Katharina Schratt. Georg Markus
Richtung kann sie wahrlich mit allen Gretchens des deutschen Sprachraums in die Schranken treten«), sie spielte die Lebensgeschichte der gefeierten Soubrette Therese Krones in dem gleichnamigen Musikstück von Karl Haffner. Jubel bei der Presse und im Publikum – nur eine Einschränkung gibt es: »Mit dem Singen ist es freilich nichts.« Die Schratt war tatsächlich vollkommen unmusikalisch.
Laube war nicht nur ein hervorragender Theatermann, der sich hinter den Kulissen zu produzieren verstand, er wußte auch immer wieder, für sein erfolgreiches Haus Reklame zu machen.
Im Oktober 1878 wagte er sich – mit Katharina Schratt in der weiblichen Hauptrolle – an ein Stück heran, das schon einmal in Wien für einen Theaterskandal gesorgt hatte. Friedrich Spielhagens Hans und Grete war wenige Jahre zuvor am Burgtheater mit großem Erfolg uraufgeführt worden. Doch schon nach der ersten Vorstellung erschien es nie wieder auf dem Spielplan. Man rätselte damals, warum das Stück mit dem gefeierten Adolf von Sonnenthal in der Hauptrolle vom Repertoire gestrichen worden war. Nach der Schratt-Premiere am Stadttheater brachte die Deutsche Zeitung endlich Aufklärung: »Heute kann man es wohl sagen, daß es eine Maske war, die dem Stück den Gnadenstoß versetzte. Herr Sonnenthal, der in dem Herzog eine geradezu hinreißende, unübertreffliche Leistung geschaffen hatte, wählte zufällig eine Maske, die lebhaft an den Coburger Herzog Ernst erinnerte. Ein hochgestellter Beamter, welcher der Theater-Vorstellung beigewohnt hatte, war von diesem Zufall so unangenehm berührt, daß er der Direction des Burgtheaters den Wink zugehen ließ, das Stück solle nicht mehr gegeben werden. Der Wink genügte.«
Ein Schauspiel, das bereits einmal verboten worden war, lockte die Wiener natürlich verstärkt ins Theater. Der »Fall« des Coburger Herzogs war jetzt Gesprächsstoff und viele wollten das Stück sehen. Dank der Schratt, »die in der Grete eine prächtige Gestalt voll Wärme und tiefer Empfindung lieferte«, wurde die Inszenierung nicht nur ein geschäftlicher, sondern auch ein künstlerischer Erfolg.
Katharina Schratt war bereits ab Mitte der siebziger Jahre eine ungeheuer populäre Frau, also noch lange bevor man sie mit dem Kaiser in Verbindung bringen konnte. Wobei Popularität damals eine noch viel intensivere Form der Verehrung kannte als etwa heute. Nach jeder Vorstellung bildeten sich neben dem »Bühnentürl« mehrere hundert Meter lange Schlangen; unzählige begeisterte Anhänger warteten, um ein Autogramm ihres Lieblings zu erhaschen, um vielleicht den Zipfel ihres Rocks berühren zu können.
Dabei liebte die Masse diese Schauspieler meist, ohne sie je auf der Bühne gesehen zu haben, denn in ein teures Theater zu gehen, war für die wenigsten Menschen erschwinglich. Auch Stefan Zweig wundert sich in seinen Erinnerungen Die Welt von gestern über dieses Phänomen. Er erzählt von einer Episode mit der Köchin seiner Eltern, die – im Juni 1897 – mit Tränen in den Augen ins Zimmer stürzte, weil sie soeben erfahren hatte, daß Charlotte Wolter – die berühmteste Tragödin der »Burg« – verstorben wäre. Zweig: »Das Groteske dieser wilden Trauer bestand selbstverständlich darin, daß diese alte, halb analphabetische Köchin nicht ein einziges Mal selbst im Burgtheater gewesen war und die Wolter nie auf der Bühne oder im Leben gesehen hatte; aber eine große nationale Schauspielerin gehörte in Wien so sehr zum Kollektivbesitz der ganzen Stadt, daß selbst der Unbeteiligte ihren Tod als eine Katastrophe empfand. Jeder Verlust, das Weggehen eines beliebten Sängers oder Künstlers verwandelte sich unaufhaltsam in Nationaltrauer.«
Neben Charlotte Wolter zählten Sonnenthal, Hugo Thimig, Lewinsky, Josephine Wessely – die Tante der Paula Wessely übrigens – und etwas später dann Josef Kainz und Alexander Girardi zu den Wiener Theatergöttern. Und eine der wenigen, die es schon außerhalb des Burgtheaters geschafft hatte, vom breiten Publikum wirklich geliebt zu werden, war die knapp über 20jährige Kathi Schratt. Auch sie war, frei nach Stefan Zweig, zum »Kollektivbesitz der ganzen Stadt« geworden.
Und nicht nur der Stadt. Gutbezahlte Gastspiele führten sie etwa nach Budapest, Riga, Triest, Temeswar, Innsbruck, in die Kurorte Karlsbad und Marienbad, nach Preßburg und Brünn. Und überall derselbe Jubel, dieselbe Begeisterung des Publikums, stürmischer Beifall nach jeder Vorstellung: »Wievielmal Frl. Schratt vor den Vorhang gerufen wurde, haben wir nach dem ersten Dutzend nicht mehr gezählt«, schreibt der Brünner Tagesbote, nachdem sie in dem Schauspiel Dorf und Stadt von Charlotte Birch-Pfeiffer als Lorle – eine ihrer populärsten Rollen – aufgetreten war. In Czernowitz gar, wo die Schratt als Cyprienne »große Triumphe feierte, spannte ihr die Studentenschaft, von der Leistung enthusiasmiert, die Pferde aus«. Ansonsten erlebte sie ihre Gastspielerfolge meist als Käthchen von Heilbronn und als Therese Krones.
Stieg die Schratt in der Provinz nun schon in den nobelsten Hotels ab, so logierte sie bald auch in Wien standesgemäß: Nachdem sie zuvor in etlichen Untermietwohnungen gelebt hatte, bewohnte das angesehene Mitglied des Stadttheaters jetzt schon ein stattliches Appartement auf der eleganten Ringstraße. Ihr Meldezettel aus dem Jahre 1876 ließ sich noch auffinden.
*im Theaterjargon: Naive
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