beobachtete, daß die neuengagierte Margarethe Formes »keine durchstochenen Ohrläppchen« hätte. Er will genauestens informiert werden »über das Malheur mit der platzenden Taille« und andere »amusante Zwischenfälle« auf und hinter der Bühne: »Stimmt es, daß dem Schauspieler Louis Nötel die linke kleine Zehe, wieder die Folge einer Hühneraugen Operation, amputirt werden mußte?« (Als Nötel kurze Zeit später »trotz abgeschnittener Zehe« stirbt, beruhigt der Kaiser die Schratt brieflich: »Welches Glück, daß Sie keine Hühneraugen besitzen!«)

      Tratsch, Tratsch, Tratsch: »Ich wollte Sie fragen, was für ein Costume Sie am Gschnasfeste hatten …« Oder: »Der Witz Thimigs über Dr. Burkhard ist sehr gut.« Oder: »Auf den versprochenen Tratsch in Ihrem nächsten Briefe bin ich schon sehr neugierig.« Oder: »Sie merken sich ganz gut die hübschesten und interessantesten Sachen, um mich durch Mittheilung derselben zu erfreuen.« Oder: »Ich bin schon sehr neugierig, alle Details dieser schwarzen Theaterverschwörung bei unserer ersten Promenade mündlich von Ihnen zu hören …«

      Und in einem anderen Brief, nachdem Frau Schratt die Befürchtung gehegt hatte, ihm »zuviel Tratsch« geliefert zu haben, schreibt der Monarch:

      »… Sie haben weder Vorgestern, noch je sonst zu viel geplauscht, im Gegentheile, ich kann Ihnen nur dankbar sein, wenn Sie mit mir über Alles recht offen und von der Leber weg sprechen. Wenn man so manche Arbeit, Sorge, so manchen Kummer hat, wie ich, so ist ein zwangloses, offenes und heiteres Aussprechen eine wahre Freude und deßhalb sind mir die Augenblicke, die ich mit Ihnen zubringen darf, so unendlich werth.«

      Typische Briefstellen Katharina Schratts an Franz Joseph: »Heute beantworte ich erst die Fragen, dann kommt der Tratsch …«, »Im Theater herrscht auch wieder gereizte Stimmung. Fr. Gabillon und Fr. Schönfeld wurden gestern vom Director aus der ersten Culisse, von welcher sie die Abschiedsvorstellung der Barescu betrachten wollten, fortgewiesen. Die beiden Damen sind empört und nennen jetzt den Burckhard (Direktor des Burgtheaters, Anm. d. A.) alles eher als einen gnädigen Herrn …« Von einem Kuraufenthalt schreibt sie: »Wenn ich von der Anekdote, welche ich in Karlsbad gehört, nicht die Pointe vergesse, so kann ich Eure Majestät hoffentlich zum Lachen bringen, was mir immer so unendlich viel Freude bereitet …«

      So weit war es allerdings nach der Soiree in Kremsier noch lange nicht. Doch Kaiserin Elisabeth ahnte, als sie ihren Mann und die Schratt dort in zwanglosem Gespräch beobachten konnte, daß diese Frau die Gabe besaß, ihren immer einsamer werdenden Mann blendend zu unterhalten. Um diese Verbindung, die ihr selbst absolute Freiheit verschaffen sollte, weiter zu fördern, ließ sich Elisabeth nun etwas Besonderes einfallen. Zur Verwirklichung dieses Planes engagierte sie Heinrich von Angeli, den damals berühmtesten Porträtmaler Wiens.

      Angeli war bei Hofe ungeheuer geschätzt. Elisabeth wußte, daß der Kaiser nicht nur von seinen Bildern begeistert war, sondern auch die menschlichen Qualitäten und den Humor des Professors der Kunstakademie besonders schätzte. Angeli war sowohl Hofmaler des österreichischen Kaiserhauses als auch der bevorzugte Porträtist der Queen Victoria und deren Sohn, des Prince of Wales. Von Angeli ließen sich die deutschen Kaiser Friedrich, Wilhelm I. und II. ebenso malen wie der russische Zar Alexander III., der Bankier Baron Rothschild und der Afrikaforscher Stanley, der legendäre General Slatin Pascha oder Franz Grillparzer und unzählige andere Aristokraten, Wissenschaftler und Künstler dieser Zeit.

      Er galt – wenn auch aus Sopron stammend – als »uriger Wiener Typ« und war für jeden Spaß zu haben. Franz Joseph, den er mehrmals porträtierte, hatte einmal während einer Sitzung zu ihm gesagt: »Wissen S’, Angeli, was mir an Ihnen gefällt? Daß ich noch nie Ihre Glatz’n gesehen hab.« Damit meinte der Kaiser die ihm sympathisch erscheinende Eigenschaft des Künstlers, nicht ununterbrochen – wie das in der Umgebung des Monarchen sonst üblich war – »zu buckeln«.

      Aus den (bisher unveröffentlichten) Lebenserinnerungen Angelis, die sich später im Besitz seines Enkelsohnes Giselbert Angeli befanden, geht hervor, wie es zu dem eigenartigen Auftrag der Kaiserin in Verbindung mit der Schratt kam: Ida von Ferenczy, die Vorleserin und erste Hofdame Elisabeths, überbrachte Angeli die Order, daß er die Schauspielerin Katharina Schratt porträtieren sollte. Das Bild wäre als Geschenk für Kaiser Franz Joseph gedacht. Auch Baron Franz Nopcsa, der Obersthofmeister der Kaiserin, wurde betreffs des heiklen Auftrags eingeschaltet. Er stellte dem Maler vor allem die wichtigste Bedingung: »Die Sache muß streng geheim bleiben. Frau Schratt darf keinesfalls erfahren, wer die hohe Auftraggeberin, geschweige denn, für wen das Porträt bestimmt ist.« Mehr noch, Frau Schratt dürfte nicht einmal bekannt werden, daß sie die zu Porträtierende sei. Für jeden anderen Maler wäre ein solcher Auftrag vermutlich undurchführbar gewesen. Nicht für Heinrich Angeli. Der findige Künstler ersann einen Plan, in den er den ihm freundschaftlich verbundenen Burgschauspieler Emmerich Robert einweihte. Gemeinsam bereiteten sie die Komödie vor. Robert ging zu Katharina Schratt und erzählte ihr die folgende, abenteuerlich anmutende Geschichte: »Sie kennen doch den Angeli, den Hofmaler, der hat jetzt von einem englischen Adligen den Auftrag bekommen, dessen kürzlich verstorbene Frau für sein ewiges Andenken zu porträtieren. Und wie’s der Zufall will, Kathi, die gute Lady hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Ihnen gehabt. Der Professor möcht’ Sie recht schön bitten, ihm in dieser Angelegenheit, gewissermaßen in Vertretung, Modell zu sitzen.«

      Der Plan ging auf: Katharina Schratt war es eine Ehre, dem berühmten Porträtisten behiflich sein zu können und bemerkte dem Kollegen Robert gegenüber sogar, daß ihr die Sitzungen »eine große Freud« bereiteten. Elisabeth wiederum erzählte dem Kaiser von dem bald einzulangenden Geschenk, auf das er sich sehr zu freuen schien. Denn als das Bild im Stadium der Fertigstellung war, verfaßte er einen eigenhändigen Brief an den Künstler, da er das Ölbild höchstpersönlich in Augenschein nehmen wollte. Am 20. Mai 1886 fragte der Kaiser bei Angeli an:

      Mit Erlaubniß der Kaiserin möchte ich morgen um 1 Uhr in Ihr Atelier kommen, um das Bild der Frau Schratt zu sehen, welches Sie in ihrem Auftrage für mich malen. Ich bitte mich nur mit einer Zeile wissen zu lassen, ob ich um diese Stunde kommen kann.

      Franz Joseph

      Tatsächlich: Am nächsten Tag erschien der Kaiser von Österreich im Atelier Professor Angelis in der Wiener Kunstakademie, um das Porträt zu besichtigen. Er traf pünktlich um eins, wie angekündigt, ein, Elisabeth folgte einige Minuten später.

      Der Kaiser betrachtete das fast fertige Bild von allen Seiten, zeigte sein Wohlgefallen und meinte dann, eher scherzhaft: »Schade, daß das Original nicht anwesend ist, sodaß man die lebendige mit der gemalten Frau Schratt vergleichen könne.«

      Der gewitzigte Angeli war darauf gefaßt. Er sagte zu Franz Joseph: »Majestät, Ihr Wunsch ist mir Befehl, Frau Schratt befindet sich im Nebenzimmer.« Der Kaiser öffnete daraufhin selbst die Tapetentür, aus der nun die Schauspielerin völlig überrascht trat, um – wie ihr Angeli zuvor mitgeteilt hatte – »die Auftraggeber kennenzulernen«. Daß dies Franz Joseph und Elisabeth waren, hatte sie freilich nicht ahnen können, weswegen sie auch ziemlich verschüchtert wirkte, als sie den Majestäten gegenüberstand – wie Angeli zu berichten wußte.

      Der Maler versuchte die peinliche Stille zu durchbrechen und fragte:


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